Jagd auf »Links-Islamisten« an der Uni

Die französische Wissenschaftsministerin Frédérique Vidal wirbt mit kruden Thesen am rechten Rand

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Wissenschaftsministerin Frédérique Vidal hat mit Ausfällen gegen den »Links-Islamismus«, der »die Universitäten vergiftet«, eine Polemik ausgelöst und sich so gründlich disqualifiziert, dass selbst die eigene Regierung auf Distanz geht. In einem Fernsehinterview für den Nachrichtensender CNews, der bevorzugt rechten und rechtsextremen Politikern als Tribüne dient, kündigte sie eine Untersuchung in der staatlichen Wissenschaftsorganisation CNRS und an den Universitäten an. Dabei solle geprüft werden, ob Forschungsprogramme wirklich von wissenschaftlichem Interesse sind oder ob sich da (linke) Humanwissenschaftler der Mittel des CNRS oder der Universitäten bedienen, um ihre politischen Überzeugungen zu verbreiten. In der Fragestunde der Nationalversammlung bestätigte die Ministerin ihren Untersuchungsauftrag und sagte zur Rechtfertigung, bei ihr hätten sich (rechte) Wissenschaftler beklagt, dass »politisch voreingenommene Kollegen sie angreifen, wenn sie Kritik an deren Ansichten äußern«. Außer dem »Links-Islamismus« nannte sie als »kontroverse Themen« auch Post-Kolonialismus und Rassismus oder Diskriminierung und soziale Ausgrenzung.

Die Abgeordnete Bénédicte Taurine von der Bewegung La France insoumise charakterisierte den Vorstoß der Ministerin als »Hexenjagd wie zu Zeiten, die wir längst überwunden geglaubt haben«. Nach der wöchentlichen Ministerratssitzung dazu befragt, betonte Regierungssprecher Gabriel Attal »die absolute Verbundenheit von Präsident Emmanuel Macron und der gesamten Regierung mit den Prinzipien der freien Wissenschaften und der Unabhängigkeit der Forscher«. Im übrigen gebe es gegenwärtig wirklich wichtigere Themen, etwa die extrem schwierige Situation der Studenten in der Coronakrise.

Das wurde auch in einem Offenen Brief hervorgehoben, den 600 in- und ausländische Wissenschaftler unterzeichnet haben und in dem sie sich scharf gegen jegliche »Gedankenpolizei« verwahren und den Rücktritt der Ministerin verlangen. In einem gemeinsamen Schreiben distanzieren sich auch zwei Dutzend Universitätspräsidenten von Ministerin Vidal und verweisen auf »echte Probleme der Wissenschaft wie die chronische Unterbesetzung und den Mangel an materiellen Mitteln«. Der Präsident der Pariser Sorbonne Jean Chambaz warnt, dass Frankreich mit solchen Manövern in eine Reihe mit Regimen wie in Ungarn, Polen und Brasilien zu geraten droht, die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit mit Füßen treten. Unterstützung fand die Wissenschaftsministerin dagegen bei Innenminister Gérard Darmanin, der seiner Kollegin bescheinigte: »Sie ist mutig und sie hat recht.« Bei der Suche nach Motiven für den Alleingang von Dominique Vidal stößt man darauf, dass sie bei der bevorstehenden Regionalwahl für den Posten des Ratspräsidenten der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur kandidieren wird und dafür offenbar möglichst viele rechtsextrem eingestellte Wähler auf ihre Seite ziehen will.

Wie Vidal und Darmanin gehört auch Bildungsminister Jean-Michel Blanquer zum rechten Flügel der Regierung. Er hat im vergangenen Oktober nach dem Mord an dem Lehrer Samuel Paty durch einen islamistischen Terroristen ebenfalls einen Ausfall gegen den »Links-Islamismus« unternommen, der seiner Meinung nach auch an den Schulen verbreitet sei. Als er damit jedoch kein Echo fand, schwenkte er um und konzentrierte seine Kritik auf Jean-Luc Mélenchon, den Gründer der Bewegung La France insoumise. Dem wird regelmäßig »Links-Islamismus« vorgeworfen, wenn er sich gegen die Pauschalverdächtigungen und Anfeindungen der französischen Muslime im Zuge des Kampfes gegen den radikalen Islamismus und Terrorismus wendet. Dabei gerät Mélenchon mitunter unfreiwillig in die Nähe umstrittener Organisationen wie dem »Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich« CCIF, das im vergangen Oktober dem bevorstehenden Verbot durch das Innenministerium durch Selbstauflösung zuvor kam und das jetzt in Brüssel eine »Renaissance« unter dem neuen Namen »Kollektiv gegen Islamophobie in Europa« CCIE vollzieht. »Islamophobie ist ein Begriff, der von den militanten Islamisten erfunden wurde, um jede Kritik an ihrer Auslegung des Islams zu unterbinden und die Mehrheit der Moslems hinter sich zu vereinen«, erklärt der Islamwissenschaftler Gilles Kepel. Solche »Argumente« finden aber auch bei nicht wenigen Linken ein offenes Ohr, die blauäugig die Gefahren einer Politisierung und Radikalisierung des Islam und der Muslime in Frankreich relativieren und als Reaktion auf Ausgrenzung, Rassismus und soziale Ungerechtigkeiten entschuldigen.

Doch die meisten französischen Linken verstehen zu differenzieren und ihnen geht es darum, nicht den Kontakt zur Masse der friedlichen Muslime zu verlieren und zu verhindern, dass sie den Islamisten in die Fänge geraten. Stéphane Troussel, der sozialistische Ratspräsident des Pariser Vorstadtdepartements Seine-Saint-Denis, das mit Abstand das ärmste Departement Frankreichs ist und wo Muslime die Bevölkerungsmehrheit stellen, bringt es auf den Punkt: »Ich habe es satt, als ›Links-Islamist‹ beschimpft zu werden, wenn ich auf die soziale Not dieser Menschen und unseres Departements aufmerksam mache, und andererseits als ›islamophob‹, wenn ich vor dem Vordringen des radikalen Islamismus warne.«

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