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Weil der Fußball schön ist

Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Schaut man sich das fußballerische Geschehen im österlichen Osten an, sieht man wenig freudige Gesichter. Den Vereinen läuft der Nachwuchs weg, die Beitragskassen der Klubs sind leer, die Spielstätten verwaist und die Vereinskneipen trockengelegt. Im einst stolzen Grün der Plätze nistet sich die gemeine Grasmücke ein. Wo früher das Leben tobte, verlustieren sich Mutter Grünspan und Vater Spinnweb.

Über Ostern jagte die Berliner Polizei illegal kickende Kids von Bolzplätzen und Wiesen, während in Stuttgart mehr als 10 000 Coronaleugner Ringelpietz tanzten und die schwäbische Polizei den rechtschaffenen Irren Herzchen formte. Verrückte Welt. Wenn Berliner Bolzkids gegen die Schwaben antreten, können sie nur draufzahlen. Und Menschen in Uniform können nur dann zulangen, wenn sie viele und die anderen wenige sind? Was ist eigentlich mit der Gewalttäterdatei Coronaleugner?

Union gegen Hertha schaute ich gestreamt. Als zu Spielbeginn ein paar fußballverliebte Menschen ein Feuerwerk unweit des Köpenicker Stadions zündeten, bellte der moderierende Knecht am Sky-Mikrofon im biedersten Ton gegen die ausgesperrten Fans. Er sah nur »Idioten« und »Unverbesserliche«. Was für ein Knilch! Wer hat dir erlaubt, über unseren Sport zu berichten! Diese Leute, die du »Idioten« und »Unverbesserliche« nennst, dürfen seit über einem Jahr nicht mehr dem Fußball, der Liebe ihres Lebens, folgen. Das reißt ihnen jedes Wochenende das Herz heraus. Sie nehmen es klaglos hin. Lass sie Lärm machen! Für meinen Geschmack war es viel zu leise.

In der Regionalliga Nordost, wo seit fast einem halben Jahr der Ball ruht, wird der Spielbetrieb in dieser Saison höchstwahrscheinlich abgebrochen. Die Vereine bestimmten den FC Viktoria 1889 Berlin zum Aufsteiger. Der über Jahrzehnte unbedeutende Verein ist plötzlich ein Erfolgsmodell. Geführt von Leuten mit Geld, organisiert von Fachkräften vor Ort. Leise, unaufgeregt, sportlich kompetent. Ein ideales Modell für Investoren.

Natürlich gefällt es mir nicht, dass ein Klub ohne Fans aus einem Berliner Vorort in die 3. Liga aufsteigt. Aber wenn ich mir das Waschlappenensemble beispielsweise beim FC Carl Zeiss Jena anschaue, wo nach dem Abstieg dieselben Pfeifen den Most holen: geführt von hoffnungslosen Laien ohne Schotter. Lahmarschig, notorisch unbefugt. Kein Modell für Investoren, weil ein belgisches Schnatterinchen die Pittiplatschkrone aufhat. Ja, ich freue mich sehr auf ein weiteres Jahr in der belanglosesten Liga der Welt mit Spielen in vergessenen Nestern im Wolkenkuckucksheim.

Wer will denn schon in die 3. Liga, wo Teams wie Magdeburg, Halle oder Zwickau warten? Das sind doch die ewig gleichen Duelle … Ja, aber die will ich haben. Laut grölen in der Magdeburger Betonbude, fies greinen in der Halleschen Minibadewanne, mit alten Bratwürsten die Zwickauer Halbdresdner füttern.

Die Wirklichkeit heißt Fußball in der Glotze, zum Ignorieren oder Mitmachen. Wer mitmacht, finanziert den Kommerz. Aber die große Mehrheit aller Fußballfreundinnen stellt sich diese Frage nicht. Sie packt Chips und Bier auf den Beistelltisch und lässt die Fernbedienung grün leuchten.

Ich entscheide nach Appetit, vielleicht schalte ich im Juni die Europameisterschaft ein? Keinesfalls, es wäre eine Schandtat! Wahrscheinlich schon, aber nur ein bisschen.

Natürlich schalte ich ein. Weil ich es schon immer tat. Weil es wie früher ist. Weil man seine Gewohnheiten nicht ablegt. Weil draußen der Berliner Sommer eh zu warm ist. Weil Menschen nerven, weil Tiere stören, weil es viel zu laut ist, weil die Sonne scheint, weil die Sonne nicht scheint.

Weil der Fußball schön ist.

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