Italiens umstrittene Justizreform

Staatsanwälte und Richter sind mit Vorschlägen unzufrieden

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach den verstörenden und bedrückenden Bildern von Polizeigewalt, die die italienische Zeitung »Domani« veröffentlicht hatte, spürt die Politik Handlungsbedarf: Ministerpräsident Mario Draghi und seine Justizministerin Maria Cartabia besuchten das Gefängnis Francesco Uccella in Santa Maria Capua Vetere, einem Vorort von Caserta. Dort hatten am 6. April 2020 teils vermummte Beamte der Gefängnispolizei auf wehrlose Häftlinge eingeschlagen. Teils entkleidet, mussten die Gefangenen in würdelosen Haltungen vor den Beamten knien, immer wieder schlugen Gummiknüppel auf Köpfe und Körper, wurden die Malträtierten mit Fußtritten gequält.

Draghi und Cartabia zeigten sich erschüttert von den Zuständen und sicherten den Häftlingen zu, Abhilfe und würdigere Bedingungen in den Haftanstalten zu schaffen. Die rechtspopulistischen Politiker Matteo Salvini (Lega) und Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia, FdI) stellten sich hingegen deutlich hinter das Gefängnispersonal. Diese Position dürften sie nun wohl aufgeben, denn nach den ersten Veröffentlichungen aus dem Gefängnis bei Neapel meldeten sich weitere Betroffene aus anderen Haftanstalten mit Anzeigen. Inzwischen liegt der ermittelnden Staatsanwaltschaft Videomaterial von mehr als 20 Stunden vor, das Gewaltszenen, sexuellen Missbrauch und Vergewaltigungen sowie sonstige Verletzungen der Menschenwürde dokumentiert. Mit einer neuen Justiz- und Strafvollzugsreform soll nun diesen skandalösen und menschenunwürdigen Zuständen begegnet werden.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Seit Langem bereits berichten ehemalige Häftlinge, Strafvollzugsbeamte und die Medien von den unhaltbaren Zuständen in den italienischen Gefängnissen. Die jetzt angedachte Reform soll sich zunächst jedoch vor allem auf eine Reduzierung der Haftplätze orientieren. Ministerin Cartabia, vor ihrer Berufung ins Amt erste Frau an der Spitze des hiesigen Verfassungsgerichts, will Haft nur noch für Schwerstkriminelle anordnen. Andere Gesetzesverstöße sollen mit Strafen wie Hausarrest, elektronischer Fußfessel oder sozialen Diensten belegt werden. Strafen, die eine Haftzeit bis zu einem Jahr vorsehen, sollen in die genannten Modelle umgewandelt werden. Es gibt auch die Option, längere Strafen im offenen Vollzug abzusitzen - und dabei soziale Dienste wie beim Roten Kreuz oder der Misericordia abzuleisten. Zudem sollen (wieder einmal) die Prozesszeit deutlich verkürzt und Verfahren vereinfacht werden.

Die geplante Reform - noch ist kein Gesetzestext dem Zweikammernparlament zur Abstimmung vorgelegt - stößt bereits auf heftige Kritik. Sprecher des Nationalen Richterbundes ANM erklären, der Gesetzentwurf sei geradezu »eine Einladung zur Kriminalität«. Insbesondere die vorgesehenen stark verkürzten Verjährungsfristen stoßen auf die Kritik der Juristen. So sollen Verfahren in erster Instanz spätestens in drei Jahren, Appellationsverfahren in zwei Jahren und ein Prozess vor dem Kassationsgericht, der obersten Rechtsinstanz nach einem Jahr beendet sein - bereits ein Tag der Fristüberschreitung führt unverzüglich zur Verjährung und zum Verfahrensende. Dies sei, so die Meinung der Richter, angesichts oft komplizierter Verstrickungen besonders bei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität nicht einzuhalten und stelle daher eine gefährliche Rechtsunsicherheit dar.

Hiesige Medien erinnern daran, dass bereits 2009 ein Vorstoß zur Prozessverkürzung unternommen wurde. Damals entwarfen Justizminister Angelino Alfano und Rechtsanwalt Niccolo Ghedini einen Gesetzesentwurf, der vor allem den Ministerpräsidenten und PdL-Chef Silvio Berlusconi, vor Strafverfolgung schützen sollte. Das Gesetz konnte seinerzeit gegen den Widerstand der Demokratischen Partei (PD) nicht durchgesetzt werden, Berlusconi musste sich zumindest in einem Verfahren verantworten und galt seither als vorbestraft. Umso erstaunlicher, dass die aktuelle Reform, die einer Kopie des Alfano-Ghedini-Projektes ähnelt, nun die Zustimmung der PD erhält. Richter und Staatsanwälte betrachten zumindest mit gemischten Gefühlen, was sich da im Strafrecht anbahnt. Mehr Rechtssicherheit erwarten sie derzeit von der Reform nicht. Und ob sich die Lage in den Gefängnissen danach bessert, ist eher fraglich.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal