Konzerne kaufen Leipzig auf

Studie: Große Immobilienunternehmen erobern die sächsische Boomstadt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Bis vor einigen Jahren war Leipzig bekannt für seine »Wächterhäuser«: Mietshäuser oft aus der Gründerzeit, die leer standen, weil die Wohnungen in der damals schrumpfenden Stadt niemand brauchte. Ein Verein vermittelte die Gebäude an Initiativen, Künstler und andere Enthusiasten, die immerhin heizten und verhinderten, dass die Häuser gänzlich verfielen.

Die Zeiten sind vorbei. Wenn heute in der sächsischen Stadt ein altes Haus versteigert wird, liefern sich Kaufwillige aus aller Herren Länder harte Kämpfe. Verkaufspreise für nicht sanierte Altbauten seien seit 2014 von 200 auf fast 1300 Euro je Quadratmeter gestiegen, sagt Michael Janoschka von der Universität Leipzig. Interessenten kommen aus der gesamten Bundesrepublik und dem Ausland. Caren Lay, Mietexpertin der Linken im Bundestag, sagt: »In Leipzig ist die Welt auf Einkaufstour.«

Dabei sichern sich vor allem große, an der Börse notierte Unternehmen immer mehr Bestände. Sie hätten ihr Portfolio in den vergangenen zehn Jahren von 10 000 auf 40 000 Wohnungen erhöht, sagt Christoph Trautvetter, Autor einer Studie zu Eigentumsverhältnissen am Immobilienmarkt in Leipzig und Leiter eines Projekts der Rosa-Luxemburg-Stiftung namens »Wem gehört die Stadt«.

Für Leipzig lässt sich dabei sagen: Sie gehört zum überwiegenden Teil nicht den Leipzigern. Nur in 13 Prozent der rund 300 000 Eigentumsohnungen leben »Selbstnutzer«. Im Vergleich auch mit Städten im Ausland sei es »selten, dass so wenig Menschen in einer Wohnung leben, die ihnen gehört«, sagt Trautvetter. Viele Wohnungen besitzen Menschen, die ihr Geld in Leipziger Immobilien angelegt haben, »von der Rentnerin von nebenan bis zum Milliardär«. 15 Prozent der Wohnungen gehören Investmentfonds und Unternehmen vom Kapitalmarkt. Der Anteil sei ähnlich wie in Berlin, aber generell »nicht normal für Deutschland«, betont Trautvetter. In Städten wie Köln der Hamburg liegt er bei höchstens zehn Prozent.

Unternehmen, die an Rendite interessiert sind, finden in Leipzig ideale Bedingungen vor. Aus der schrumpfenden ist etwa seit zehn Jahren eine boomende Stadt geworden. Die »New York Times« prägte den Begriff »Hypezig«; in der deutschen Szene gilt die Stadt schon länger als das neue Berlin. Kreative fanden zunächst niedrige Mieten vor; es gab viele unsanierte Häuser und wenig Regulierung. Das sind auch für Immobilienunternehmen und andere Investoren exzellente Bedingungen. Modelle für steuerliche Abschreibungen reizen sie ebenso wie ein hoher Bedarf für Modernisierungen, in deren Folge die Mieten drastisch angehoben werden können.

Von den Möglichkeiten wird seither rege Gebrauch gemacht. In den vergangenen Jahren seien die Angebotsmieten in Leipzig um 42 Prozent gestiegen, sagt Juliane Nagel, Leipziger Abgeordnete der Linken im Landtag und deren Expertin für Wohnen. Zwar wirken diese mit 7,17 Euro kalt für den Quadratmeter im bundesweiten Vergleich moderat. Janoschka weist aber darauf hin, dass auch die Einkommen eher bescheiden sind. Der Anteil des Einkommens, den Leipziger Haushalte für das Wohnen aufwenden müssen, sei daher ähnlich wie in München. Viele können sich die Mieten in ihren angestammten Vierteln nicht mehr leisten und müssen umziehen. Das hat brisante Folgen, sagt Janoschka: »Verdrängung führt zu einem Gefühl der Machtlosigkeit und zu enormem Frust.«

Ein Ende der Entwicklung ist vorerst nicht in Sicht. Nagel verweist darauf, dass auch bei großen laufenden Neubauvorhaben etwa am Bayerischen Bahnhof börsennotierte Unternehmen wie Vonovia zum Zuge kommen. Die städtische Wohnungsgesellschaft LWB und die sieben Genossenschaften haben noch einen Anteil von 15 Prozent, aber mit sinkender Tendenz. In Städten wie Wien, merkt Lay an, befinden sich zwei Drittel des Wohnungsbestandes in öffentlicher Hand. Sie fordert einen Fonds für die Rekommunalisierung von Wohnungen. Die sächsische Landespolitik diskutiert derweil über die Bedingungen einer Mietpreisbremse, auf die sich die regierende Koalition aus CDU, Grünen und SPD geeinigt hat, die aber selbst von den kommunalen Vermietern angefeindet wird. Nagel fordert eine »neue Wohnungsgemeinnützigkeit«, um am Gemeinwohl orientierte Vermieter zu stärken. Sie weist darauf hin, dass nicht nur das Modell Wächterhäuser heute kaum noch praktikabel ist. Auch Akteure wie das Mietshaussyndikat oder Baugruppen haben angesichts der explodierenden Preise auf dem Leipziger Markt kaum noch eine Chance.

Gefordert wird außerdem ein öffentlich einsehbares Immobilienregister, das die Frage beantwortet, wem eine Stadt gehört. Mangels solcher Verzeichnisse sind die Recherchen eine Sisyphusarbeit, wie Trautvetter berichtet. In das Projekt der Stiftung flossen Auskünfte von Mietern und Mietinitiativen ein, aber auch die akribische Lektüre der Jahresabschlüsse von Großvermietern und die Auswertung von Inseraten in Immobilienzeitungen und -portalen. Für Leipzig will eine Initiative namens »Wem gehört Connewitz«, die Michael Janoschka leitet, die Ergebnisse jetzt verfeinern. Als Aufruf zur Teilnahme seien 10 000 Flyer verteilt worden. Die Idee dahinter: Wenn es in Leipzig schon kaum noch Wächterhäuser gibt, soll es wenigstens wachsame Mieter geben.

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