Gestern Westfernsehen geschaut?

Am 25. Juli steigt in Leipzig der 38. Triathlon in Folge. Wie der Sport in den Osten kam, wo er bis heute eine besondere Tradition hat

  • Andreas Müller, Leipzig
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Ironman fiel im letzten Jahr aus. Aber: »Unser Triathlon hat stattgefunden, zum 37. Mal in Folge«, sagt Sven Bemmann. Sein Stolz auf diese Serie der Sachsen ist unüberhörbar. In Leipzig ist sie - im Unterschied zum hochprominenten Wettbewerb im Südpazifik - nicht gerissen. Der Vorsitzende des Vereins Leipziger Triathlon und seine 50 rührigen Mitglieder brachten Ende Juli 2020 rund 800 Teilnehmer an den Start. Und jetzt haben sie es trotz Corona-Pandemie erneut geschafft. Am 25. Juli ist es wieder so weit: Dann wird ihr Höhepunkt im, am und rund um den Kulkwitzer See zum 38. Mal und fast mit der maximalen Zahl von 1500 Startern und Starterinnen stattfinden. »Die Vorbereitungen laufen bereits. Wir sind optimistisch, brauchen sicher auch wieder etwas Glück«, hatte der 56-Jährige mit stetem Blick auf die Inzidenzzahlen und ihre Folgen fürs sportliche Treiben im April noch einige Sorgen. Jetzt ist er glücklich, dass sich der Aufwand gelohnt hat.

»Mensch, das machen wir auch!«

Das Event in Leipzig als Kombination von 1,5 Kilometern Schwimmen, 40 Kilometern Radfahren und 10 Kilometern Laufen ist sportlicher Wettkampf, Lebensfreude und zugleich ein tüchtiges Stück deutsch-deutscher Sportgeschichte. Es erlebte zu DDR-Zeiten, genauer 1984, seine Premiere, überstand die Wende und lebt glücklich fort. Zugleich steht dieser Triathlon synonym für eine ganze Sportart und ihre Verbreitung im Osten. An dessen Quelle stand irgendwann 1982 die Frage: »Hast du gestern Westfernsehen geschaut?« Wilfried Ehrler hatte eine Sendung über eine damals neue Sportart gesehen: den Triathlon. Sein Leipziger Kollege Christian Menschel hatte diese nicht gesehen. Nach dem Bericht seines Freundes schloss er mit dem begeisterten Ausruf: »Mensch, das machen wir auch!«

Welch ein Glück, dass die beiden promovierten Sportwissenschaftler und Dozenten an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) just im Bereich Erholungs- und Freizeitsport wirkten und mit Hans-Georg Hermann einen Rektor hinter sich hatten, der sie gewähren ließ, nach der Devise: Ich weiß von nichts. Kurzerhand gingen Ehrler, der 2016 verstorben ist, und der heute über 80-jährige Menschel zu Selbstversuchen über: »Schwimmen im Kulki , mit dem Klapprad auf die Piste und die Laufrunde um die Lausener Kippe, einfach großartig«, notierten die beiden in ihren Aufzeichnungen, die heute im Archiv des Vereins lagern. Die Lausener Kippe ist, wie auch der Kulkwitzer See, aus dem Tagebau entstanden. Parallel zur Selbstbeobachtung bei körperlicher Extrembelastung gab es Stippvisiten in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und tschechischen Anschauungsunterricht in der seinerzeit osteuropäischen Triathlonnation Nummer eins.

Schnell schwanden anfängliche Zweifel, die Sache würde womöglich dem Organismus nicht bekommen. Schnell scharten die Pioniere unter ihren Studenten an der Hochschule die ersten Nachahmer um sich und multiplizierten den Triathlongedanken - immer eingedenk des engen sportpolitischen Rahmens.

A-3-K: Ein geheimnisvoller Neuling

Die Triathleten erhielten vonseiten des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR keinerlei Förderung, ihre Protagonisten durften nicht an Wettkämpfen im Ausland teilnehmen und keine ausländischen Gäste zu etwaigen eigenen Veranstaltungen einladen. Außerdem galt eine Sprachregelung, die unbedingt einzuhalten war. Originalton des Vizepräsidenten des Sportbundes Werner Berg von 1984: »Triathlon in der DDR gibt es nicht und wird es nie geben.« Noch beim ersten wissenschaftlichen Symposium, bei dem sich zwei Jahre später an der Medizinischen Akademie Erfurt namhafte Sportpädagogen und Ärzte gemeinsam mit Aktiven dem sportlichen Neuling zuwandten, wurde ausschließlich über einen Ausdauerdreikampf unter dem Kürzel »A-3-K« gesprochen. Wiewohl eine Zusammensetzung aus der russischen Drei und dem griechischen »Athlon« für Wettkampf, blieb der Begriff zunächst über Jahre hinweg strikt untersagt und ein Tabu, das freilich von der Wirklichkeit zunehmend überrollt wurde.

Im Jahr 1985 wurde die Interessengemeinschaft Triathlon in der DDR gegründet und erstmals eine Rangliste eingeführt. Zwei Jahre darauf wurde in Frankfurt (Oder) beim dritten Triathlon am Helenesee die erste DDR-Bestenermittlung ausgetragen. Im selben Jahr gab es in der DDR bereits 37 Wettkämpfe mit mehr als 6000 Teilnehmern und in den verschiedensten Formaten. Die Bezeichnung »Triathlon« ließ sich kaum länger unterdrücken.

Zuerst losgelegt mit organisierten Wettkämpfen wurde 1983 in Rostock, Dresden, Senzig bei Berlin und in Zeulenroda in Thüringen. Alles zunächst sehr kleine, eher familiäre Veranstaltungen, Keimlinge und Pflänzchen. Der große Durchbruch mit mehr als 350 Startern, darunter 23 Frauen, aus sämtlichen DDR-Bezirken gelang 1984 bei der Premiere in Leipzig. Die Stadtverwaltung half nach Kräften, die Verkehrspolizei stellte Streckenpisten, Taucher sicherten den Schwimmpart, die DHfK-Fahrbereitschaft transportierte große Lautsprecherboxen, die »Politniks« schauten zum Teil interessiert zu. »Danach haben wir gewusst: Es gibt für uns kein Zurück mehr«, erinnerte sich Christian Menschel später an den großen Anfangserfolg. »Aufgegeben haben wir vorher wohl deshalb nicht, weil wir hinter den staatlichen Kulissen auch viel Zustimmung bekamen.«

Ein eingeschmuggelter Bayer

Als 1989 mit Franz Käser ein als Sachse ins Teilnehmerfeld eingeschmuggelter Bayer siegte, folgte nur ein »kleiner Rüffel aus Berlin«, gab Wilfried Ehrler anschließend zu Protokoll. »Die hatten zu diesem Zeitpunkt wohl schon andere Sorgen.« Mit Engagement, Enthusiasmus, zunehmender Bekanntheit und mit dem typischen DDR-Improvisationstalent folgte Wiederholung auf Wiederholung. Selbst 1990, nur wenige Tage nach der Währungsreform fand der Leipziger Triathlon statt - mit 15 Ostmark als Startgeld.

Der Mauerfall brachte nicht nur eine andere Mark, sondern zugleich Verhältnisse, unter denen die »Dreikampf-Pioniere« organisatorisch nicht länger irgendwie lose an die DHfK angedockt sein durften. Ein richtiger Sportverein nach bürgerlichem Recht musste her. Mit zwölf Mitgliedern wurde er am 14. November 1990 unter dem Namen Leipziger Triathlon aus der Taufe gehoben - zweieinhalb Wochen nach der Fusion des im Mai 1990 gegründeten Triathlonverbandes der DDR und der Deutschen Triathlonunion.

An der Spitze zunächst wie selbstverständlich abwechselnd die Gründungsväter Ehrler und Menschel, der sich allerdings bald aus dem Führungszirkel zurückzog - »zu viel Stress, zu viel Kampf um die Finanzierung«. Mit der neuen Zeitrechnung konzentrierte man sich nicht mehr nur auf die Tradition des großen Triathlons. Der Sportverein kreierte nunmehr weitere Highlights wie den alljährlichen Fockeberg-Lauf nahe dem Stadtzentrum, jeweils im März sowie im November aus Anlass des Mauerfalltages. Begründet wurden der Kindertriathlon Lipsiade mit mehr als 100 Teilnehmern regelmäßig im Juni sowie der Duathlon Swim & Run, der in diesem Jahr für August terminiert ist.

Über eine Verjüngung wären Sven Bemmann sowie seine Vorstandskollegen Ralph Bahn und Andreas Clauß nicht böse. Nur müssten die Neuen den speziellen Ansatz des Vereins mit seiner so besonderen Geschichte verinnerlichen und mittragen. »Wir treiben nicht nur selber Sport, indem wir uns zum Schwimmen, Radfahren und Laufen treffen und gemeinsam Spaß daran haben. Wir organisieren auch Sport für andere«, unterstreicht Sven Bemmann den »doppelten Charakter« der Leipziger. Er lüftet damit zugleich das Geheimnis dieses jahrzehntelangen einmaligen Wirkens unter verschiedenen gesellschaftlichen Vorzeichen in Ost und West: »Wir machen Sport für Sportler. Deshalb treten wir zum Beispiel bei unserem eigenen Triathlon traditionell gern in die zweite Reihe und verzichten auf einen Start.« So auch wieder bei der 38. Auflage.

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