Frisch kaputt und sehnsüchtig

Plattenbau

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gab ein paar Bands, die besetzten im ausgehenden 20. Jahrhundert die musikhistorische Gelenkstelle zwischen Metal und Grunge. Sie sind bis heute leuchtende Exempel dafür, dass es diesen großen unauflöslichen Gegensatz, den die Musikgeschichte nachträglich konstruiert hat, so nie gab, dass alles schön miteinander verbunden war und die Metalheads Grunge ursprünglich gar nicht als Antagonismus, sondern eher als interessante Variation wahrgenommen haben.

Soundgardens »Badmotorfinger« (1991) war so ein Missing Link. Ein monströses, genuin schwermetallisches Krachwerk - und Cornell schrie sich die Seele aus dem Leib, spielte die Rolle des Rockshouters mit Elefantiasis an Kehlkopf und Unterleib so kongenial, das man ihm gleich einen vorderen Platz im Traditionsfeld zuwies. Erst »Superunknown« ging einen Schritt zurück, beerbte den ursprünglichen altvorderen Hardrock, der sich von Garage, Folk und Blues Rock noch nicht wirklich trennscharf unterscheiden ließ. Im Grunde war Grunge ein Akt von »Retromanie«, der aktuellen gar nicht so unähnlich.

Bei Dinosaur Jr. musste man schon eine stärkere Röntgenbrille aufsitzen haben, um den harten Kern zu erkennen, der in diesen grundverschusselten Weicheiern steckte. Leadgitarrist und -sänger J Mascis und Lou Barlow am Bass und Backgroundgesang waren zwar erklärte Black-Sabbath-Fans und konnten auch Speed Metal einiges abgewinnen - aber Mascis’ schrullig-hippiesker, verträumter, manche sagen auch larmoyanter Obernasengesang, dem er sich seit Jahrzehnten auch optisch immer mehr anzunähern versucht mit seiner Altkommunarden-Knuddeloptik? Der wattierte den Sound dieses genuinen Krachmatentrios, sodass Metalheads gern auf die falsche Fährte geschickt wurden.

Uns hingegen konnte er nie etwas vormachen. Und so waren wir wirklich froh, als die vormaligen Streithähne Barlow und Mascis wieder an einem Strang zogen Mitte der nuller Jahre, weil sie doch nicht ohne einander auskamen, oder jedenfalls allein nie so gut waren, und wieder Platten aufnahmen, denen man die Hardrock-Matrix jederzeit anhört. Auf »Beyond« (2007), »Farm« (2009), »I Bet On Sky« (2012) »Give A Glimpse Of What Yer Not« (2016) hört man Mascis-Werkstücke und ein paar Alibisongs von Barlow in dem einzig wahren Aggregatzustand. Der Riff-Sisyphos rollt unermüdlich seine massigen Akkord-Trümmer die ziemlich steilen Songs hinan, und zwischendurch hat er auch immer noch Muße für diese typisch ungestümen und trotzdem merkwürdig in sich gekehrten, um sich selbst kreisenden Solo-Tänze. Die wirken zwar mit ihrem brutzelnden Distortion-Sound ein wenig noisy, aber ihrer melodischen Struktur nach sind es ganz konservative Metal-Melodie᠆gniedeleien. Barlow und Drummer Murph halten ihm dabei souverän, aber auch nicht devot den Rücken frei. Dieser rustikale, kalkuliert ungeschliffene, 100 Prozent analoge Schimmelkellersound liefert genau das nötige Pfund an Profanität, das Mascis’ elevierte Gesangsbögen zur Erdung benötigen.

Auf »Sweep It Into Space« ist nun wirklich alles wie gehabt, und es ist vielleicht nicht so schlecht, dass die Abstände zwischen den einzelnen Alben größer werden. So freut man sich, die drei mal wieder zu hören - frisch kaputt und mit diesem sehnsüchtigen Melodieanteil im Krach, der diese Band so unwiderstehlich macht - und kommt gar nicht auf die Idee, die aktuellen Songs mit denen des Vorgängeralbums zu vergleichen.

Barlow darf mit zwei zurückgenommenen Pieces das Konzept leicht variieren, das sichert noch eine Weile den kreativen Waffenstillstand, den die beiden geschlossen haben. Alle drei Jahre ein Album auf diesem Niveau, und diese verdammte Erdschrunde ist bestimmt keine schlechtere.

Dinosaur Jr.: »Sweep It Into Space« (Jagjaguwar/Cargo)

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