Kleine Stellschrauben reichen nicht

Neues Bündnis fordert einen bundesweiten Mietenstopp und mehr sozialen Wohnungsbau

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundesweiter Mietenstopp: Kleine Stellschrauben reichen nicht

Die Wohnungspolitik gerät nicht nur in Berlin zunehmend in den Fokus. Am Freitag stellte sich erstmals die bundesweite Kampagne Mietenstopp auf einer gut besuchten Online-Veranstaltung vor. Im Mittelpunkt der Kampagne steht die Forderung nach einem sechsjährigen Mietenmoratorium und strikten Obergrenzen bei Neuvermietungen. Außer dem Neubau sollen auch »faire Vermieter« davon ausgenommen werden, wenn ihre bisherigen Mieten maximal auf dem Niveau von 80 Prozent der im Mitspiegel errechneten Obergrenzen liegen. Sie sollen die Mieten um zwei Prozent pro Jahr erhöhen dürfen. Träger der Kampagne sind der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Deutsche Mieterbund (DMB), der Paritätische Gesamtverband sowie diverse regionale Mieterverbände und Initiativen. Weitere Verbände bekundeten ihre Unterstützung.

Der Zeitpunkt für den Gang in die Öffentlichkeit war nicht zufällig gewählt. Denn am Dienstag will die Bundesregierung ihre wohnungspolitische Bilanz vorstellen und sich dabei voraussichtlich ein gutes Zeugnis ausstellen. Das mag DMB-Präsident Lukas Siebenkotten nicht unterschreiben. Bei der Wohnungsbaubilanz operiere die Regierung mit »Taschenspielertricks«, in der beispielsweise erteilte Baugenehmigungen in die Baubilanz eingerechnet werden. Man könne aber »auf Baugenehmigungen nicht wohnen, in Rohbauten auch nicht«, so Siebenkotten. Und bei den fertiggestellten Wohnungen bleibe die Regierung weit hinter ihren Zielen für diese Legislaturperiode zurück. Besonders drastisch zeige sich das bei den Sozialwohnungen für Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen. Der Fertigstellungszahl von 25 000 steht der Wegfall von 60 000 Wohnungen pro Jahr gegenüber, die nach dem Ablauf der Förderperiode aus der Sozialbindung fallen und dem »freien Markt« übergeben werden. Als krasse Fehlsteuerung habe sich auch das milliardenschwere Baukindergeld erwiesen. Dies sei vor allem ein »Kaufkindergeld« für gut verdienende Erwerber von Bestandsimmobilien. Wohnungspolitisch bringe das nichts, der Anstieg der Mieten gehe angesichts des Mangels besonders in Ballungsgebieten ungebremst weiter. Schleppender Neubau bezahlbarer Wohnungen und Mietenexplosion machten daher einen befristeten Mietenstopp zum Gebot der Stunde.

Lorena Jonas, von der Berliner Initiative »23 Häuser sagen Nein«, forderte einen radikalen Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik: »Wohnungen dürfen keine Ware sein. Sie müssen der neoliberalen Verwertungslogik entzogen werden«. Da die renditeorientierte private Wohnungswirtschaft kein Interesse an der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums für alle Schichten der Bevölkerung habe, »reichen kleine Stellschrauben da schon lange nicht mehr, und deswegen braucht es jetzt einen bundesweiten Mietenstopp«. Als Vorbild nannte Jonas den Berliner Mietendeckel mit strikten Obergrenzen für alle Neuvermietungen (außer Neubau) bis hin zu Senkungen überhöhter Mieten in Bestandsverträgen. Voraussichtlich im Juni wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob das Mietendeckelgesetz Bestand haben kann. Geklagt haben unter anderen die Fraktionen von CDU/CSU und FDP, aber auch der Dachverband der Berliner Genossenschaften.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, schilderte die dramatischen Auswirkungen der Wohnungskrise für die Arbeit der Sozialverbände. Haftentlassene, Bewohnerinnen von Frauenhäusern, junge Erwachsene in Jugendhilfeeinrichtungen, kinderreiche Familien und generell einkommensarme Menschen hätten besonders in den Ballungszentren kommt noch eine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Es gebe auch Fälle, dass eigentlich erfolgreich therapierte Psychiatriepatienten in diesen Einrichtungen verbleiben müssen, »weil wir einfach nicht wissen, wie wir sie unterbringen könnten«. Und es gehe auch darum, die Verdrängung aus dem gewohnten Umfeld zu stoppen, denn dies bedeute vor allem für ältere Menschen und Pflegebedürftige oftmals eine Katastrophe. Daher unterstütze man als Verband die Kampagne für einen durchgreifenden Mietenstopp.

Auch für den DGB hat die Kampagne eine große Bedeutung. Man kämpfe schließlich nicht Jahr für Jahr um anständige Lohnsteigerungen, »damit diese dann in den Taschen der Vermieter landen«, so Florian Moritz, Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand. Viele Kolleginnen und Kollegen hätten große Probleme, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die Corona-Pandemie verschärfe das Problem, da viele Beschäftigte Einkommenseinbußen zu verkraften haben. Neben dem befristeten Mietenstopp fordert der DGB ein großes Investitionsprogramm des Bundes und der Länder, um jährlich den Bau von 100 000 Sozialwohnungen zu fördern.

Die Initiatoren der Kampagne hoffen, dass sie der wohnungspolitischen Debatte in Deutschland zusätzlichen Schwung verleihen können. Ohnehin ist damit zu rechnen, das dies eines der wichtigsten Themen im kommenden Bundestagswahlkampf sein wird.

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