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Vergesellschaftung per Schuldschein

Deutsche Wohnen & Co enteignen legt Gesetzentwurf für Sozialisierung ohne Kreditaufnahme vor

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen hat am Montag einen Entwurf für ein Vergesellschaftungsgesetz vorgelegt. Dort wird dargelegt, wie die Sozialisierung großer renditeorientierter Wohnungskonzerne mit mindestens 3000 Wohnungen in Berlin vonstatten gehen soll, und – eine der Hauptfragen in der öffentlichen Diskussion – wie viel Entschädigung fließen soll.

»Es geht in der Summe um rund zehn Milliarden Euro«, sagt Sebastian Schneider von der Initiative bei der Online-Pressekonferenz. »Diese absoluten Entschädigungszahlungen sind ein beliebtes Thema. Sie sind aber absolut gleichgültig, weil sie sich komplett aus den Mieten refinanzieren«, fügt er hinzu.

Volksbegehren zur Enteignung
  • Die von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen geforderte Sozialisierung Berliner Bestände renditeorientierter Konzerne beträfe geschätzt rund 240 000 Wohnungen.
  • Von den bis 25. Juni benötigten rund 175 000 gültigen Unterstützerunterschriften sind zur Hälfte des viermonatigen Sammelzeitraums am 25. April geschätzt rund 98 000 zusammengekommen.
  • Tatsächlich eingereicht worden sind bis zur Halbzeit rund 130 000 Unterschriften. Geprüft worden sind bis dahin von den Bezirken allerdings nur rund 50 000, von denen etwa ein Viertel ungültig war.
  • Kommen genug Unterschriften zusammen, können die Wählenden in Berlin am 26. September parallel zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl den Senat auffordern, ein Gesetz zur Sozialisierung großer renditeorientierter Wohnungskonzerne zu erarbeiten.
  • Es steht kein Gesetzentwurf zur Abstimmung. Das ist eine Konsequenz aus den negativen Erfahrungen mit dem Mietenvolksentscheid 2015, dessen zugrundeliegender Entwurf höchstwahrscheinlich verfassungswidrig war. Da der Sozialisierungs-Artikel 15 des Grundgesetzes noch nie angewandt wurde, ist die rechtliche Unsicherheit noch größer. nic

Basis der Berechnungen ist eine monatliche Nettokaltmiete von 4,04 Euro pro Quadratmeter. Dieser Wert errechnet sich aus der sogenannten Leistbarkeit armutsgefährdeter Haushalte. Sie sollen nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für die Bruttowarmmiete zahlen müssen. Die läge zuzüglich der durchschnittlichen Heiz- und Betriebskosten bei 7,16 Euro.

Für die Berechnung der konkreten Entschädigungssumme zieht die Initiative im Gesetzentwurf monatlich 2,76 Euro pro Quadratmeter Bewirtschaftungskosten ab. Das ist solide gerechnet. Für eine 65-Quadratmeter-Wohnung würden in der Summe über den zu Grunde gelegten steuerlichen Abschreibungszeitraum von 40 Jahren knapp 40 000 Euro Entschädigung fällig werden.

Bargeld soll aber zunächst gar nicht fließen. Stattdessen sollen Unternehmen wie Deutsche Wohnen oder Vonovia Schuldverschreibungen erhalten, die in 40 Jahresraten aus den Mieteinnahmen abgezahlt werden. Die sogenannten Entschädigungsbonds sollen von der neu zu gründenden Anstalt öffentlichen Rechts »Gemeingut Wohnen« ausgegeben werden, die die Bestände nach der Vergesellschaftung übernehmen soll. »Das ermöglicht die Entschädigung ohne Haushaltsmittel des Landes Berlin und ohne Bankkredite«, sagt Sebastian Schneider, der bei der Entwicklung des Gesetzes federführend war. Zins und Tilgung können über den gesamten Zeitraum festgeschrieben werden.

Stichtag für die Feststellung der Vergesellschaftungsreife, ein Bestand von mindestens 3000 Wohnungen inklusive Tochterunternehmen in Berlin, soll der 26. September 2021 sein. Der Tag, an dem über den Volksentscheid abgestimmt werden kann, wenn bis zum 25. Juni die benötigten rund 175 000 gültigen Unterstützerunterschriften zusammenkommen. Empfindliche Geldbußen bis zu 200 Millionen Euro drohen, falls Unternehmen Bestände verschweigen sollten.

»Was wir unter keinen Umständen vergesellschaften möchten, sind Genossenschaften«, stellt Agnes Schober von der Enteignungs-Initiative klar. »Das steht auch ganz explizit im Gesetzesentwurf.« Die Berliner CDU und die Marketinginitiative der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland versuchen, einen anderen Eindruck zu erwecken. In zahlreichen Mitgliederzeitschriften von Berliner Genossenschaften wird so Stimmung gegen das Volksbegehren gemacht.

»Der Gesetzentwurf ist sehr klar strukturiert und sorgfältig ausformuliert«, lobt Rainer Tietzsch. Er sei »ziemlich positiv angetan«. Der Rechtsanwalt ist Vorsitzender des Berliner Mietervereins. »Die Immobilien, die auf dieses Weise erfasst werden, sollen ohne Akt der Verwaltung in Gemeineigentum überführt werden«, hebt er als wichtigen Aspekt hervor. Das entspreche auch der Vorgabe des Artikels 15 des Grundgesetzes.

Anwalt Benedikt Wolfers vertritt in einem am Sonntag online veröffentlichten Gastbeitrag im »Tagesspiegel« die Ansicht, dass die Berliner Landesverfassung die Vergesellschaftung ausschließe. »Etwas amüsiert« über die »alten Kamellen« zeigt sich Sebastian Schneider von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Wolfers habe bereits 2019 versucht, mit dieser Interpretation Gehör zu finden. »Das hat niemand aufgegriffen, der in seiner Rechtsmeinung nicht von der Immobilienlobby bezahlt wird, soweit ich weiß«, so Schneider. Laut dem Online-Portal Juve.de hat die Kanzlei von Wolfers ein Mandat der Deutsche Wohnen sowohl in Bezug auf den Mietendeckel als auch das Volksbegehren.

Die Berliner Linke-Landeschefin Katina Schubert begrüßt, dass der Gesetzentwurf nun vorliegt. Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hatte im März bereits einen eigenen eher rudimentären Entwurf vorgelegt. Die verschiedenen Vorschläge müssten nun nebeneinandergelegt werden, so Schubert zu »nd«. »Wir sind da völlig uneitel. Wichtig ist, dass wir ein Gesetz hinbekommen, das funktioniert und möglichst schnell nach der Abstimmung am 26. September in Kraft treten kann«, sagt die Landeschefin.

Grünen-Co-Landeschef Werner Graf erklärt: »Es ist gut, dass die Initiative Deutsche Wohnen enteignen nun einen konkreten Entwurf vorlegt: diesen können und werden wir in Ruhe dahingehend prüfen, ob er rechtlich gangbar, geeignet und mit den für uns in unserem Wahlprogramm festgelegten Kriterien vereinbar ist.«

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