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Schlanker Staat und hartes Herz
Das Programm der neuen portugiesischen Regierung verspricht Deregulierung und effiziente Behörden
Einen effizienteren Staat sowie für die Unternehmen förderlichere Rahmenbedingungen hat sich Portugals alter und neuer Regierungschef Luís Montenegro auf die Fahnen geschrieben. Dafür will er einen »echten Krieg gegen die Bürokratie« entfachen. Am Dienst und Mittwoch debattierten in Lissabon die Abgeordneten der Versammlung der Republik die von der Mitte-rechts-Regierung für die kommenden vier Jahre vorgelegte »Agenda der Transformation«. Nach Portugals Verfassung darf das Programm der Regierung im Parlament nicht durchfallen, damit diese ihre Arbeit in vollem Umfang aufnehmen kann.
Das 250 Seiten umfassende Dokument verspricht die Schaffung von mehr Wohlstand durch Ankurbelung der Wirtschaft, eine faire Einkommenspolitik und Schritte gegen die Wohnungskrise. Bei der Erbringung grundlegender Dienstleistungen für die Allgemeinheit sollen sich öffentliche, private und gemeinnützige Akteure ergänzen. Angekündigt sind mehr öffentliche Sicherheit, eine Beschleunigung der Arbeit der Justiz sowie eine »geregelte und menschliche« Einwanderungspolitik. Tatsächlich handelt es sich um eine drastische Verschärfung des Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft wird erschwert, Arbeitsvisa sollen auf hoch qualifizierte Fachkräfte beschränkt, Papierlose ausgewiesen werden.
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Die neue Exekutive will Wirtschaft und Bürger steuerlich entlasten und ein Programm auflegen, das portugiesischen Emigranten Anreize zur Rückkehr in ihr Heimatland bietet. Schülern bis zur 6. Klasse soll die Nutzung von Smartphones in den Schulen untersagt werden. Gewalttätige Inhalte im digitalen Raum sollen bekämpft werden.
Realität werden soll ein »Plan zur strategischen Stärkung von Investitionen in die Verteidigung«, womit auch Portugal seine Rüstungsausgaben den neuen Nato-Zielen entsprechend nach oben treiben wird. Außenpolitisch will Lissabon die »Modernisierung« der Militärallianz und die Schaffung eines »europäischen Pfeilers« mit voranbringen, den Freihandel fördern sowie die Erweiterung der EU, »insbesondere um die Ukraine, Moldawien und die Länder des westlichen Balkans« aktiv unterstützen.
Einen Antrag auf Ablehnung des Regierungsprogramms hatten die drei kommunistischen Abgeordneten eingebracht. Die PCP sieht darin eine »Kriegserklärung an die Arbeitenden« im Interesse des großen Kapitals. Ihre Fraktion kritisiert Pläne, das Arbeits- und Streikrecht zu liberalisieren. In Bezug auf die Verwaltungsreformen befürchtet sie eine Aushöhlung staatlicher Funktionen »unter dem Deckmantel ihrer Modernisierung«.
Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes entsprechend, sei eine »Unterwerfung unter die kriegerische Politik von EU, Nato und USA«, so die Kommunisten. Das Wettrüsten entziehe Ressourcen, »die für die Lösung der Probleme des portugiesischen Volkes eingesetzt werden sollten«, erklärte ihre Abgeordnete Paula Santos. Der PCP-Vorsitzende Paulo Raimundo hielt dem Premier im Parlament vor, an der »überwältigenden Mehrheit der mit Niedriglöhnen konfrontierten Beschäftigten« vorbeizuregieren. »Das ist ein Land, in dem man mit Arbeit verarmt«, beklagte der Politiker.
Die Sozialisten (PS) und die rechtsextreme Chega als größte Oppositionsparteien hatten bereits vorab erklärt, dem Antrag der PCP nicht zuzustimmen. Beide Parteien ließen dann kritischen Worten in Richtung der Regierung keine Taten folgen und stimmten am Mittwoch, wie auch die Liberalen (IL), dagegen. Unterstützt wurde er von der einzigen Abgeordneten des Linksblocks (BE), Mariana Mortágua, sowie den sechs der links-grünen Partei Livre.
Die Regierung Montenegro will laut ihrem Programm durch Dialog und Kompromisse mit der Opposition für politische Stabilität sorgen. Bei der dritten vorgezogenen Neuwahl in nur drei Jahren am 18. Mai waren die Portugiesen nicht in Wechselstimmung gekommen. Die Demokratische Allianz (AD) aus konservativer PSD und der Rechtspartei CDS war daraus mit Zugewinnen erneut als stärkste Kraft hervorgegangen.
Der von Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa zum Premier berufene 52-jährige Rechtsanwalt Luís Montenegro hatte bereits seit März 2024 regiert und war ein Jahr später durch einen Misstrauensantrag im Parlament gestürzt worden. Zuvor waren in Bezug auf Geschäfte der Beratungsfirma seiner Familie Spinumviva Vorwürfe zu möglichen Interessenkonflikten des Politikers laut geworden.
Knapp drei Wochen nach der Wahl war zusammen mit Ministerpräsident Montenegro dessen nun 16 Ressorts umfassendes Kabinett vereidigt worden. Wieder handelt es sich dabei um eine Minderheitsregierung. Es gibt nur wenige personelle Veränderungen und nur sechs Frauen im Ministerrang. Neu geschaffen wurde das Amt eines Ministers für Staatsreform, welches Gonçalo Matias bekleidet. Zurückgestuft wurde das bislang eigenständige Kulturressort, das sich nun unter einem Dach mit Jugend und Sport wiederfindet.
Die Mitte-rechts-Koalition stützt sich auf 91 der 230 Sitze in der Assembleia da República, elf mehr als zuvor. Ein förmliches Zusammengehen mit den Rechtsextremen auf nationaler Ebene bleibt für Montenegro tabu. Chega hat weiter zugelegt und stellt mit 60 Abgeordneten als stärkste Oppositionskraft nun zwei mehr als die Sozialisten, die ein Debakel erlebten und bei der Parlamentswahl nur knapp mehr Stimmen als die Partei des nationalistischen Demagogen André Ventura erhielten.
Die erste große parlamentarische Hürde muss die Regierung im Herbst mit der Verabschiedung des Haushalts nehmen. Doch nach dem Rücktritt des PS-Vorsitzenden Pedro Nuno Santos noch in der Wahlnacht, der seine Partei links von der AD profilieren wollte, dreht die PS absehbar stärker in die Mitte. Für eine solche kooperative Linie gegenüber Montenegro steht auch der frühere Innenminister und Kandidat für den Vorsitz bei den parteiinternen Wahlen, José Luís Carneiro. Er wirbt für Steuersenkungen und die stärkere Stimulierung des kommunalen und privaten Wohnungsbaus. Ende Juni entscheiden die Mitglieder der PS über ihren künftigen Generalsekretär. Ein wichtiger Test, ob die Sozialisten mit Carneiro wieder Aufwind bekommen, werden die landesweiten Kommunalwahlen im September und Oktober.
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