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Grob verschätzt

Die Berliner Schulbauoffensive kommt zwar voran, läuft aber finanziell aus dem Ruder. Von Rainer Rutz

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir haben uns die Aufgabe von Anfang an groß vorgestellt, dann hat sie sich aber doch noch einmal als viel größer herausgestellt«, sagt Steffen Zillich, haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Aufgabe - das ist die 2017 gestartete Berliner Schulbauoffensive, das größte Investitionsvorhaben des rot-rot-grünen Senats. Rund 5,5 Milliarden Euro werde man berlinweit bis 2026 in die Sanierung, Erweiterung und den Neubau von Schulgebäuden stecken, hieß es bei der Vorstellung des Programms vor vier Jahren.

Für einen Schreckmoment ersten Grades sorgte vor wenigen Tagen die Antwort der Senatsbildungsverwaltung auf zwei parlamentarische Anfragen des CDU-Abgeordneten Christian Gräff zum aktuell veranschlagten Gesamtvolumen aller Schulbaumaßnahmen: Demnach belaufen sich allein die Kosten für Neubauten und Erweiterungen auf etwas mehr als 14 Milliarden Euro. Eine Steilvorlage für die Opposition. CDU-Landeschef Kai Wegner lässt dann auch kaum ein gutes Haar an dem Großprojekt des Senats. »Neben den ausufernden Kosten lahmt die Schulbauoffensive massiv an fehlendem Personal und Aktenstau in den Verwaltungen«, sagt der CDU-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst. Es brauche »mehr Führung und eine handwerklich saubere Umsetzung«, so Wegner zu »nd«.

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Typisches Wahlkampfgeklingel, findet Linke-Politiker Steffen Zillich. Kritisieren ließe sich die bisweilen mangelnde finanzielle und konzeptionelle Transparenz der Schulbauoffensive: »Da sollten wir noch einmal nachlegen«, sagt der Haushaltsexperte zu »nd«. Tatsächlich kursieren etwa zu den neu zu bauenden Schulen unterschiedlichste Angaben. Anfangs war von 42 Schulen die Rede, die bis 2026 errichtet werden sollen, dann von 60; immer mal wieder taucht auch die Zahl 88 auf. Klar ist: Die Schülerzahlen nehmen kontinuierlich zu, in den letzten beiden Jahren jeweils um rund 5500. Doch wie viel zusätzliche Schulplätze werden in den nächsten Jahren wirklich benötigt? 2016 prognostizierte man für das Schuljahr 2025/2026 einen Mehrbedarf von 75 000 neuen Plätzen, zuletzt rechnete man, ausgehend von 2016, nur noch mit 47 000 zusätzlichen Plätzen.

Im Haus von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) arbeitet man derzeit noch am aktuellen Jahresbericht der Taskforce Schulbau, in dem alle Maßnahmen auf in der Regel fast 1000 Seiten »bezirksscharf« aufgeführt sind und der Schulplatzbedarf konkretisiert wird. Der Bericht sollte eigentlich längst vorliegen. Jüngst kündigte die Bildungsverwaltung an, dass sich die Fertigstellung des Mammutdokuments »aufgrund stark verzögerter Abstimmungsprozesse wegen des Virus Sars-CoV-2« bis Juni hinziehen wird. Was die Aufregung um die 14 Milliarden Euro anbelangt, will man aber bereits jetzt klarstellen, dass hier auch Kosten für Maßnahmen erfasst sind, die erst nach 2026 angegangen werden. Schulbau sei eben eine »Daueraufgabe der Daseinsfürsorge« und die Summe daher auch mit den einstmals genannten 5,5 Milliarden Euro »nicht vergleichbar«, so Scheeres’ Sprecher Martin Klesmann zu »nd«.

Ein wesentliches Problem: Der sogenannte Gebäudescan, bei dem 2016 der Sanierungsbedarf an den Schulen ermittelt wurde, glich in mehreren Bezirken eher einer oberflächlichen Schnellbeschau. »Allen Akteuren ist bekannt, dass der Gebäudescan keine belastbare Ermittlung der Sanierungskosten darstellt und einer Konkretisierung im Zuge des Planungsprozesses bedurft hat«, sagt Martin Klesmann.

Auch Linke-Politiker Zillich erinnert daran, dass es sich bei dem ursprünglich aufgerufenen Betrag um »eine grobe Kostenschätzung« gehandelt habe, bei der bestimmte Posten zudem nicht berücksichtigt worden seien. »Aber das wussten auch damals alle«, sagt auch Zillich mit Blick auf die heutigen Skandalisierungsbemühungen der Opposition. Letztlich gebe es aber etliche Gründe, weshalb das Land nun weitaus mehr Geld in die Hand nehmen muss: angefangen bei den überdurchschnittlichen Baukostensteigerungen über die später beschlossenen großzügigeren Raumkonzepte bis zu den damals stiefmütterlich behandelten Mehrausgaben für die Digitalisierung.

Insgesamt gesehen wirft das Kapitel Schulbau und -sanierung ein schlechtes Licht auf alle Berliner Landesregierungen zwischen 2000 und 2016, insbesondere aber auf die seit über einem Vierteljahrhundert SPD-geführte Bildungsverwaltung. Erst schaut man zu, wie die Schulgebäude immer weiter verkommen, dann stellt man Jahre zu spät überrascht fest, dass Berlin ja doch eine wachsende Stadt ist - und die Schüler in den Schrottimmobilien immer enger zusammenrücken müssen. Kai Wegner, dessen CDU von 2011 bis 2016 immerhin mitregierte, sagt: »Die Ausmaße des Sanierungsstaus in den Berliner Schulen waren lange nicht bekannt.« Trotzdem ist die Schuldige schnell gefunden: Bildungssenatorin Scheeres, die »die Bestandsaufnahme des Sanierungsstaus zu lange hinausgezögert und verschleppt« habe. Das kann man jetzt glauben oder nicht.

Denn bekanntermaßen hatten auch die Berliner Bezirke, ob SPD-, Linke- oder eben CDU-geführt, ihren Anteil an der desaströsen Entwicklung. Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) etwa erinnert sich, dass er nach seinem Amtsantritt Ende 2016 irritiert war vom Zustand vieler Schulen in seinem Bezirk. »Ich frage mich bis heute, was die vor mir hier eigentlich gemacht haben.« Und gibt dann auch verärgert die Antwort: »Nichts haben sie gemacht.«

Die Schulbauoffensive käme auch in Lichtenberg mindestens fünf Jahre zu spät, sagt Grunst zu »nd«. Immerhin gehe es inzwischen voran. Mehr als ein Dutzend Schulen sollen in dem wachsenden Bezirk neu gebaut werden, zwei davon sind bereits fertig. Hinzu kommen drei Schulgebäude aus DDR-Zeiten, die gerade reaktiviert werden. Grunst sagt: »Der Ausbau der Platzkapazitäten ist das A und O. Auch deshalb haben wir alles reaktiviert, was noch stand und nicht bereits anderweitig genutzt wird.«

Wie viele Schulplätze denn nun tatsächlich in den kommenden Jahren benötigt werden könnten, soll mit dem demnächst erscheinenden Jahresbericht letztlich wenigstens etwas klarer sein. »Mit der Umstellung des Prognosemodells im Rahmen des Schulbaumonitorings 2020 wird die Berechnung des Schulplatzbedarfes deutlich belastbarer«, sagt Bildungsverwaltungssprecher Martin Klesmann. Aber sicher sei eines: »Jetzt zu bauen ist alternativlos.«

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