Die Hoffnung wächst

»Amal, Berlin!« - ein Medienprojekt für Migranten, das über die Hauptstadt hinauswächst

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 5 Min.

Es begann mit einem Workshop an der Evangelischen Journalistenschule Berlin. Zehn geflüchtete Journalistinnen und Journalisten aus Syrien, Afghanistan, Iran und Ägypten hatten sich monatelang in die deutsche Kultur- und Medienlandschaft eingearbeitet. Daraus entstand im März 2017 »Amal, Berlin!«, Arabisch für »Hoffnung, Berlin!« Seitdem veröffentlicht das »Amal«-Team jeden Tag Nachrichten auf Arabisch, Farsi und Dari. Das soll vor allem neu angekommenen Menschen eine erste Orientierung geben. Aber ist das heute noch nötig? Mehr denn je, sagen die Macher. Und die Hoffnung wächst.

»Ich arbeite pro Woche 20 Stunden. Ich habe zwei Nachrichtenschichten. Jeden Tag wählen wir fünf Nachrichten, die wir auf unserer Facebook-Seite veröffentlichen«, sagt Khalid Alaboud aus Syrien, 36 Jahre alt. Von Anfang an ist er bei »Amal, Berlin!« dabei - einem Projekt des Gep-Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, zu dem auch die Evangelische Journalistenschule gehört. Finanziell unterstützt wird das Projekt von der Evangelischen Kirche, der Mercator-, Körber- und Schöpflin-Stiftung.

»In normalen Zeiten kommen wir um 8.30 Uhr zusammen. Wir diskutieren, was wichtig ist. Danach wählen wir zwei Nachrichten international oder aus Deutschland, drei Nachrichten über Berlin. Bis elf Uhr. Und danach recherchieren wir unsere eigenen Geschichten«, erklärt der »Amal«-Redakteur. Zurzeit arbeite er zum Beispiel an einem Artikel über einen syrischen Flüchtling, der als Abgeordneter in den nächsten Bundestag einziehen will.

Khalid Alaboud bemüht sich auch, seinen Landsleuten die neuere deutsche Geschichte näher zu bringen: »In arabischer Sprache kennen wir zum Beispiel Goethe, Heinrich Heine, Hermann Hesse. Aber die neuere deutsche Geschichte kennen wir nicht. Deswegen interessiere ich mich für Sophie Scholl. Was macht die Leute stark? Weil wir jetzt Diktatoren und Terrorismus erleben.«

Von Beruf ist Khalid Alaboud Lehrer für arabische Sprache und Literatur. Schon in Syrien und in Jordanien hat er erste Erfahrungen mit dem Zeitungs- und Radiojournalismus gesammelt. Auf Vermittlung von »Reporter ohne Grenzen« kam er 2014 nach Deutschland. Seitdem machte er in Berlin weiter, schrieb erste Artikel für »nd«, »taz« und »Tagesspiegel«. Im rbb-Kulturradio moderierte er zusammen mit einem deutschen Kollegen eine Tandem-Sendung. Später sind Videos auf Deutsch mit arabischen Untertiteln entstanden, »Mini-Stories zum Mauerfall«, heute noch zu sehen auf der Website von »Amal, Berlin!«

Seit zwei Jahren arbeitet Maryam Mardana aus Schiras im Iran bei dem Medienprojekt mit. In normalen Zeiten muss sie sich den schlichten 20-Quadratmeter-Raum unter dem Dach der Evangelischen Journalistenschule Berlin mit neun Kolleginnen und Kollegen teilen. Fast keine Technik, nur Tische und Stühle, dafür aber umso mehr Engagement, sagt sie. »Jetzt habe ich mein Office zu Hause. Am Anfang, vor der Coronakrise, war ich nicht sehr glücklich, dass alle Leute in nur einem Zimmer sitzen müssen. Aber danach habe ich verstanden, dass wir lernen müssen, miteinander zu kommunizieren. Wir haben hier zum Beispiel ein gemeinsames arabisch-persisches Team. Das war eine neue Erfahrung für mich.«

Zur Gründungsidee von »Amal« gehörte, Exil-Journalisten und -Journalistinnen zumindest halbtags eine Anstellung zu geben. Mittlerweile gibt es sogar »Amal, Hamburg«, bald auch Bremen, München und Sachsen, hofft Projektleiterin Julia Gerlach und berichtet: »Es gab eine Diskussion, als ›Amal, Hamburg!‹ online ging: ›Wann fangen die denn endlich mal an auf Deutsch zu berichten? Das ist doch gegen die Integration, was die da machen! Dass die nicht Deutsch lernen müssen.‹ Wir haben immer dagegengesetzt: Es ist wichtig, dass die Leute wissen, was passiert, bevor sie so gut Deutsch können, dass sie selbst klarkommen.« Die Nachfrage sei im letzten Jahr sprunghaft gestiegen, informiert Julia Gerlach stolz. Allein bei Facebook habe »Amal« mehr als 125 000 Follower. »Und jetzt, in diesen Corona-Zeiten, stellt niemand mehr die Frage, wann wir denn endlich auf Deutsch berichten. Alle möglichen Institutionen bemühen sich, den Menschen in ihren jeweiligen Heimatsprachen zu vermitteln, dass es wichtig ist, Maske zu tragen, sich impfen zu lassen, usw. Also wenn wir wollen, dass die Leute mitmachen, brauchen wir guten professionellen Journalismus, der den Leuten ermöglicht, sich eine Meinung zu bilden«, sagt Gerlach.

Es sei allerdings bislang kaum gelungen, Exil-Journalisten und -Journalistinnen in deutschsprachige Medien zu vermitteln, ihnen gar eine Festanstellung bei Verlagen oder Radiosendern zu vermitteln, räumt die Journalistin ein. Das Interesse deutscher Medien an den speziellen Blickwinkeln von Flüchtlingen und Migranten habe deutlich nachgelassen. »Am Anfang war das noch toll, spannend, aufregend: Mein erstes Mal im Schwimmbad. Mein erstes Mal in der Eislaufhalle. Meine erste Steuererklärung. Die hat man jetzt aber alles gelesen. Gut verkauft hat sich jetzt noch zehn Jahre arabischer Frühling. Aber der Schritt, über ganz normale Themen zu schreiben, ist schwer. Das haben wir auch noch nicht richtig geschafft«, beklagt die Projektleiterin.

Eine frühere Mitstreiterin von »Amal«, Negin Behkam, ist immerhin seit kurzem Vorstandsmitglied des DJV Berlin-JVBB und feste Redakteurin des »L-Mag«.

Auch wenn die Evangelische Journalistenschule Berlin derzeit um ihre Existenz bangt, gebe es die Zusage des Trägers Gep, dass »Amal« weitergeführt werde, sagt Julia Gerlach: »Jetzt kommen die Bundestagswahlen. Da gibt es rund 80 000 Migranten, die das erste Mal wählen gehen! Die müssen sich irgendwie informieren. Die können zwar deutsch. Aber vielleicht erreicht man sie auch über die sozialen Kanäle, die wir aufgebaut haben und individueller sind als irgendwelchen Webseiten, die sich keiner anguckt.«

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