Tunesien: Putsch mit »guten« Absichten

Martin Ling über den Alleingang des tunesischen Präsidenten

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 1 Min.

Seine Motive mögen lauter sein, der gewählte Ansatz ist es nicht. Tunesiens Präsident Kais Saied hat den Regierungschef Hichem Mechichi entlassen und das Parlament für 30 Tage kaltgestellt. Bei seinem Amtsantritt 2019 hatte der parteilose Saied versprochen, das von Korruption geprägte System zu reformieren. Weit gekommen ist er damit nicht. Nun nutzte er die Gunst der Stunde, den Unmut der Bevölkerung über die wirtschaftliche Lage und die wütende Corona-Pandemie, derer die Regierung von Mechichi nicht im Ansatz Herr werden konnte.

Saied beruft sich bei seinem Vorgehen zwar auf die Verfassung, die ihm bei einer unmittelbaren Gefahr erlaubt, Parlament und Regierung zu suspendieren. Doch die Verfassung sieht auch in diesem Falle Gewaltenteilung vor, der Präsident des Verfassungsgerichts muss ins Boot geholt werden. Das hat Saied unterlassen. Formal handelt es sich somit um einen Putsch.

Saied weiß das Militär hinter sich, Teile der Zivilbevölkerung ohnehin. Er geht ein hohes Risiko ein, denn seine Gegenspieler von der islamischen Ennahda, die das Parlament dominieren, verfügen über eine beträchtliche Gefolgschaft. Saied hat es verpasst, auf Dialog zu setzen und auf demokratischen Pfaden zu bleiben. Der Weg dahin wird nun umso schwerer.

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