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Schuften für einen NS-Musterbetrieb
Henschel-Werke in Schönefeld beuteten bis 1945 Tausende Zwangsarbeiter aus. Von Tomas Morgenstern
Als 15-Jähriger kam Kazimierz Banach aus dem polnischen Stęszew gemeinsam mit 30 weiteren jungen Leuten in Berlin an. Im bitterkalten März 1941, unter Gewaltandrohung dienstverpflichtet zur Zwangsarbeit bei den Henschel-Werken. »Wir hatten keine Ahnung, um was für Werke es sich dabei handelte. Aber es war ein neues Lager, neue Baracken, neue Betten, neue Strohsäcke aus diesen Holzspänen«, so schilderte er 2005 seine Erinnerungen, festgehalten für Interview-Archiv »Zwangsarbeit 1939-1945« der Freien Universität Berlin. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 22. April 1945 musste Banach mit polnischen und russischen Zwangsarbeitern in Schönefeld in der Flugzeugproduktion des Rüstungskonzerns schuften. Das Barackenlager, das sie nur im Ausnahmefall verlassen durften, habe unter dem Kommando eines unangenehmen deutschen Lagerführers gestanden. »Er trug immer einen Knüppel. Es war so ihre Art, dass sie damit zuschlugen, wenn es nötig war, wenn einer nicht kam oder machte, was er sollte«, so Banach. »Wenn jemand etwas nicht richtig machte, schrie er sofort los und drohte sogar mit der Pistole.« Sie nannten ihn »Hündin«.
Der am 31. Oktober 2020 eröffnete »Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt« (BER) ist der einzige Airport der deutschen Hauptstadt. Dass er in Brandenburg, auf dem Gebiet der Gemeinde Schönefeld liegt, wissen viele Flugreisende gar nicht. Mit der Integration des früheren DDR-Flughafens Berlin-Schönefeld als Terminal 5 in den BER ist der Ortsname von Gebäuden, Anzeigetafeln und Flugtickets verschwunden. Ob das in der Coronakrise nun »temporär« stillgelegte Terminal je wiederbelebt wird, ist fraglich.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Dass die Geschichte dieses Luftfahrtstandortes nicht in Vergessenheit gerät, dazu will die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) einen eigenen Beitrag leisten. Sie hat ihren Sitz in Schönefeld in den Verwaltungsgebäuden der früheren Henschel-Flugzeugwerke. Anlässlich der Stilllegung des Schönefelder Terminals informierte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup am 22. Februar, dass das Unternehmen die Geschichte der Henschel-Flugzeugwerke wissenschaftlich aufarbeiten lasse. »Das ist ein Teil der Geschichte, der wir uns stellen müssen«, erklärt er. Bis zum Sommer wolle man eine eigene Publikation vorstellen, sagte eine FBB-Spre᠆cherin dem »nd«. Man darf gespannt sein, wie darin der Pakt der Wirtschaft mit dem NS-Staat bewertet wird, ihre Verstrickung in den verbrecherischen Krieg, die Profitmaximierung durch Ausbeutung von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen.
Die Flughafengesellschaft kann sich bei den Recherchen auf fundierte Vorarbeiten stützen. So hat der frühere Flugkapitän Horst Materna, bis 1990 Flugbetriebsleiter der DDR-Fluggesellschaft Interflug mit dem 2010 erschienenen Band »Die Geschichte der Henschel-Flugzeugwerke in Schönefeld bei Berlin 1933-1945« ein Standardwerk vorgelegt. Wobei sich Maternas auf vielen Firmendokumenten basierende Chronik vor allem der Entwicklung des Werkes und der dort entwickelten, erprobten und gebauten Flugzeuge, Waffen und Geräte widmet.
Ausführlich wird der Charakter der Henschel-Werke als NS-Musterbetrieb auch im »Planfeststellungsbeschluss Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld« aus dem Jahre 2004 beleuchtet.
Die Firma Henschel & Sohn, als Gießerei 1810 in Kassel gegründet, hatte sich als Waffen-, Maschinen- und Fahrzeugproduzent einen Namen gemacht. Ihr Bestreben, von der Wiederaufrüstung zu profitieren, die die nationalsozialistischen Machthaber nach 1933 vertragsbrüchig in Gang brachten, führte sie nach Berlin in die Nähe der Macht. Geblendet von der Aussicht auf schnellen wirtschaftlichen Erfolg und Großaufträge.
Mit der Gründung der Henschel Flugzeug-Werke AG (HFW) stieg das Unternehmen 1933 in den Flugzeugbau ein, mietete sich zunächst am Flugplatz Berlin-Johannisthal ein. Mit direkter Protektion der NS- und der Militärführung entstand 1934 in Schönefeld eine komplett neue Flugzeugfabrik mit einem eigenen Werksflugplatz.
Wie das ablief, kann man im Teil B des Planfeststellungsbeschlusses nachlesen, der die Geschichte des späteren Verkehrsflughafens in Schönefeld abhandelt: Henschel habe damals unter dem besonderen Schutz von Hermann Göring, einst ein erfolgreicher Jagdflieger und nach Hitler die Nummer zwei im NS-Staat, gestanden. »Im Juli 1934 entschied sich Direktor Hormel nach der Untersuchung von 19 möglichen Standorten für Schönefeld/Diepensee. Am 10. Oktober 1934 unterzeichneten Adolf Hitler und Hermann Göring die Zulässigkeitserklärung für die Enteignung und Errichtung einer Flugzeugfabrik; am 13. Oktober 1934 wurde die Freistellung von baupolizeilichen Genehmigungen erteilt und zwei Tage später erfolgte der erste Spatenstich. Die Enteignungsverfügung wurde am 17. Mai 1935 von Adolf Hitler unterzeichnet.« Da war die Flugzeugproduktion in der ersten neuen Montagehalle bereits angelaufen. Bereits im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) setzte die von Deutschland zur Unterstützung der Franco-Putschisten aufgestellte »Legion Condor« Henschels Sturzkampfbomber Hs 123 gegen die Republik ein.
Zur Sicherung der Kriegsproduktion bei HFW wuchs die Belegschaft von 6600 Mitarbeitern (1937) auf über 10 000 (1939). Ab 1941 setzte man auch Kriegsgefangene ein. »Im Jahresbericht 1943 werden neben ca. 9700 deutschen Beschäftigten und 440 italienischen Kriegsgefangenen auch 5254 Ausländer, meist Russen (2445) oder Polen (1224) genannt, so dass die Belegschaft insgesamt 14 955 betrug«, heißt es dazu in der Darstellung der Flughafengeschichte. Im Februar 1942 sei der Bau eines »Russenlagers« für sowjetische Kriegsgefangene geneh᠆migt worden. Für Hunderte weibliche Häftlinge des KZ Ravensbrück wurde eine Werkhalle ab 1944 zum Außenlager. Bei dessen Räumung 1945 ermordete die SS viele der Frauen. Mancher Deutsche bereichert sich an den »Ostarbeitern«. Für sie bestimmte Lebensmittel würden »je nach der Willkür der Lagerleiter verteilt oder vorenthalten« zitiert eine Dokumentation des Vereins »Kulturlandschaften Dahme-Spreewald« eine Zeu᠆genaussage vor dem Internationalen Militärgerichtshof nach dem Krieg. »Große Mengen von Lebensmitteln werden verschoben.«
14 000 Flugzeuge wurden bis 1945 in Schönefeld gebaut. Henschel wurde in der sowjetischen Besatzungszone als Kriegsgewinnler enteignet. In der Bundesrepublik ver᠆ließ der Erfolg die Firma in den 1960er Jahren, verlor sich ihr Name erst in Fusionen.
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