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Ist doch nur Politik - Zur Ästhetik des Wahlkampfes

Die Grünen: Kommt, jetzt stellt euch nicht so an

Eines muss man den Grünen lassen: Seit Jahrzehnten ist ihr Anspruch, dass die Wahlplakate möglichst keck aussehen sollen. Ob die Comic-Aufhänger, mit denen Hans-Christian Ströbele mariannengleich mit wehender Fahne in den Kampf gegen das Kapital zog (2009), oder das knallige Pink, mit dem sie sich bei der letzten Kampagne 2017 stilistisch schon recht nah an die ewig juvenile FDP herangewanzt hatten – wo die Sonnenblume prangte, sprach immer auch ein Michel-aus-Lönneberga-Außenseitertum zu uns. Frech und von der Normalgesellschaft missverstanden, aber stets mit den besten Absichten. Nimmt man also vergangene Wahlkämpfe als Referenz für den eigenen ästhetischen Anspruch, dann lässt sich zumindest eins feststellen: Die bis vor Kurzem noch realistische Chance aufs oberste Podest führt zu weniger Lametta, dafür strengem Formalismus: Zweifarbigkeit in Pistazie und Schwarz. Eine illustre Farbkombination, aus der nur kühne Interpretationen Koalitionsavancen herauskristallkugeln wollen.

Das Versprechen dieser strengen Duplexität ist klar: Wer grün wählt, wird kein Bullerbü mehr bekommen, sondern knallharte Regierungsverantwortung – koste es, was es wolle. Wer ist man denn im Jahr 2021, sich mit dem demütigen Anspruch von 2017 abzugeben, drittstärkste Kraft im Bundestag werden zu wollen?

Robert Habeck hat die Agentur (und er sich selbst) ikonografisch voll auf Steve Jobs geframed (ohne Rollkragen, dafür mit den obligatorisch hochgekrempelten Ärmeln, aber eben mit dieser visionären Unruhe auf der Bühne); dazu Annalena Baerbock im gleichen Denkt-vielnach-Schwarz und in Girlboss-Pose. Auf die Sonny-und-Cher-Duett-Romantik, sprich: ein gemeinsames Fotoshooting, hat man klugerweise verzichtet. Geht ja auch nicht um Romantik. Dafür viel darum, was Deutschland alles könnte, wenn man nur endlich mal die Grünen machen ließe. Und das klingt dann wieder doll nach FDP: »Züge, Schulen, Internet – Ein Land, das einfach funktioniert.« Jetzt macht es doch nicht so kompliziert, Menschenskind!

Der Slogan »Bereit, weil Ihr es seid« ist geniale Hybris. Spricht da doch eine Zeit, in der Umfragen die Grünen schnurstracks ins Kanzler*innenamt gehievt hätten. Vom Duktus ist das Merkels bombastisches Statement aus dem TV-Duell mit Peer Steinbrück (2013): »Sie kennen mich.«

Die Grünen im Höhenflug senden die subtil paternalistische Botschaft an die Wähler: Halb zogen sie sie, halb sanken sie hin. Oder drastischer: Kommt, jetzt stellt euch nicht so an (mit der Union kann›s doch ganz nett werden). »Wir sind bereit« wäre aber auch wieder zu viel breitbeinige FDP gewesen, und so verkommen ist man ja nun wirklich noch nicht. Dann kam dieses Missgeschick mit dem Buch; und dem Lebenslauf; und dem Stipendium; und dem Parteieintrittsdatum; und den Sonderzahlungen. Nun steht es aber da: »Bereit, weil ihr es seid«, und es wirkt so gestrig wie die Grünen nie sein wollten.

Was sagen uns die übrigen Plakate? Da ist der Papa mit Sohn auf den Schultern. Es gibt den hippen Großvater vor dem Smartphone, der sich nicht etwa mit den zu kleinen Tasten einen abfriemelt, um seine noch viel winzigere Rente auszurechnen, nein: Sein Problem ist das langsame Internet! Das versöhnt ja nun die komplette potenzielle Wählerschaft, die auch weit ins CDU-Lager reinreicht und erst kurz vor den wirklich reaktionären Freaks aufhört. In Schwarz und Pistazie wird nun auch endgültig klar, dass die Kassiererin aus Kaiserslautern für die Grünen einfach zu lost ist, um auch mal mitgemeint zu sein.

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