Martin Dulig: Zwölf Jahre und kein Wunder

Martin Dulig kündigt Rückzug als SPD-Landesvorsitzender in Sachsen an

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Frist ist knapp überschritten. »Gebt mir zehn Jahre«, sagte Martin Dulig, als er 2009 zum Landeschef der SPD in Sachsen gewählt worden war, »und erwartet keine Wunder«. Als zehn Jahre um waren, erlebte die SPD ein blaues Wunder: 7,7 Prozent bei der Landtagswahl 2019. Dulig sagte am Wahlabend, man habe das schlechteste Ergebnis, sei aber der »coolste Landesverband«. Er blieb dessen Chef – bis jetzt.

Zwei Wochen vor einem Parteitag, auf dem er eigentlich im Amt bestätigt werden sollte, kündigte er an, sich nicht noch einmal zu bewerben. Die Nachfolge soll nun erst im Herbst geregelt werden.

Die Entscheidung zum Rückzug traf die Partei wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie wirkt nicht wie von langer Hand vorbereitet. Zwar sprach er in der »Sächsischen Zeitung« von einem »längeren Prozess«, der zum Verzicht führte. Eine öffentliche Erklärung gab der 47-Jährige aber am Freitag um 19 Uhr ab – ein eher ungewöhnlicher Zeitpunkt für einen Politiker, der auf der Klaviatur der Medien zu spielen weiß. Er wolle »einen neuen Impuls« an der Spitze der Landespartei ermöglichen und sich selbst auf sein Amt als Wirtschaftsminister sowie als Ostbeauftragter der SPD konzentrieren, sagte er.

Über den konkreten Anlass für den Rückzug wird gerätselt. Vielleicht hätte Dulig gern schärfer auf eine Attacke von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) reagiert, der vergangene Woche in einem Interview seine Koalitionspartner unflätig beschimpfte: Die Grünen würden als Regierungspartei »übergriffig«, und die SPD rede den Osten schlecht und habe so den Aufstieg der AfD zu verantworten. Dulig nannte das »Unsinn« und verlangte »mehr Respekt« für seine Partei. In einem MDR-Interview merkte er jetzt aber kritisch an, die SPD dürfe »nicht in Koalitionsdisziplin nicht erkennbar sein«.

Dass die Partei praktisch ausschließlich über den Mann wahrgenommen wird, der zugleich als zweiter Vizeregierungschef am Kabinettstisch sitzt, hat sich dieser selbst zuzuschreiben. In den Wahlkämpfen, die Dulig seit seiner Wahl an die Parteispitze bestritt, wurde die SPD mehr und mehr auf seine Person zugeschnitten. Man setze »alles auf eine Karte«, hieß es 2014 – den Joker Dulig. Der jugendliche Kandidat tourte mit seinem Küchentisch durch die Lande, lud Menschen zum Gespräch ein und ließ sie »in Herz und Küche blicken«.

Zunächst hatte das Erfolg: Die zwischenzeitlich auf 9,8 Prozent abgestürzte SPD holte 12,4 Prozent und landete zum zweiten Mal in einer Koalition mit der CDU. Dort verbuchte sie politische Erfolge: Kürzungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung wurden zurückgenommen, Lehrer und Polizisten eingestellt. 2019 honorierten die Wähler das freilich nicht: Mit 7,7 Prozent stürzte die SPD, die zwischen 1919 und 1946 sechs Regierungschefs in Sachsen gestellt hatte, so tief wie nie. Aufgearbeitet ist das Debakel bis heute nicht.

Wie sich ein womöglich noch tieferer Fall bei der Landtagswahl 2024 abwenden lässt, ist eine spannende Frage. Dulig konstatierte einmal, die SPD gebe »zu viele Antworten auf Fragen, die nicht mehr gestellt werden«. Die Umfragen, in denen sie zuletzt bei sechs Prozent lag, lassen nicht erkennen, dass er neue Fragen hätte aufwerfen oder gar beantworten können. Dulig, der einst von der SPD als einer »linken Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft« träumte, streitet seit sieben Jahren als Wirtschaftsminister für Themen wie ein Bildungsticket und gute Arbeitsbedingungen und gibt sich gern als Malocher mit Schweiß auf der Stirn. Pluspunkte bei den Wählern bringt das augenscheinlich nicht.

Die Genossen würdigen den Rückzug mit warmen Worten. Generalsekretär Henning Homann spricht von einer »souveränen und starken Entscheidung«, Ex-Jusochefin Sophie Koch von einer »Entscheidung, die Respekt verlangt und uns alle in die Verantwortung bringt«. Wer diese im Wortsinn übernimmt, gilt indes als völlig offen. Die neben Dulig prominentesten Sozialdemokraten im Freistaat, Sozialministerin Petra Köpping und Leipzigs OB Burkhard Jung, gelten nicht als interessiert an dem Job. Und daneben drängt sich ein neuer Joker nicht so recht auf.

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