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Ein Denkmal für die Pionierinnen

Der Dokumentarfilm »Die Unbeugsamen« ist eine überfällige Hommage an Frauen in der Politik

Es ist ihre allererste Rede im Bundestag, und mit ihren Worten wird sie genau das offenlegen, was sie beweisen will: Die Bundesrepublik der 1980er Jahre (und auch davor und danach) ist sexistisch, misogyn und mehrheitlich angetrieben von ebenso beschlipsten wie verklemmten Männern, die meisten von ihnen unfähig zu irgendetwas wie Empathie oder selbstkritischer Reflexion.

Einer der beeindruckendsten Ausschnitte dieses Films über Frauen in der Bonner Republik: Waltraud Schoppe, Mitbegründerin der Grünen, tritt ans Pult des Bundestages, und als wäre ihre Rede aus dem Jahr 1983, kurz nachdem die Grünen erstmals in den Bundestag einzogen, nicht symbolisch genug, nimmt sie sich die Zeit, zuppelt erst einmal mit Vehemenz das Mikrofon zurecht, das noch auf Männerhöhe eingestellt ist. Dann hält sie eine denkwürdige Rede, eine, wie sie der Bundestag so noch nie vor ihr und selten nach ihr erlebt hat. Als erstes bekommt Bundestagspräsident Rainer Barzel eins übergebraten, zwar im höflichen, dem Hause angemessenen Ton, aber ohne Ehrfurcht. Dann setzt sie an zu einer Fundamentalkritik am männlichen Ego, es geht um den Paragraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt: Sie spricht vom Sex als monotoner »Einheitsübung« vor dem Schlafengehen und »fahrlässiger Penetration«. Die Reaktionen aus dem Plenum zeigen die typische männliche Reaktion aus Unsicherheit und Getroffensein: Lachen, Schenkelklopfen, unfassbar peinliche Zwischenrufe. Schoppe wird als Hexe tituliert.

Regisseur Torsten Körner hat für seinen Dokumentarfilm »Die Unbeugsamen« 14 Politikerinnen, Koryphäen der Bonner Republik, von einst vor die Kamera geholt und lässt sie eine Zeit reflektieren, die so fern scheint, deren Geist es aber mitnichten ist. Sie sagen Lustiges, viel Wahres, einiges offenbart Erbärmliches. Wenn Helga Schuchardt (FDP) davon erzählt, wie Richard Stücklen (CSU), immerhin mal Bundestagspräsident, ihr auf dem Weg zum Podium mit der Hand über den Rücken fährt, weil er in der Fraktion eine Wette zu laufen hat, ob sie einen BH trägt, dann sagt das viel über das frauenfeindliche Klima, die patriarchale Grundstimmung, den Mief und die Doppelmoral von damals. Man kann das für eine Anekdote aus dieser Zeit halten. Wir wissen, dass es nicht so ist.

Körner rahmt die Erzählungen der Politikerinnen ein in lange Kamerafahrten entlang der architektonischen Höhepunkte der Bonner Republik (Kanzlerbungalow, Kabinettsaal des Bundeskanzleramtes). Mit dem Verweilen auf Polstern und Möbeln aus dieser längst vergangenen Ära verdichtet Körner die Atmosphäre und verdeutlicht, wie erhaben und gleichzeitig angsteinflößend das politische Bonn gewirkt haben muss. Begleitet wird die Reise in die Vergangenheit von Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern und Dvoraks Symphonie Nr. 9, mehr Bombast, mehr Testosteron geht nicht. Dazu Bilder von offiziellen Anlässen: Wir sehen Adenauer mit Erhard, wir sehen Erhard mit Wehner, wir sehen Erhard und Adenauer mit Heuss, viele Fracks und Hornbrillen, Halbglatzen und dicke Bäuche. Was wir nicht sehen: Frauen.

Der Film legt weibliche Allianzen offen, die zunächst nicht besonders nahe liegen. Und das ist überhaupt die große Leistung Körners. Er verleiht lange Unterbelichtetem endlich eine Schärfe. Als die Grünen beschlossen, einen rein weiblichen Fraktionsvorstand aufzustellen, bekommen sie dafür von Ursula Männle aus der CSU einen Gratulationsbrief, und Männle dafür mächtig Ärger in ihrer Partei. Diese bisher unbekannten Erzählungen von Frauensolidarität und Mut, wo man sie nicht erwartet hat, von Politikerinnen, die immer unterhalb des Aufmerksamkeitsradars ihren Job machten, die wichtige Reden hielten, von denen kaum einer später noch Notiz genommen hat, diese auf ein Podest zu heben, das ist der große Gewinn dieses Films.

Oder wer kann sich noch an Christa Nickels (Grüne) Wortmeldung im Bundestag zur Debatte um die Wehrmachtsausstellung 1997 erinnern? Sie ist von einer schlichten Brillanz, weil sie das ganze Drama der deutschen Nachkriegsgeschichte ohne zu beschönigen, aber doch versöhnlich in berührenden Worten auf den Punkt bringt. Was, wie die davor gezeigten Ausschnitte beweisen, keinem Mann in der Plenardebatte gelungen ist. Oder wer kommt bei der Suche nach dem Grund für den desolaten Zustand der FDP von heute noch auf Hildegard Hamm-Brücher? Sie hielt das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt 1982 für einen massiven Vertrauensbruch gegenüber dem Wähler und lehnte den Seitenwechsel ihrer FDP zur CDU öffentlich und gegen die Parteioberen ab. Es folgte eine Austrittswelle in der FDP.

Während des Films fallen interessante Details auf: Die Frauen in der SPD, immerhin die Partei mit großen Namen wie Heidemarie Wieczorek-Zeul oder Regine Hildebrandt, kommen verhältnismäßig blass daher. Zwar sagen auch Renate Schmidt und Herta Däubler-Gmelin Schlaues über Macht und Durchsetzungswillen, aber im Vergleich zu den anderen zwölf Frauen wirken sie, wie die SPD eben so wirkt. Natürlich dürfen Kinder mit auf Friedensdemonstrationen, sagt Renate Schmidt, aber mit einer Waltraud Schoppe können sie es eben nicht aufnehmen, die zum selben Thema die Axt auspackt: »Wir brauchen keine neuen Raketen, wir brauchen neue Männer in diesem Land.«

Nicht alle traten tatsächlich so angriffslustig auf, einige der interviewten Frauen geben zu, dass sie das Machtgehabe der Männer akzeptierten, weil sie wussten, sie würden es sonst in der Partei noch schwerer haben und damit auch ihre Ziele aufs Spiel setzen. Das ist der traurigste Teil der Dokumentation, denn er legt offen, womit auch heute noch Frauen zu kämpfen haben: die Abhängigkeitsverhältnisse, die durch männlich dominierte Strukturen entstanden sind, zu durchbrechen.

Körner ist ein versierter Chronist bundesdeutscher Zustände, hat bereits eine aufwendige Dokumentation über Angela Merkel gedreht (»Die Unerwartete«, 2016) und das Leben und Wirken Schwarzer Fußballer in Deutschland betrachtet (»Schwarze Adler«, 2021). Selbstkritisch merkt er an, dass ihn die weibliche Perspektive auf Gesellschaft und Politik lange selbst nicht interessiert hat. Er schrieb Biografien über Willy Brandt, Götz George, Franz Beckenbauer oder Heinz Rühmann. Diese wohlwollende Offenheit gegenüber weiblichen Perspektiven ist seiner Dokumentation anzumerken. Dabei wäre neben all der fleißigen Archivarbeit und den entsprechenden zeithistorischen Kommentaren der Protagonistinnen auch interessant gewesen, den Weg einzelner Politikerinnen nachvollziehen zu können: Wie wurden sie so selbstbewusst, wie sie waren? Wer oder was hat sie inspiriert, woher kam ihre Stärke, sich gegen all die Machos und Gockel zu behaupten? Gerne hätte man auch gesehen, wie einige der großen Zampanos von damals heute auf ihr Auftreten reagieren, indem man sie konfrontiert. Körner entschied sich aber, und das ist sein gutes Recht, keinen Mann in den Interviews zu Wort kommen zu lassen.

Und so kann man nur unendlich dankbar sein für das, was diese Frauen geleistet haben, weil sie den Mut hatten, sich gegen das Bollwerk Mann zu stellen und laut für ihre Sache zu sprechen. Ein Satz, wie ihn Heiner Geißler in einer Bundestagsdebatte von sich gab (»Sie schauen sich zum Teil ganz passabel an«), würde ihn heute in einer günstigen Konstellation von Boulevard, Social Media und Vernunft den Job kosten. Immerhin.

»Die Unbeugsamen«: Deutschland 2020. Regie: Torsten Körner, Interviewpartnerinnen: Herta Däubler-Gmelin, Rita Süssmuth, Ingrid Matthäus-Maier, Christa Nickels u.a., 99 Min., Start: 26. 8.

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