Die Uefa bleibt stur

WHO-Experten und Politiker üben Kritik an Zuschauerkonzept

  • Alexander Sarter, Kopenhagen
  • Lesedauer: 2 Min.

Die harsche Kritik an der Zuschauerpolitik der Europäischen Fußball-Union Uefa reißt nicht ab und wird durch neue Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) untermauert. Demnach nimmt die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Europa nach einem zehnwöchigen Rückgang erstmals wieder zu.

Angetrieben von »Reisen, Zusammenkünften und Lockerungen der sozialen Beschränkungen« sei die Fallzahl vergangene Woche um zehn Prozent gestiegen, sagte der europäische WHO-Regionaldirektor Hans Kluge am Donnerstag in Kopenhagen. Laut WHO-Expertin Catherine Smallwood müssten die Verantwortlichen in den EM-Spielorten die Bewegungen der Zuschauer stärker überwachen - auch außerhalb der Arenen. »Wir müssen weit über die Stadien hinausblicken«, antwortete Smallwood auf die Frage nach Empfehlungen für London und St. Petersburg.

Fast gleichzeitig nahm Bundesinnenminister Horst Seehofer erneut den Fußballverband ins Visier. »Ich halte die Position der Uefa für absolut verantwortungslos«, sagte der CSU-Politiker in Berlin. Angesichts der Bilder von dicht gedrängt feiernden Fans in den Stadien sei es »vorgezeichnet, dass dies das Infektionsgeschehen befördert«. Seehofer appellierte an die Uefa, die Entscheidungen über die Besucherzahlen »nicht auf die örtlichen Gesundheitsbehörden abzuschieben«. Der Verband sollte vielmehr »klar erklären: Wir wollen das nicht, wir reduzieren die Zuschauerzahl.« Der Kommerz dürfe »nicht den Infektionsschutz für die Bevölkerung überstrahlen«.

Die Uefa sieht sich nicht in der Pflicht, etwas zu ändern, und will die verbleibenden EM-Spiele »wie geplant austragen«. Die Maßnahmen seien »in vollem Umfang auf die Vorschriften der lokalen Gesundheitsbehörden abgestimmt«. Letztlich würden die Zuschauerzahlen in die Zuständigkeit dieser Behörden fallen. »Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Veranstaltungen zu einem lokalen Anstieg der Fallzahlen führen können«, sagte Daniel Koch, medizinischer Berater der Uefa. Dies würde aber nicht nur für Fußballspiele gelten, sondern für alles, was »nun im Rahmen der beschlossenen Lockerungsmaßnahmen erlaubt« ist.

Zuletzt hatte Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) schwerste Vorwürfe erhoben. »Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende«, twitterte Lauterbach mit Blick auf das Achtelfinale zwischen England und Deutschland (2:0) vor 45 000 Fans in London und prognostizierte: »Die Uefa ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich.« Zu den Halbfinals und zum Endspiel dürfen sogar mehr als 60 000 Zuschauer in die Arena.SID/nd

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