Altes Geld und neue Macht

In »Breaking Even« wühlt eine Anwältin im Dreck der deutschen Geschichte. Fans fordern unter SaveBreakingEven eine zweite Staffel

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Rassismus, wer wüsste das besser als die Schauspielerin Lorna Ishema, findet nicht nur im Denken der AfD statt oder vor dem brennenden Flüchtlingsheim. Rassismus ist überall, auch im Firmenfahrstuhl in der Serie »Breaking Even«. Als die Wirtschaftsanwältin Nora Shaheen (Lorna Ishema) anfangs nach oben fährt, begegnet ihr eine Putzkraft auf gleicher Strecke: Upper und Working Class sind beide Personen of Colour. Das irritiert im kurzen Moment ihrer Begegnung niemanden mehr als diese beiden Filmfiguren.

Oben oder unten - so lauten allerdings auch weit darüber hinaus die Kernthemen einer Produktion, die an Familiendynastien von Krupp über Benz bis Wagner erinnert. Oberflächlich geht es um den Automobilhersteller Lindemann, dessen Vorstandschef und Erbe (Justus von Dohnányi) zum 100. Firmengeburtstag ein autonom fahrendes Auto präsentieren will. Nach Jahren sinkender Absatzzahlen soll es das Unternehmen zukunftsfähig machen - da verursacht Tochter Charlotte (Linda Berlin) einen tödlichen Unfall mit dem Prototyp. Ein Fall für die Rechtsabteilung. Während die neue Hausjustiziarin Nora Shaheen versucht, den gefährlichen Fall zu vertuschen, stößt sie auf einen Sumpf aus Rache, Hass, Verbrechen bis hin zum Mord im Zeichen dunkler Familiengeheimnisse bis tief in die NS-Zeit hinein. Und beim Versuch, diesen auszutrocknen, gelangt sie schließlich zur Öko-Aktivistin Jenny (Sinje Irslinger), die noch eine Rechnung offen hat mit den Lindemanns.

Die Serie ist irrsinnig opulent inszeniert und reiht sich damit ein in den Kanon deutscher Fernsehfiktionen à la »Erbe der Guldenburgs« und »Der große Bellheim«. Dynastische Epen, die vor lauter Gravität gern mal ins Pathetische abdriften. Wie die Regenbogenpresse pflegt das Regenbogenfernsehen seine Nahdistanz zur Aristokratie, starrt mit einer Mischung aus Faszination und Ekel auf Geld und Macht der oberen Zehntausend. Doch inmitten unzähliger Intrigen einer dysfunktionalen Sippe, die neben der windigen Skandalnudel Max (David Rott) Figuren wie das traumatisierte Entführungsopfer Victoria (Sandra Borgmann) oder den linksradikalen Enkel Kosta (Rafael Gareisen) aufweist, liefert Autor und Regisseur Boris Kunz auch eine abgehobene, zugleich aber bodenständige Milieustudie des sterbenden Industriestandorts Deutschland.

Und die zeigt sich nicht nur in Gestalt einer Schwarzen Hauptfigur, deren Familie endlich mal mit keinem der fiktionsüblichen Migrationsprobleme von Gewalt bis Armut zu kämpfen hat. Das frühere Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin, Lorna Ishema, verkörpert die Wirtschaftsanwältin so herkunftslos, wie sie und ihre Familie selbstverständlicher Teil der Gesellschaft in Deutschland sind.

Überhaupt kann (und muss) man »Breaking Even« vieles vorhalten, allem voran die aufgeblasene Inszenierung neofeudaler Realitätsverweigerung mit Hang zum Mystizismus - beim Thema Diversität jedoch schafft es dieses Format, Normabweichungen von der Dominanzkultur in Deutschland ohne Toleranz-, gar Mitleidsgefasel zu bebildern. Wie sehr Nora Shaheen schon optisch aus dem Erbadel unbegrenzter (Macht-)Mittel hervorsticht, ist daher ebenso viel oder wenig bedeutsam wie die anderen Normabweichungen der vielschichtigen Lindemanns.

Und das weiß niemand mehr zu schätzen als ihre Darstellerin selbst. BIPoCs, kürzt sie jene Black, Indigenous and People of Color ab, »werden oft die gleichen Fragen gestellt, die sich in unterschiedlichen Abstufungen ums Anderssein und die Erfahrung damit drehen«. Nicht dass diese Geschichten uninteressant wären, fügt Ishema hinzu, »aber sie lenken oft von der eigentlichen Arbeit ab und reproduzieren alte Bilder«.

Dass solche Fragen mal nicht von der eigentlichen Arbeit ablenken, bleibt allerdings ein sechsteiliger Einzelfall. Obwohl die Serie von Feuilleton und Fans geliebt wurde, setzt das ZDF sie nicht fort. Selbst eine Rettungsinitiative unter dem Hashtag SaveBreakingEven konnte den Sender nicht dazu erweichen. Diversität, ließ er verlauten, sei ihm zwar »wichtig, und wir schätzen aufmerksame Zuschauer*innen, die uns dahingehend unterstützen«. Doch leider waren die Quoten zu niedrig. So bleibt einer wegeweisenden Serie nur die Mediathek, während der übliche Durchschnitt Sendezeiten blockiert. Schöne alte Welt.

»Breaking Even«, verfügbar bis 13. Oktober in der ZDF-Mediathek.

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