Von der Klitoris der USA zum Gentrifizierungshotspot

Berlinale Panorama: Monika Treut porträtiert in »Genderation« die genderqueere Avantgarde der 90er in San Francisco

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie kenne das Gefühl von »Gender Confusions«, Irritationen der geschlechtlichen Identität, erzählt Monika Treut am Anfang ihres Dokumentarfilms »Genderation«, der an diesem Donnerstag im Freiluftkino Kreuzberg Premiere feiert. Sie habe immer eine Nähe zu trans Menschen gefühlt, sagt die Filmemacherin, die bereits 13-mal zu Gast bei der Berlinale war. 2017 wurde sie mit dem Teddy Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

In ihrem aktuellen Werk begleitet Treut Pionier*innen der genderqueeren Community in San Francisco, die sie 1999 in ihrem Film »Gendernauts« porträtierte. Wie sieht das Leben der Aktivist*innen von damals 20 Jahre später aus?

»Genderation« macht deutlich: Das wilde, schillernde Dasein der Avantgarde ist unaufgeregter geworden. Monika Treut zeigt ruhige Bilder, weite Landschaften - und Menschen, die in vielerlei Hinsicht angekommen wirken. Die sexpositive, 1954 geborene Feministin, ehemalige Pornodarstellerin sowie Sexarbeiterin Annie Sprinkle und ihre Ehefrau Beth Stephens sind zwar immer noch ein aufsehenerregendes, in farblich passender Kleidung auftretendes Paar. Aber auch sie wirken ruhiger. Sex spielt nach wie vor eine Rolle in ihrer Philosophie, aber ihr Aktivismus hat sich verlagert - auf die Umwelt. Sie bezeichnen sich als »ökosexuell« und predigen die Rettung von Mutter Natur.

Auch bei anderen Vertreter*innen der Generation an Aktivist*innen hat sich der Fokus verschoben. Die 90er erscheinen als eine Phase der Transition - in Hinblick auf die Suche nach der eigenen Identität und des eigenen Körpers, aber auch bezogen auf gesellschaftliche Veränderungen. In der Rückschau zeigt sich, wie viel sich in 20 Jahren verändert hat. Susan Stryker beispielsweise ist inzwischen Professorin für Gender Studies an der University of Arizona. Sie berichtet aber, wie schwierig es als trans Frau war. 15 Jahre lang habe sie keinen Job bekommen, den sie sich nicht selbst geschaffen habe.

Die genderqueere Szene der 90er, die Stryker als heiß und aufregend beschreibt, wirkt heute anders, auch San Francisco: Die Stadt, die Annie Sprinkle »Klitoris der USA« nennt, ist heute von steigenden Mieten und Gentrifizierung geprägt. Immer wieder kreist der Film deshalb um die Fragen des Wohnens. Stafford beispielsweise überlegt, mit anderen Menschen in die Wüste zu ziehen, wo der Boden billig ist, um dort gemeinsam den Lebensabend zu verbringen. Rückblenden zeigen ihn als androgynes Fashion-Modell, das sich keinem Geschlecht zuordnen will. Inzwischen arbeitet Stafford als Lkw-Fahrer und scheint den Glamour der 90er hinter sich gelassen zu haben. Er spielt mit seinem Normalo-Image und erzählt, dass er sich gerne mit Menschen anfreundet, die das nicht täten, wenn sie wüssten, dass er trans ist. »Ich nenne mich gerne einen Botschafter des Trans-Seins«, sagt er.

Monika Treut hat einen langsamen, beobachtenden Film geschaffen, der sich vordergründig gar nicht so stark um Trans-Themen dreht wie erwartet. Man könnte es als positives Zeichen werten, dass im Leben von trans Menschen inzwischen eine solche Alltäglichkeit herrschen kann. Dabei sind die Fortschritte in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nicht so selbstverständlich, wie es scheinen mag. Schließlich standen erkämpfte Transgender-Rechte unter der Trump-Regierung wieder unter Beschuss.

Bei vielen US-Amerikaner*innen wird das traditionell erscheinende Leben der Protagonist*innen immer noch Irritationen auslösen. Dann zum Beispiel, wenn Sandy Stone ein Foto ihrer Kernfamilie zeigt, die 15 Personen umfasst - inklusive ihrer Ex-Frau, deren aktueller Partnerin und Kindern aus verschiedenen Beziehungen. Die Medientheoretikerin und Performerin gibt tiefe Einblicke in ihre Gefühlsgeschichte. Dass sie sich als trans Frau, Feministin und Gender-Theoretikerin ausgerechnet in einen heterosexuellen cis Mann verlieben würde, hatte sie nicht gedacht. Aber »Genderation« zeigt auch: Das Leben entwickelt sich oft anders als erwartet. Irgendwie blieben die Suche und das Dasein als »Gendernaut«, sagt Sandy Stone.

»Genderation«. Deutschland 2021. Regie und Buch: Monika Treut. Termine: 10.6., 21.30 Uhr, Freiluftkino Kreuzberg; 17.6., 21.45 Uhr, Freiluftkino Biesdorfer Parkbühne.

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