Fabelhaft

Dem Dichter Jean de La Fontaine zum 400. Geburtstag

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Von den großen Autoren der klassischen Literatur kennt jeder Franzose mindestens einen: Jean de La Fontaine, dessen Geburtstag sich am 8. Juli zum 400. Mal jährt. Seine Fabeln sind seit Ende des 19. Jahrhunderts Pflichtstoff an den Grundschulen, wo sie den Kindern Kenntnisse von der Natur vermitteln und sie sich in schöner französischer Sprache üben sollen. Doch vor allem soll sich ihnen die Moral einprägen, mit der jede Fabel endet. Einige der Fabeln können viele Franzosen auch im Alter noch auswendig. In seinen Texten sind es oftmals Tiere, die sich wie Menschen verhalten. Prägnante Eigenschaften sind dabei bestimmten Tieren zugeordnet: Der Fuchs ist listig, die Eule weise, der Löwe mutig, die Gans dumm.

La Fontaines wohl bekannteste Fabel ist die vom Raben, der hoch oben auf seinem Baum einen Käse im Schnabel hält und den der Fuchs durch sein falsches Lob dazu bewegen kann, seine angeblich so schöne Stimme erklingen zu lassen. Dabei fällt wie erwartet der Käse herunter, und der Fuchs, der die Delikatesse auffrisst, belehrt nun auch noch den beschämten Vogel, man dürfe nie auf Schmeicheleien hereinfallen.

Den Inhalt seiner Fabeln hat La Fontaine nicht selbst erdacht, sondern zumeist von Äsop übernommen. Was bei dem antiken griechischen Dichter trocken klingt, hat der Franzose in leicht einprägsame Versform gebracht. Charakteristisch für seine Fabeln ist der Verzicht auf vordergründige Moral zugunsten von Ironie, die den Leser unaufdringlich zur Erkenntnis führen soll. Damit sicherte er sich seinen Rang als einer der meistgelesenen Dichter seiner Zeit. Dass er das Genre der Fabel aus den Niederungen der mündlich überlieferten Geschichten in die Sphären der Literatur erhoben hat, sicherte ihm einen Ehrenplatz unter den französischen Autoren des 17. Jahrhunderts. Doch da er in seinen Fabeln oft unterschwellig Kritik an den herrschenden Zuständen und nicht zuletzt an der Aristokratie übte, kam er nie in den Genuss einer königlichen Pension - im Gegensatz zu Dichterkollegen, die ebenfalls nicht von ihrer Feder leben konnten, aber zu mehr Zugeständnissen bereit waren.

Jean de La Fontaine wurde knapp 100 Kilometer nordöstlich von Paris geboren. Sein Vater war königlicher Wald-, Jagd- und Fischereirat und gehörte zum niederen Amtsadel. Dass sich sein Sohn in der Kindheit und Jugend viel im Wald aufgehalten und die Natur so gründlich kennengelernt hatte, kam später seinem literarischen Werk zugute. Auf Wunsch des Vaters absolvierte er ein Jurastudium in Paris, doch war er danach nie als Anwalt tätig. Stattdessen schrieb er seine ersten Fabeln und eine Reihe freizügiger Erzählungen, für die er sich das »Dekameron« von Boccaccio zum Vorbild nahm. Damit hatte er auf Anhieb großen Publikumserfolg, geriet aber bald ins Visier der Kirche und des Hofes.

Durch einen Onkel seiner Frau kam er in Kontakt mit dem Finanzminister Fouquet, der Gefallen an dem Dichter fand und ihn in seine Dienste nahm. Beide verband eine tiefe ideelle Übereinstimmung, die zur Freundschaft wurde. Doch diese glücklichste Zeit seines Lebens dauerte nur wenige Jahre. Als Fouquet unter dem Vorwurf, Staatsgelder veruntreut zu haben, beim König in Ungnade fiel und bis zu seinem Tod eingekerkert wurde, war La Fontaine einer der wenigen, die sich für ihn einsetzten. Das reichte bis zu einer Bittschrift an den König, in der er Gnade für den Freund forderte. Ohne Erfolg.

In den folgenden Jahren trat er in den Dienst einer Prinzessin aus dem Hause Orleans; nach deren Tod lebte er 20 Jahre lang bei der vermögenden und literaturbegeisterten Madame de La Sablière. In dieser Zeit schrieb er die meisten seiner fast 250 Fabeln. Der ihm dadurch beschiedene Erfolg trug sicher zu einer späten Ehrung bei - der Wahl in die Académie française. Nach dem Tod seiner Gönnerin 1693 verbrachte er die ihm verbleibenden Jahre unter dem Dach verschiedener Mäzene.

Am 13. April 1695 ist Jean de La Fontaine im Alter von 73 Jahren krank und bitterarm gestorben. Bei der Auflösung des Friedhofs im Pariser Hallenviertel Mitte des 19. Jahrhunderts landeten seine Gebeine mit denen von vielen Tausend anderen in den Katakomben unter der Stadt. Bei dem Sarkophag mit seinem Namen auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise handelt es sich nur um ein leeres Ehrengrab, ebenso wie bei dem Grab von Molière direkt daneben.

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