Ein Schlag ins Gesicht der Mieterinnen und Mieter

Der Berliner Senat will in der kommenden Woche darüber beraten, wie Nachforderungen von Mieten abgefedert werden können

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Als um kurz nach 9.30 Uhr am Donnerstagmorgen die Eilmeldung über die Ticker läuft, dass Karlsruhe den Berliner Mietendeckel kippt, haben sich die meisten Organisationen und Parteien auf alle Eventualitäten vorbereitet. »Wir bedauern den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts außerordentlich, er ist ein Schlag ins Gesicht nicht nur der Berliner Mieter und Mieterinnen«, sagt Reiner Wild, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. In dem Verband sind über 180.000 Mieterinnen und Mieter in der Hauptstadt organisiert.

Am Vortag hatte Wild gegenüber »nd« noch der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass der Mietendeckel als verfassungsgemäß eingeschätzt werde. Auch die Option, dass Teile des Gesetzes wie der Mietenstopp bleiben, hatten in den Überlegungen des wichtigen Verbandsvertreters eine Rolle gespielt. Dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz nun in Gänze für nichtig erklärt, bezeichnet Wild nach der Entscheidung am Donnerstag als »sozialpolitisch unverantwortlich«. »Nach unserer Auffassung hätte das Bundesverfassungsgericht Alternativen zu dieser Entscheidung gehabt«, betont der Geschäftsführer des Mietervereins. Das Scheitern des Gesetzes zur Dämpfung der in den vergangenen Jahren explodierten Mieten in der Hauptstadt sei auch vor allem deshalb bedauerlich, weil der Mietendeckel zu einer Beruhigung bei der Mietenentwicklung geführt habe.

Statt des wirksamen Deckels gelten nun wieder die Bundesregelungen in Berlin. Mit Folgen: Dank der löchrigen Mietpreisbremse werden die Wohnungssuchenden nun laut Mieterverein wieder Forderungen weit über zwölf Euro pro Quadratmeter erfüllen müssen.

Was die befürchtete Kündigungswelle angeht, beruhigt der Berliner Mieterverein: »Eine sofortige Kündigungsmöglichkeit besteht nicht, weil Mieter und Mieterinnen sich an geltendes Gesetz gehalten haben. Allerdings besteht eine alsbaldige Rückzahlungspflicht für Differenzbeträge«, heißt es am Donnerstag in einer Presseerklärung. Außerdem hätten einvernehmliche Vereinbarungen ohne die sogenannten Schattenmieten zum Beispiel bei neuen Mietverträgen Bestand. Der Verband appellierte auch an die Vermieterinnen und Vermieter, sich gegenüber ihren Mieterinnen und Mietern »fair« zu verhalten und sich »einvernehmlichen Lösungen« nicht zu verschließen.

Eine Umfrage der Berliner Sparkasse, die »nd« vorliegt, hatte im Februar dieses Jahres gezeigt, dass nur eine Minderheit entsprechende Rücklagen für mögliche Mietrückzahlungen nach dem Scheitern des Deckels gebildet hatten. 41 Prozent der Befragten der Umfrage hatten das gemacht, 47 Prozent hatten kein Geld beiseite gelegt. Als der Mietendeckel 2019 vorgestellt wurde, hatten Senatsvertreter*innen immer wieder betont, dass wegen der erwartbaren Auseinandersetzung vor Gericht entsprechende finanzielle Rücklagen zu bilden seien.

Am Donnerstag hieß es nun, dass die Mitte-links-Koalition am kommenden Dienstag über Konsequenzen aus dem Urteil beraten und eine Lösung für die Mieterinnen und Mieter erzielen will. »Dabei sieht sich der Senat auch in der Verpflichtung, sozialverträgliche Lösungen für Mieterinnen und Mieter zu entwickeln«, erklärte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel. Der Linkspartei-Politiker verwies auf die Folgen des Karlsruher Urteils: Für die Mieterinnen und Mieter bedeutet dies, dass sie wieder die mit ihren Vermieterinnen und Vermietern auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches vereinbarten Mieten zu entrichten und gegebenenfalls auch die Differenz zwischen der Mietendeckelmiete und der Vertragsmiete nachzuzahlen haben.

Die Berliner CDU, die sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene mit Organklagen gegen den Mietendeckel vorgegangen war, warf dem Senat vor, mit »seinem falschen Mietendeckel-Versprechen« getäuscht zu haben. »Viele Menschen haben sich auf die Behauptungen des Senats verlassen. Es dürfe nicht sein, dass sie dafür die Rechnungen zahlen sollen«, erklärte der CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner.

Doch dazu könnte es nicht kommen. Die Koalitionsrunde von Rot-Rot-Grün in Berlin beschloss noch am Donnerstag, dass es einen Härtefallfonds geben soll. »Wir wollen den mit einem zweistelligen Millionenbetrag ausstatten«, sagte SPD-Landeschef und Fraktionschef Raed Saleh zu »nd«. Auch die CDU hatten einen solchen Notfallfonds gefordert.

Dass sich die Berliner CDU nach diesem Urteil vorgeblich für die Mieterinnen und Mieter einsetzen will, erbost die Linken-Landeschefin Katina Schubert. »Die Mieterinnen und Mieter müssten erkennen, wer ihre Partner sind, die CDU ist der Büttel der Immobilienlobby«, sagt Schubert dieser Zeitung. Die Partei würde alles »weghauen«, was den Interessen der Immobilienlobby zuwiderläuft. Auch die Berliner Grünen und SPD betonten, dass sie weiter für die Regulierung von Mietpreisen kämpfen und einsetzen wollen.

Die stadtpolitische Bewegung der Berliner Mieterinnen und Mieter, die ursprünglich erst den politischen Druck aufgebaut hatte, damit dem Mietenwahnsinn in Berlin etwas entgegengesetzt wird, rief unterdessen noch für den Donnerstagabend zu Protesten auf. Für 18 Uhr war eine Demonstration am Hermannplatz im Berliner Bezirk Neukölln angemeldet worden. Das Motto: »Jetzt erst recht!«.

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