Viele helfende Hände

Die ersten Koalitionen mit der AfD sind wohl nur eine Frage der Zeit, befürchtet Leo Fischer

Kaum wurde die AfD vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft, ist diese Einschätzung auch schon wieder passé: Das Verwaltungsgericht Köln hat die Entscheidung kassiert, aus eher formalen Gründen. Nun steht ein Gang durch alle Instanzen bevor. Die Behörde wird voraussichtlich auf ihrer Sicht der Dinge beharren. Der Bundessprecher der Partei, der über »Umvolkung« theoretisierte, der Parteikollegen aufforderte, »schwarze Listen« über »als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten« zu führen und auch schon beim Rechtsaußen Andreas Kalbitz »keinen Extremismus« erkennen konnte, wird weiter mit treuherzigem Augenaufschlag versichern, dass die Partei nichts mit Rechtsextremen zu tun habe. Dies geschieht lange nachdem Björn Höcke die Auflösung des »Flügels« verkündet hatte, weil es angesichts der Verflügelung der Gesamtpartei schlicht keine Notwendigkeit mehr für ihn gab; lange, nachdem Jörg Meuthen auf dem Parteitag für seine Forderung, zumindest aus taktischen Gründen den Anschein von Bürgerlichkeit zu wahren, ausgebuht wurde.

Ist die AfD rechtsextrem? Eine Frage, die man 2015 hätte stellen müssen, jetzt zu beantworten, und zwar durch eine Behörde, die über die längste Zeit ihrer Existenz aufs Tiefste in die rechtsextreme Szene verstrickt war; deren Rolle im NSU-Komplex noch nicht im Ansatz aufgeklärt ist; deren ganze ideologische Stoßrichtung über lange Jahre fast ausschließlich nach links zielte; deren Bis-vor-Kurzem-Chef, der in den sozialen Medien munter Desinformation, AfD-Propaganda und Verschwörungstheorien verbreitet, sich mit dem Satz zitieren lässt, er sei nicht in die CDU eingetreten, damit »1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen« - ist da nicht eventuell die Frage schon ganz falsch gestellt? Taugt unsere Sprache überhaupt noch dazu, diese Frage zu stellen? Oder sollte man die Frage eventuell gleich von Beate Zschäpe beantworten lassen?

Natürlich wird die auch nur potenzielle Beobachtung der AfD einen Effekt auf Mitglieder und Wählerschaft haben. Besonders jene Mitglieder, auf die man sich in der AfD immer viel eingebildet hat - die Beamten, die Polizisten, die Soldaten -, werden sich nun zweimal überlegen, mit welchen Statements sie wie in die Öffentlichkeit gehen. Gleichzeitig kann die Ausrufung der Beobachtung im Wahljahr, in einer Zeit, in der die AfD ohnehin kaum Boden gut machen kann, von ihrer Klientel nicht anders betrachtet werden denn als direkter politischer Eingriff in die Bundestagswahl. Möglich, dass die Beobachtung genau das Thema war, dass der AfD gefehlt hat; dass die Partei, die in den Umfragen schon unter zehn Prozent herumkrebste, sich aus dieser Opferrolle erneuern, auch zu einer verloren gegangenen inneren Einheit finden wird, angesichts des gemeinsamen äußeren Feinds.

Gleichzeitig gibt es genug helfende Hände für die AfD. Der Traum von Thüringen ist noch nicht ausgeträumt: In zahlreichen kommunalen und Landesparlamenten arbeiten CDU, FDP und andere stillschweigend mit der AfD zusammen - zuletzt gelang es der CDU Sachsen-Anhalt, das AfD-Thema »Rundfunkbeitrag« zu einer kleineren Staatskrise zu erheben, ohne dafür auch nur einer einzigen AfD-Visage Sendezeit hergeben zu müssen. Die AfD wird schon deshalb nicht zu einer NPD 2.0 werden, weil sie von viel zu vielen in viel zu vielen strategischen Spielen gebraucht wird.

Folgt Deutschland im Umgang mit dem Rechtspopulismus weiter dem großen Vorbild Österreich - und es gibt keinen Grund, vom Gegenteil auszugehen - sind die ersten Koalitionen nur mehr eine Frage der Zeit. Die Eskapaden im Wahljahr werden dann nur mehr trübe Erinnerung an turbulentere Zeiten sein.

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