»Ich bin kein Schreihals«

Ein Gespräch mit Rainald Grebe über sein neues Album »Popmusik«, rechtes Kabarett und die Coronakrise

  • Jakob Buhre
  • Lesedauer: 7 Min.

Herr Grebe, wie sind Sie in den vergangenen Monaten mit der Einschränkung Ihres Berufs umgegangen?

Es ist natürlich hart, wenn so viele Monate nacheinander ausradiert werden, wenn Projekte, die man lange im Voraus geplant hat, einfach weggeholzt oder verschoben werden. Ich habe mir dann andere Arbeiten gesucht, die vor allem am Schreibtisch stattfinden oder online.

Rainald Grebe

Rainald Grebe ist Liedermacher, Kabarettist und Theater-Regisseur. Er kommt aus dem Rheinland und lebt in Berlin und in der Uckermark. Eigentlich ist er diplomierter Puppenspieler, der 2004 mit dem Kleinkunst-Hit »Brandenburg« bekannt wurde. Die »Zeit« ernannte ihn 2010 zum »einzig wirklichen ost-westdeutschen Entertainer, geschult an Tucholsky, Kästner, Brecht, mit ein paar Stunden Dadaismus im Nebenfach«. Gerade ist sein neues Album »Popmusik« erschienen (auf Tonproduktion Records/Rough Trade). Mit Grebe, der auch sehr gut Klavier spielt, sprach Jakob Buhre.

Bei einem 3sat-Auftritt sagten Sie, Sie hätten eine Apfelplantage gekauft. War das nur ein Bühnengag?

Nein, das stimmt wirklich.

Ein zweites Standbein?

Das kann passieren. Im Moment werden die Äpfel aber noch verschenkt.

»Wissenschaft ist eine Meinung die muss jeder sagen dürfen« singen Sie auf Ihrem neuen Album »Popmusik«. Sind Sie heute wissenschaftsgläubiger als noch vor der Pandemie?

Nein. Der Song ist einfach nur eine Antwort auf den ganzen anti-wissenschaftlichen Quatsch, der in den letzten Monaten geredet wurde. Das Impfen generell zu verdammen, so was sehe ich nicht ein. Die Wissenschaft ist gut. Was nicht heißt, dass man nicht auch gleichzeitig Globuli schlucken kann.

Ist für Sie als Bühnenkünstler die Impfung jetzt die große Hoffnung?

Ja. Ich wüsste nicht, wo die Sicherheit für unsere Branche sonst herkommen könnte. Es braucht eine gewisse Grundimmunität, damit Veranstaltungen mit Zuschauern wieder stattfinden können.

Für Ihre Sketche und Lieder begeben Sie sich häufig auf Recherche, besuchten etwa Schloss Bellevue für das Stück »Der Präsident«. Wo haben Sie für die neue CD geforscht?

Ich habe zum Beispiel eine Stewardess interviewt und ihre Anekdoten dann in den Text »Flugbegleiterin« eingeflochten, etwa über einen Flug mit Pierre Littbarski nach Japan oder ihrem letzten Arbeitstag.

Ein anderes Stück haben Sie dem »Adel« gewidmet.

Ja, ich hatte schon 2018 im Zusammenhang mit meinem Theaterstück »Fontane200« mit Adeligen zu tun gehabt, die ich auf ihren Schlössern und Landsitzen besucht habe. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Wenn man nicht dazu gehört, ist das ein ziemlich fremdes Terrain, mit sehr eigenen Mechanismen.

Haben Sie im Corona-Sommer 2020 auch auf Querdenken-Demos recherchiert?

Nein. Ich habe eine lange Nacht mit einem Verschwörungspraktiker aus dem Bekanntenkreis verbracht - das hat mir erst mal gereicht.

Aber Verschwörungstheorien sind guter Stoff fürs Kabarett, oder?

Mein Eindruck ist eher, dass diese Leute den Künstlern den Rang ablaufen. Weil das zum Teil so fantastisch ist, was dort real geglaubt oder praktiziert wird. Da ist man als Kabarettist von der Fantasie her ziemlich im Hintertreffen, wenn es es darum geht, sich absurde Geschichten auszudenken. Dafür nehmen jetzt wiederum Künstler Positionen ein, wie zum Beispiel, dass man die Gesellschaft schützen soll. Man freut sich über Merkels Kurs oder darüber, dass Wissenschaftler an der Macht sind - das hätte ich früher so nicht für möglich gehalten. Das ist nicht besonders subversiv, ganz im Gegenteil.

Sind Sie denn froh über den Regierungskurs?

Wenn ich es im Vergleich sehe, zu Trump und anderen, war ich schon ganz froh, in einem Merkel-Staat zu wohnen, wo vorne eine Wissenschaftlerin sitzt, die alles sehr genau abwägt. Dass es gleichzeitig auch viele Probleme gibt, ist ja klar. Aber es ist eben ein anderer Umgang damit - anstatt dass man das Virus leugnet, die Maske weghaut und sagt, »wir lassen die Gesellschaft einfach offen«.

Der Jazztrompeter Till Brönner beklagte in einer Videobotschaft »wie verhalten und übervorsichtig Bühnenkünstler sich zu dieser Misere äußern, obwohl ihre Existenz fundamental auf dem Spiel steht.« Fühlen Sie sich angesprochen?

Ja, fühle ich mich.

Warum gibt es denn diese Zurückhaltung?

Zum einen glaube ich, dass die Situation der Künstler in Deutschland nicht so schlimm ist wie in andern Ländern, viele bekommen eine gewisse Unterstützung. Und das andere ist: Ich bin kein Schreihals. Ich halte mich eher zurück. Dass das viele andere Kollegen genauso tun - ja, kann schon sein. Als Künstler tut man sich auch schwer, weil man schlecht organisiert ist, keine Lobby hat und nicht mal eben die Gewerkschaft XY oder einen Minister anrufen kann. Ich bin in solchen Fragen unorganisiert.

Für eine Wutrede von Rainald Grebe bräuchte es noch ein bisschen mehr Lockdown?

Ja, da bräuchte es noch ein bisschen. Es wäre aber auch dann keine Wutrede, sondern ich suche da nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten.

In Dresden haben Sie die Pandemie bereits in dem Theaterabend »Einmeterfünfzig« verarbeitet.

Ja, das Stück war auch wirklich gut und hat den Leuten, glaube ich, sehr viel gesagt. Den Schauspielern und mir hat es gut getan, weil wir noch mal arbeiten durften. Und ich habe noch nie einen so langen, innigen Applaus erlebt. Das war richtig herzlich.

Herrscht in Dresden, wo die AfD mit 27 Prozent im Landtag sitzt, am Theater ein anderes Klima als zum Beispiel in Köln?

Man kriegt es natürlich mit. Ich weiß von den dortigen Dramaturgen, dass sie sehr aufpassen und sich genau überlegen, was sie sagen, auch dass sie bei verschiedensten Projekten E-Mails mit Klageandrohungen bekommen. Andererseits gab es ein Stück von Volker Lösch, in dem das AfD-Parteiprogramm thematisiert wurde, bei dem das Theater große Sorgen vor juristischen Folgen und bösen Reaktionen hatte - aber die blieben aus.

Könnte es eigentlich rechtes Kabarett geben?

Anscheinend gibt es das, wenn man sich etwa Uwe Steimle anschaut. Er bedient häufig Ressentiments, gegen die Grünen, die Linken, generell gegen Menschen, die für die bunte Republik eintreten. Damit erntet er Lacher, gleichzeitig spricht er über die »deutsche Kultur« und beklagt, dass die jetzt weg sei... Er wird es vermutlich als »Volkstheater« bezeichnen, ich empfinde es als ressentimentgeladen.

Bereitet Ihnen so etwas Sorge?

Es ist ungewohnt, weil das Kabarett ja eigentlich immer in linker Hand war. In der Schweiz gab es den Fall Andreas Thiel, der 2015 so eine Hassrede gegen den Koran und den Islam gehalten hat. Ein Kollege von mir, Jess Jochimsen, hat daraufhin eine gemeinsame Tournee mit ihm abgesagt, Thiel bekam bald auch keine Auftritte mehr. Er wurde sozusagen gecancelt, mundtot gemacht.

Andreas Rebers sagte im Herbst 2020 bei 3sat, es gehe derzeit nicht nur um die Desinfektion der Hände, sondern auch darum, »dass die geistigen Räume desinfiziert werden«. Haben Sie ähnliche Eindrücke?

Ich bekomme die Debatte darüber natürlich mit. Rebers oder auch Dieter Nuhr machen gerne Witze gegen die Linken, dann kriegen sie dafür Contra, dann werden Listen unterschrieben gegen »Cancel Culture« und für Debattenfreiheit...

Sehen Sie die Debattenfreiheit im Moment eingeschränkt?

Nein. Kabarettisten wie Nuhr oder Rebers haben große Plattformen, ausverkaufte Häuser, die haben keinen Grund, sich zu beschweren. Geändert hat sich allerdings, dass durch das Internet heute auch andere Leute gegenschießen, von rechts wie von links. Ich habe das Gästebuch auf meiner Homepage mittlerweile auch abgeschaltet, weil einfach zu viele beleidigende Kommentare drin standen, in meinem Fall von rechts. Bei Dieter Nuhr stehen vermutlich Lobeshymnen von Rechten im Gästebuch und auf Twitter wird er als »alter, weißer Mann« und »Rassist« beschimpft. Das ist die neue Lage.

Der Ton wird rauer?

Ja, die Debatten werden heftiger - und beziehen sich jetzt sehr oft auf diesen kleinen Bereich Komik. Was auch damit zu tun hat, dass Kollegen, wie zum Beispiel Jan Böhmermann, einen Gefallen an der Wirksamkeit gefunden haben. Sie arbeiten teilweise journalistisch, mit Faktenchecks und sie merken, dass es funktioniert: dass sie ein Sprachrohr sind, dass sie sich heute mehr in die Politik einmischen können als früher. Und auf Seiten des Publikums gibt es Leute, die das toll finden und ernster nehmen als die »Tagesschau« - und die dann auch entsprechend reagieren.

Sie selbst haben auch schon mal ein Anliegen mit großem Ernst verfolgt, bis in den Gerichtssaal.

Sie meinen meine Klage gegen Sanifair? - Ja, da wollte ich es einmal wissen und habe es bis zum Ende durchgezogen. Ich habe mich auf die Position gesetzt: Fürs Pinkeln bezahlen geht nicht, das ist Kapitalismus pur, der Toilettengang muss frei sein, das ist Daseinsfürsorge. Aber am Ende hat das nicht stattgefunden. Ich habe viele positive Zuschriften bekommen, vor Gericht aber verloren. Allerdings gab es während des ersten Lockdowns die schöne Meldung, dass die Nutzung der Sanifair-Toiletten jetzt kostenlos sei. Das Ziel wurde also, zumindest für ein paar Wochen im März 2020, erreicht.

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