Hoffnung nach schwerem Verlust

Ein neues Buch erklärt, welche unterschiedlichen Gefühle mit Trauer verbunden sein können

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 4 Min.

In seiner jahrzehntelangen Berufspraxis hat Klaus Onnasch oft erlebt, wie Menschen, die einen schweren Verlust erlebt haben, zwischen beiden Gefühlen hin- und herschwingen. So musste etwa der Raum eines Bestattungsinstituts, in dem sich eine seiner Gruppen traf, eine Schallisolierung einbauen: Dort wurde so viel und so laut gelacht, dass andere irritiert waren. Wie kann das sein? Onnasch stellt in seinem Buch »Trauer und Freude« ein Modell vor, das er aufgrund persönlicher Erfahrungen und biologischer Erkenntnisse entwickelt hat.

Nach einem schweren Verlust sind manche Menschen wie erstarrt, andere wollen den Tod nicht wahrhaben oder spüren tiefe Wut. Solche archaischen Reaktionsweisen wie Flucht, Kampf oder den Totstellreflex sichern zwar das Überleben, sind aber mit Stress verbunden. Trauer versteht Onnasch dagegen als aktiven Prozess, der zu Stressabbau führt und auch freudige Gefühle wieder möglich macht: »Im Trauerprozess geht es auch um ein Schwingen zwischen Schmerzerfahrung, lösender Trauer und oft unerwarteter Freude.« Wichtig ist dabei außerdem: Beide Gefühle wirken ansteckend.

Kultur und Religion spielen demnach eine große Rolle dabei, wie Trauer und Freude zum Ausdruck kommen. In afrikanischen Ländern südlich der Sahelzone etwa werden Abschied und Neubeginn in der Gemeinschaft gefeiert. Die Bestattung wird meist als großes, mehrtägiges Fest begangen, an dem viele Angehörige, Freunde und Nachbarn teilnehmen. Da Onnasch seit 1982 regelmäßig Uganda besucht und dort in der Trauerbegleitung aktiv war, berichtet er von bewegenden Erfahrungen, die er in der Region Bushenyi gemacht hat. Dort erlebte er, wie Trauer durch Lieder, Tänze und Trommelrituale zum Ausdruck gebracht wurde. So beschreibt er das Treffen einer Trauergruppe, bei dem zunächst geklagt und geweint, dann immer wilder getrommelt und getanzt wurde, bis sich alle in ausgelassener Stimmung umarmten. Wichtig ist dabei, dass Onnasch stets darauf hinweist, wie stark sich die Trauerkultur von Region zu Region unterscheidet - denn bis heute neigen Europäer im Hinblick auf Afrika zu groben Vereinfachungen.

Gemein ist afrikanischen Kulturen allerdings, dass meist eine enge Verbindung zu den Verstorbenen als »Ahnen« gepflegt wird - ebendas gilt auch für Kulturen Mexikos. Das wird beim mittlerweile international bekannten »Tag der Toten« deutlich, der auf der Vorstellung beruht, dass die Toten jedes Jahr einmal auf die Erde zurückkehren, um mit den Lebenden ein fröhliches Fest zu feiern. Bei der dreitägigen Feier, die am 31. Oktober beginnt, wird mit farbenprächtigen Umzügen, Blumen und Speisen voller Freude der Verstorbenen gedacht. Traditionen nach diesem Vorbild haben bei vielen Menschen dazu geführt, »selbst der eigenen Trauer um den Verlust eines nahen Menschen mehr Spielraum zu geben«, wie Onnasch schreibt. Auch hierzulande kommt es inzwischen öfter vor, dass sich zum Beispiel Freunde am Geburtstag des Toten zum Feiern, Essen oder Musizieren treffen - und Trauer mit Freude verbinden.

Das Buch lebt von den vielfältigen, reichen Erfahrungen, die Onnasch gesammelt hat. Er berichtet nicht nur von seiner Arbeit als Trauerbegleiter, sondern auch von seiner persönlichen Lebensgeschichte, die ebenfalls von schweren Verlusten geprägt ist. Auch er hat Trauer und Freude erlebt, was er als bereichernd empfand. Seine Botschaft ist eine zutiefst hoffnungsvolle: »Konfrontiert mit dem Verlust, mit dem Abschied und auch mit der Grenze unseres eigenen Lebens, können wir neu entdecken, wie jeweils beide Seiten zusammengehören: Leben und Tod, Diesseits und Jenseits, Trauer und Freude.«

Wie das in der Praxis aussehen kann, schildert ein Witwer aus einer Trauergruppe Onnaschs. Nach dem Tod seiner Frau sind seine Gefühle zunächst hilflos und durcheinander. Im Lauf der Jahre ändert sich seine Situation, und der Garten, den ihm seine Frau vor ihrem Tod ans Herz gelegt hat, bekommt eine neue Bedeutung. Er wird für ihn zu dem Ort, an dem er sich ihr besonders nahe fühlt. Beim kreativen Werkeln im Grünen hat er gute Gedanken an sie. Als eines Tages die Rosen besonders prächtig blühen, denkt er spontan: »Das muss ich unbedingt meiner Frau zeigen, ihr ein Foto schicken!« Über diesen Gedanken muss er lächeln - vor allem löst er Freude aus.

Klaus Onnasch: Trauer und Freude. Das eigene Leben nach schwerem Verlust gestalten. Klett-Cotta, 180 S., br., 20 €.

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