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Performance sells

Die Sportsoziologin Ilse Hartmann-Tews über die ungleiche Berichterstattung über Sportler und Sportlerinnen - und was Medien ändern müssten

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 7 Min.

Dieses Jahr starten erstmals etwa gleich viele Männer und Frauen bei den Olympischen und Paralympischen Spielen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordert mit der Kampagne ShowUsEqual, das auf die Berichterstattung zu übertragen. Für wie realistisch halten Sie das?

Im Prinzip ist das ohne Probleme umsetzbar. Ich glaube aber, das es in den Redaktionen Kulturen und Mechanismen gibt, die wieder zu einer etwas ungleichen Repräsentation von Sportlern und Sportlerinnen führen werden.

Wie ist denn der Status quo?

Wir müssen unterscheiden zwischen Berichterstattung bei den Olympischen Spielen und der täglichen Sportberichterstattung. Bei letzterer gibt es international immer wieder gleiche Befunde: Der Anteil der Texte und Bilder über Sportlerinnen macht nicht mehr als zehn Prozent der ganzen Sportberichterstattung aus. Das ist natürlich eine krasse Marginalisierung von Sportlerinnen. In Bezug auf die Olympiaberichterstattung ist der quantitative Unterschied deutlich geringer - er ist aber immer noch da.
Ilse Hartmann-Tews

ist Professorin für Soziologie und Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochschule Köln und Leiterin des dortigen Instituts für Soziologie und Genderforschung. Sie leitete mehrere Projekte zur Darstellung von Sportlern und Sportlerinnen in den Medien und führte Langzeitstudien zur Sportberichterstattung und Visualisierung von Sportler*innen durch, auch bei Olympia. Ulrike Wagener sprach mit ihr über den offenen Brief des Deutschen Olympischen Sportbunds, der eine geschlechtergerechte Olympiaberichterstattung fordert, Repräsentation von Frauen und LGBTIQ und die Rolle des Sportressorts als männerbündische Bastion.

Es gucken mehr Männer Sport, ist es nicht logisch, dass über die mehr berichtet wird?

Diese Logik kann ich nicht nachvollziehen, sie wird aber vielfach - auch in unseren Studien mit Sportjournalisten - vorgetragen. Dazu kamen Argumente, an denen wir ablesen konnten, dass der Sport der Frauen nicht so wertgeschätzt wird. Sportjournalisten hängen oft noch der Vorstellung an, dass der Sport eine Männerdomäne ist und der »richtige Sport« eben nur von Männern ausgeübt wird. Das klassische Beispiel ist der Fußball: Frauen würden anders spielen - weniger gut.

Stimmt das denn?

Nein. Mein Kollege Daniel Memmert hat kürzlich die taktische und spielerische Leistungsfähigkeit von Frauen- und Männermannschaften anhand von Videosequenzen ausgewertet, ohne dass man sehen konnte, wer spielt. Natürlich sind Frauen nicht so athletisch im Spitzenbereich, aber das professionelle Repertoire, das man trainieren kann - wie viele Pässe und die Passgenauigkeit, Umschaltverhalten nach Ballverlust, mannschafts- und individualtaktische Ereignisse - da haben sich überhaupt keine Unterschiede gezeigt. Das widerlegt diese Alltagstheorie, Frauenfußball wäre ein anderer oder sogar schlechterer Fußball.

In dem Magazin »Medienimpulse« wird das Sportressort als »die letzte männerbündische Bastion im Journalismus« bezeichnet. Ist das so und welche Rolle spielt das für die Berichterstattung?

Ich vermute in der Tat, dass das Sportressort nach wie vor der Bereich mit der höchsten Männerquote ist. Dazu kommen die unterschiedlichen Kulturen und Wertvorstellungen in den verschiedenen Ressorts. Wenn mehr Frauen in den Sportjournalismus kommen, müssen sie diese typisch männergeprägte Kultur zunächst akzeptieren, sich damit auseinandersetzen und können sie erst dann ändern durch ihre eigene Sichtweise, ihren eigenen Stil. Den müssen sie aber auch erst einmal finden. Und wir wissen, wie schwer es Sportjournalistinnen haben, gerade im Fernsehen. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und es kommen viele negative Gegenreaktionen bis zu Hassmails. Man kann daher nicht annehmen, dass sie so eine Redaktionskultur gleich verändern würden.

Was könnten Medienhäuser konkret tun?

Jede Sportredaktion muss sich klarmachen, dass der Sport zunehmend vielfältiger wird und sie Fairness auch im Sinne von Gleichberechtigung verfolgt. Olympische Spiele sind ein gutes Beispiel dafür: Hier wird eine langjährige Männerdomäne durch die Regeln des IOC mehr oder weniger paritätisch. Und wenn es dem Sportjournalismus darum geht, Erfolge zu kommunizieren, dann sollten Journalist*innen über die Erfolge bei Männern und Frauen gleichermaßen und unvoreingenommen berichten. Wir haben da Athleten und Athletinnen, die enorme Leistungen vollbringen. Das muss gleichermaßen gewürdigt, gezeigt und wertgeschätzt werden. Alles andere wäre Diskriminierung.

Was sind denn die Ursachen für die Verzerrung in der Berichterstattung?

Der Sport war lange eine Männerdomäne. Seine klassischen Werte - erfolgsorientiert, stark, durchsetzungsfähig und robust sein, Schmerzen ertragen können - sind klassische Stereotype, die man Männern zuschreibt. In der neuzeitlichen Geschichte des Sports, auch der Olympischen Spiele, war alles auf Jungen und Männer ausgerichtet. Frauen mussten sich dieses Terrain peu à peu erobern. Und der Sportjournalismus hat sich parallel dazu entwickelt. Dadurch hat nicht nur eine Marginalisierung der Frauen stattgefunden. Es ist auch eine andere, eher hierarchisierende Darstellung erfolgt.

Wie meinen Sie das?

Es werden andere Bilder gezeigt. Sportler werden meist in Aktion und in Wettkampfsituationen gezeigt; Sportlerinnen tendenziell eher im sportlichen oder privaten Umfeld. Das heißt, das, was den Sport ausmacht, die Präsentation der körperlichen Leistungsfähigkeit wird bei den Frauen nicht so oft gezeigt.

Dafür werden sie sexualisiert dargestellt.

Unsere Untersuchungen zeigen, dass sexualisierende Darstellungen oder auch Kommentierungen relativ selten sind. Wenn, dann aber eher bei Sportlerinnen als bei Sportlern. Entscheidender ist, dass auch Marketingexperten oft sagen: Ich muss meine Sportlerin in erster Linie als Frau darstellen. Das bestätigt dann dieses Alltagsverständnis, dass eine Sportlerin etwas Untypisches ist und die Leistung gar nicht so wichtig. Und dann, wenn sie erfolgreich sind - insbesondere in Sportarten, die eher als typische Männersportarten gelten -, entsteht erst recht das Bedürfnis, sie zum Kontrast als Frau in Szene zu setzen.

Was ist daran schlimm?

Dass fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass starke und erfolgreiche Athletinnen nicht attraktiv sind. Es gibt mehrere Experimente, bei denen Probanden und Probandinnen verschiedene Bilder von Sportlern und Sportlerinnen gezeigt wurden: im Wettkampf, im Training, im privaten Umfeld und auch sexualisierte Bilder. Die Frage war, welches Bild die Menschen eher animiert, sich eine entsprechende Sportveranstaltung live oder im Fernsehen anzuschauen. Die These war zunächst, dass es attraktiv sei, wenn Sportlerinnen sexy dargestellt werden, gerade für Männer. Das Ergebnis war aber ein anderes.

Und zwar?

Unabhängig vom Geschlecht sind immer die Bilder am attraktivsten, wo die sportliche Leistung gezeigt wird, der Kern des Sports: Spannung, Wettkampf und Auseinandersetzung. Das animiert die Personen dazu, sich Sport anzuschauen oder zu Veranstaltungen zu gehen. Diesen Befund sollte die Wirtschaft zur Kenntnis nehmen, wenn sie mit Athleten und Athletinnen wirbt. Nicht Sex sells, sondern Performance!

Sie haben schon gesagt, dass Frauen oft nicht in der Performance gezeigt werden. Wenn das aber die Leute am meisten interessiert, demotiviert es sie dann noch mehr, Sport von Frauen anzuschauen?

Genau. Man sieht Sportlerinnen erstens nicht, zweitens werden sie anders, uninteressanter, dargestellt. Und damit entsteht ein Kreislauf, bei dem Sport von Frauen für die Zuschauer uninteressant ist. Und die Mädchen eben auch keine Vorbilder haben.

Im offenen Brief des DOSB wird die Studie Kindheit, Internet, Medien (Kim) zitiert, nach der nur vier Prozent der Mädchen angeben, ein Vorbild aus dem Sport zu haben, bei den Jungs waren es 42 Prozent. Sind daran die Medien schuld?

Das sind vier Prozent von denen, die tatsächlich angeben, sie hätten ein Vorbild oder Idol. Vom ganzen Anteil der Jugendlichen sind das dann sogar noch weniger. Festzuhalten bleibt, es gibt da einen Riesenunterschied zwischen Mädchen und Jungen, und man kann mit Sicherheit sagen, dass die Berichterstattung dabei eine zentrale Rolle spielt. In dem Moment, wo Sportlerinnen unsichtbar sind für die Kinder und Jugendlichen, können sich Mädchen - und die Aneignung von Vorbildern funktioniert meistens gleichgeschlechtlich - gar nicht in der Rolle als starke Athletin entwerfen, während das für Jungen völlige Normalität ist.

Durch die geringere mediale Repräsentation können Sportlerinnen weniger Sponsoren gewinnen, sie verdienen weniger Geld. Gibt es da auch Widerstände bei den Sportlern, weil man die Sponsoren und Gelder für sich behalten will?

Das ist ein guter Punkt - also ich denke schon, dass Sportler keine große Motivation haben, sich für ihre Kolleginnen einzusetzen. Aber das gibt es durchaus in anderen Ländern. Es gibt ein paar Beispiele, wo Sportler aus Solidarität ihre Werbeverträge mit Sportlerinnen geteilt haben. Aber das ist selten. Von den Managern der Sportlerinnen sollte stärker auf eine größere Gleichberechtigung hingearbeitet werden.

Bei der Kampagne vom DOSB geht es nur um die Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Müsste man das Thema nicht weiter öffnen und auch über die ungleiche Repräsentation von nicht-binären Personen oder Lesben, Schwulen, trans und inter Personen im Sport und auch in der Berichterstattung sprechen ?

Ja. In der Berichterstattung wird eher das klassische Bild der Heterosexualität vermittelt, in dem auch über Bilder von typisch männlichen oder typisch weiblichen Sportlerinnen berichtet wird. Als visuellen Anker hat man immer diese klassische, binäre Struktur vor Augen. Die Vielfalt, die wir eigentlich haben, wird nicht in diesem Maße sichtbar.

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