Konzept für Katastrophenschutz

Das Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit fordert eine konsequente und umfassende Krisenvorsorge

»Mein Ruhestand war ein Fehlstart«, sagt Albrecht Broemme, Vorstandsvorsitzender des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit (ZOES) im Gespräch mit dem »nd«. »Dass ich nicht nur im Garten arbeiten würde, sondern auch ehrenamtlich im ZOES oder in mehreren Stiftungen, war mir klar. Ich hatte mich auf mehr Zeit auch für mich gefreut. Das kam nun aber doch ganz anders.«

Broemme, der zuletzt als Präsident des Technischen Hilfswerks tätig war, ist seit Beginn der Pandemie quasi doch wieder hauptberuflich im Katastrophenschutz tätig. So unterstützte er die Berliner Behörden bei Konzeption, Aufbau und Betrieb des Coronakrankenhauses in der Jafféstraße auf dem Berliner Messegelände und nun ebenso bei den Impfzentren. Unfreiwillig macht der Einsatz des Ruheständlers Broemme deutlich, wie es um den Stellenwert des Katastrophenschutzes in Deutschland steht.

»Die Befassung mit Themen des Katastrophenschutzes muss regelmäßig stattfinden und auch überprüft werden«, fordert der Bundestagsabgeordnete André Hahn (Linke), der mit Broemme im ZOES zusammenarbeitet. »In der Pandemie stand ja die Bundesregierung zu anfangs in der Kritik, auf Mängel, die seit dem Risikoanalysebericht von 2012 bekannt waren, nicht reagiert zu haben.«

Mit dem Grünbuch wollen die Expert*innen wachrütteln, damit die Politik auf künftige Krisen besser reagieren kann. Geht es um »Klimawandel und Wetterextreme«, lesen sich Fakten und Prognosen oft wissenschaftlich und abstrakt. Die konkreten Auswirkungen beschreibt das Grünbuch deshalb sehr plastisch in Szenarien, die in einer nicht allzu fernen Zukunft spielen: August 2030 - nach jahrelanger Dürre hat nun erneut die Hitze das Land im Griff. Temperaturen um 45 Grad Celsius. Keine Abkühlung in der Nacht. Helfer an der Grenze dessen, was sie leisten können, Waldbrände und Wasserknappheit, während Menschen an den Folgen von Hitze und Wassermangel versterben.

Manche Einzelheiten, die das Zukunftsszenario 2030 skizziert, haben sich längst bewahrheitet. Die Hitzewelle 2018 hat nach Schätzungen der Expert*innen zu rund 20 000 Toten bei Menschen über 65 geführt. Bei Waldbränden in Brandenburg 2018 und Mecklenburg-Vorpommern 2019 mussten Dörfer evakuiert werden, und die Trinkwasserversorgung der Feuerwehren und Hilfsdienste war zeitweise ein Problem. »Ich glaube, auch beim Thema Waldbrandbekämpfung sind viele zu optimistisch«, konstatiert Broemme. Die schwedische Regierung zeigte sich im vergangenen Jahr entsprechend skeptisch und kaufte zwei weitere Löschflugzeuge. Europaweit standen im vergangenen Sommer damit 13 Löschflugzeuge und sechs Löschhubschrauber einsatzbereit. Dass das ausreicht, wenn eine europaweite Hitzewelle über längere Zeit auch in Regionen zu Waldbränden führt, in denen man nicht routinemäßig darauf vorbereitet ist, glaubt Broemme nicht. »Warum gibt es keine EU-Löschflugzeugstaffel nördlich der Alpen? Ich hätte da gerne Unrecht, aber ich fürchte, wir werden so etwas in der Zukunft brauchen und dann hoffentlich nicht vermissen.«

Im Grünbuch, das von den Bundestagsabgeordneten André Hahn, Irene Mihalic (Grüne), Benjamin Strasser (FDP), Michael Kuffer (CDU) und Susanne Mittag (SPD) herausgegeben worden ist, befindet sich auch ein Kapitel zur Pandemiebekämpfung mit. »Corona ist - so unglaublich das erscheinen mag - nur eines von vielen Szenarien, was uns als Pandemie erreichen kann. Wie reagieren wir beim nächsten Virus, der sich vielleicht schneller ausbreitet oder noch tödlicher ist?«, mahnt Broemme.

Wesentlich sind auch die Gefährdungen, die auf der technischen Ebene der kritischen Infrastruktur drohen, wenn Computerviren zentrale Versorgungsmechanismen befallen. Oder wenn Banden aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität Angriffe über das Internet starten. »Wir halten die Veröffentlichung des Grünbuchs gerade jetzt für angemessen, weil es aktuell ein Bewusstsein dafür gibt, welches Ausmaß eine Krise annehmen kann«, erläutert Hahn. Er hofft, dass die angesprochenen Szenarien im Katastrophenschutz in den kommenden Jahren berücksichtigt werden und Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre wieder rückgängig gemacht werden. »Ich denke da vor allem an die Stromversorger und das Leitungsnetz, die Krankenhäuser, den gesamten Bereich der kritischen Infrastruktur. Was gehört davon in die öffentliche Hand?« Vor allem die Bereiche Gesundheit und Vorsorge sollte sich nach Meinung von Hahn nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien rechnen müssen, sondern Teil der Grundversorgung der Bevölkerung sein. »Gleiches gilt für die Energie und Wasserversorgung«, sagt er.

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