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  • »The Beginning, The Medium, The End And The Infinite«

Es geht um die interstellare Perspektive

Ein Konzeptalbum zum Denken und Tanzen: »The Beginning, The Medium, The End And The Infinite« vom angolanischen Duo Ikoqwe

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 4 Min.

Westliche Popmusik und afrikanische Spielweisen bedingen sich gegenseitig. Das hat nicht erst Paul Simon mit seinem 1986 mit südafrikanischen Musikern aufgenommenen Album »Graceland« bewiesen.

Der Blues, die Ursuppe des meisten, was im 20. Jahrhundert den Soundtrack zum Aufstand bildete, war die Musik der Nachkommen aus Afrika eingeschleppter Sklaven. Und auch Hip Hop, die derzeit wohl wirkmächtigste Subkultur, hat Wurzeln in Afrika. Dass dort wiederum die Musik der Kolonial- und Hegemonialmächte ihre Spuren hinterließ und noch hinterlässt, ist kaum zu überhören.

In etlichen Ländern des Kontinents ist Rap die Stimme der jugendlichen Opposition - man denke nur an den Ugander Bobi Wine. Auch House und Reggae sind in vielen Regionen populär, sogar Country und Heavy Metal gedeihen in ihren Nischen. Dank Internet und digitaler Produktionsweisen hat sich der transkontinentale Ideenumschlag rasant beschleunigt, kulturelle und geografische Entfernungen scheinen bedeutungslos geworden, sieht man von den ökonomischen Bedingungen ab.

Die kaum mehr vollständig nachzuvollziehenden Rückkopplungen zwischen dem sogenannten globalen Süden und den industriellen Metropolen spiegeln sich in der Person des umtriebigen Künstlers Pedro Coquenão: Im Jahrhunderte lang von Portugal kolonialisieren Angola geboren und in Lissabon aufgewachsen, arbeitet er unter dem Namen Batida an einer Musik, die die skizzierten Grenzen frohgemut einreißt, ohne dass die Signaturen ihrer Quellen unkenntlich würden. Samples angolanischer Songs aus den 70ern und 80ern, als dort ein hybrider elektronischer Sound namens Batida entstand, treffen auf zeitgenössische urbane Beats und Rap. Schön zu hören ist das unter anderem auf dem Album »Konono No. 1 Meets Batida« von 2016, das Coquenão mit dem kongolesischen Ensemble Konono No. 1 aufnahm.

Diese in den 60er-Jahren gegründete Band spielt auf elektrisch verstärkten Daumenklavieren und Perkussionsinstrumenten vom Schrottplatz eine frenetische, auf traditionellen Ritualen basierende Musik. Coquenão unterlegte diesen Sound mit einem mächtigen Bassfundament und schuf ein attraktives Update des Konono-Sounds.

In Lissabon mischt er zudem seit knapp zehn Jahren im Gefolge des angolanisch-portugiesischen Kollektivs Buraka Som Sistema und neben Produzent*innen aus den Vorstädten wie DJ Marfox, DJ Nigga Fox, DJ Firmeza, Nídia, Niagara den Sound der Stadt auf. Vor allem auf dem Label Principe Príncipe erscheint diese Musik, die Stile wie Funana, Tarraxo, Kuduro mit Hiphop, Techno und House verbindet.

Mit seinem langjährigen Freund, dem angolanischen Rapper und Politaktivisten Luaty Beirão alias Ikonoklasta, hob Coquenão das Projekt Ikoqwe aus der Taufe, das nun mit geistesverwandten Gästen wie dem aus Soweto stammenden Spoek Mathambo sowie den portugiesischen Acts Octa Push und Celeste Mariposa sein Debüt-Album »The Beginning, The Medium, The End And The Infinite« aufgenommen hat.

Musikalisch knüpft es an Coquenãos bisherige Arbeiten an, ist jedoch stärker von Hip Hop geprägt. Mit Field Recordings aus den 50er-Jahren, in denen Instrumente wie das Daumenklavier Kissange zu hören sind, Radio-Samples und meist reichlich satten Beats unterlegen sie ihre auf Englisch, Portugiesisch, Umbundu und in angolanischem Straßenslang formulierten Texte.

»The Beginning, The Medium, The End And The Infinite« ist eine Art Konzeptalbum. Ikoqwe verorten sich als Reisende in Zeit und Raum, zwischen einem universalen Reset und der Ewigkeit. Von diesem Ort aus beschäftigen sie sich mit Geschichtsklitterung, Neokolonialismus, materiellen Ungleichheiten und Utopia - im Video ihres bereits vor einem Jahr veröffentlichten Tracks »VaiVai« düsen die beiden in einem Minivan-Taxi von Angola aus in Richtung Weltraum. »Space is the place«, sagte schon Sun Ra, einer der wichtigsten Impulsgeber des musikalischen Arms des Afrofuturismus.

An diese Ideenwelt knüpfen Ikoqwe in mehrerlei Weise an, im Spiel mit Identitäten, dem Hang zum Grotesken, aber eben auch in der interstellaren Perspektive. Dabei kommt dieses Album nach einem von hypnotischer Perkussion angetriebenen Auftakt nimmt das Album allmählich Fahrt auf, kommt oft aufmüpfig, streckenweise gar ausgesprochen optimistisch daher. Eher punktuell gibt es gedeckte Töne, die, wie das Intro von »Outra Cidade (Another Town)«, vermutlich auch auf einem Notwist-Album nicht unangenehm auffallen würden.

Die Gesamtsituation mag zwar so viel Popowackeln, wie diese Musik hervorruft, nicht nahelegen, erst gar in diesen clublosen Zeiten, aber vielleicht gelingt es über den von Knarf Rellöm skizzierten Umweg - »move your ass and your mind will follow« - , auch die Verhältnisse zumindest ein bisschen zum Tanzen zu bringen. Ein Vergnügen ist es aber auch so schon.

Ikoqwe: »The Beginning, the Medium, the End and the Infinite«(Crammed Discs)

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