Feminizide: Das Problem beim Namen nennen

Die mediale Berichterstattung über Gewalt an Frauen verharmlost oft das Problem und das strukturelle Ausmaß, kritisiert Anne Marie Jacob von Gender Equality Media

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Verein Gender Equality Media untersucht jährlich mit Medienscreenings die mediale Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Bei unserem Screening von 250 Medien haben wir festgestellt, dass 93 Prozent der gescreenten Artikel sexualisierte Gewalt gegen Frauen verharmlosen. Das entspricht 716 von 767 Artikeln, die gewaltverharmlosende Begriffe in ihrer Berichterstattung nutzen. Dazu zählen Begriffe wie »Ehestreit«, »Beziehungs- oder Familiendrama« oder »Eifersuchtstragödie«. Das Problem an den Begrifflichkeiten ist, dass sie die Gewalt gegen Frauen beziehungsweise sexualisierte Gewalt gegen Frauen, extrem verharmlosen. Beispielsweise wird oft das Motiv Eifersucht in den Vordergrund gestellt und ein Stück weit auch als Rechtfertigung genommen. Also von wegen: »Das kann ja mal passieren, er war eifersüchtig.« Dazu gehören dann auch solche Begriffe wie »Eifersuchtstragödie« oder »Verzweiflungstat«. Oder es wird halt getitelt: »Motiv Eifersucht«. Somit werden Feminizide zu Einzeltaten deklariert, ohne dass auf das eigentlich strukturelle Problem oder Ausmaß hingewiesen wird.

Auch ein großes Problem ist dieser Voyeurismus, indem in der Berichterstattung in einigen Fällen die Täterperspektive eingenommen wird, also die Tat aus seiner Perspektive beschrieben wird. So werden beispielsweise sehr viele Einzelheiten zu der Tat preisgegeben - in manchen Fällen sind das sogar Details zu der Unterwäsche, die das Opfer getragen hat. Sowas hat einfach nichts zu suchen in der Berichterstattung über Gewalttaten! Hinzukommt, dass solche detaillierte Beschreibungen zu einer Retraumatisierung der Opfer führen können.

Anne Marie Jacob
Anne Marie Jacob von Gender Equality Media

leitet bei Gender Equality Media e.V. das Medienscreeningteam. Für den Verein engagiert sie sich seit 2017 ehrenamtlich. Gender Equality Media kämpft gegen sexistische und rassistische Berichterstattung in den Medien.

Warum benutzen Sie den Begriff Feminizid und nicht Femizid?
Für uns ist es schon wunderbar, wenn Medien Femizid oder Frauenmord schreiben. Aber im Idealfall benutzt man eben Feminizid. Das ist der politischere Begriff. Er verweist nicht nur darauf, dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind – wie bei Femizid – sondern steht auch für die Untätigkeit des Staates, der diese Gewalt zulässt. Der Begriff selbst geht auf die mexikanische Wissenschaftlerin Marcela Lagarde zurück.

Was sind die Folgen des gewaltverharmlosenden Diskurses in den Medien?
Wenn das strukturelle Ausmaß von Gewalt gegen Frauen nicht benannt wird und auch nicht so in den Medien kommuniziert und eingeordnet wird, kann es dazu beitragen, dass die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, sinkt. Sprache ist Gewalt in Worten. Dann ist der Schritt zu Gewalt in Taten nicht mehr weit.

Ein weiteres Problem ist, dass vor allem sehr auflagenstarke Medien in ihrer Berichterstattung extrem gewaltverharmlosend sind. Uns sind vor allem die »Bild«-Zeitung, und das Newsportal »Tag24« besonders negativ aufgefallen. Die haben eine riesige Reichweite und damit können die Konsequenzen auch viel, viel größer sein.

Welches Medium ist denn positiv aufgefallen?
Das waren weniger reichweitenstarke und regionale Medien. Die Nachrichtenportale »ANF News«, die »shz« und die »Potsdamer Neueste Nachrichten« haben Gewalt gegen Frauen richtigerweise als Femizid, Feminizid oder Frauenmord bezeichnet.

Uns ist auch aufgefallen, dass vor allem regionalen Medien untereinander abschreiben. Also sind es teilweise die gleichen Formulierungen, die gleichen Artikel, sodass problematische Begriffe dann leider oftmals auch direkt übernommen werden.

Wie hat sich denn die Coronakrise auf die Berichterstattung ausgewirkt?
Das war spannend zu beobachten. Während des ersten Lockdowns hat man wirklich in den Medien gemerkt, dass der Fokus komplett auf Corona gerückt ist. Wir konnten sehen, dass zwischen Februar und April die Berichterstattung zu konkreten Gewalttaten gegen Frauen extrem abgeebbt ist. Die allgemeine Berichterstattung zur Sorge über den Anstieg häuslicher Gewalt hat aber zugenommen.

Was muss besser laufen?
Es wäre wichtig, dass die Berichterstattung sexualisierte Gewalt einordnet und eben darauf aufmerksam macht, dass es sich bei den Gewalttaten um keine Einzelfälle handelt. Dass es keine Tragödien sind, die durch Zufall passieren, sondern wirklich strukturelle Gewalt dahinter steckt. Und diese Kontextualisierung, die braucht es dauerhaft.

Redaktionen sollten dafür sensibilisiert werden, was es mit diesen Begriffen auf sich hat, dass Gewalt in Worten auch in Gewalt in Taten umschlagen kann. Medien sollte bewusst sein, dass sie ein Stück weit Verantwortung haben - vor allem, wenn sie auflagenstark sind.

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