»Mieterschutz lohnt sich sogar kaufmännisch«

Florian Schmidt, Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, sieht sich im Amt als Vertreter der Initiativenlandschaft

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 10 Min.

Die Aufteilung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen ist durch das novellierte Baugesetzbuch und eine Rechtsverordnung des Senats vom Juli nur noch möglich, wenn zwei Drittel der Mieter erklären, ihre Wohnung kaufen zu wollen. Ist das eine Wende?

Das Problem ist zunächst, dass es viel zu spät kommt. Wir haben im letzten Jahr noch einmal einen Aufteilungsboom in Berlin gehabt, mit 18 800 Wohnungen, viele davon in Friedrichshain-Kreuzberg. Der wird sich bis zum Stichtag dieses Jahr noch fortgesetzt haben. Dann gibt es Unklarheiten für mich, welche Effekte dieser Paragraf haben wird, weil das Grundziel der Aufteilung durchaus noch anerkannt wird. Ich habe die Befürchtung, dass die Vermietungspraxis sich ändern wird, sollte die Regelung verstetigt werden. Vermieter könnten darauf bestehen, dass Mieter bei Abschluss des Mietvertrags eine Absichtserklärung abgeben, dass sie bei einer Aufteilung die Wohnung kaufen würden, sowie eine Vermögensauskunft, ob sie finanziell überhaupt in der Lage dazu wären. Dann haben Mieter ohne Vermögen noch weniger Chancen, Wohnraum zu bekommen. Und wir wissen auch noch nicht, ob es genau so funktioniert, wie man sich das bei den Parteien der Koalition wünscht. Also, ob es vor Gericht Bestand hat, dass die Genehmigung zur Aufteilung nur bei Vorliegen notarieller Absichtserklärungen von zwei Dritteln der Mieter erteilt werden kann. Außerdem ist die Regelung auf fünf Jahre begrenzt. Das bedeutet, dass wir weiterhin Vorkäufe ausüben müssen.

Florian Schmidt
Florian Schmidt (Grüne) ist seit 2016 Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Der studierte Soziologe engagiert sich seit den 2000er Jahren in der Stadtpolitik, von 2014 bis 2016 war er Berliner Atelierbeauftragter.

Bei den Vorkäufen war Friedrichshain-Kreuzberg lange vorn. Das scheint in letzter Zeit etwas ins Stocken geraten zu sein. Woran liegt das?

Seit Februar haben wir außer einem Darlehen für den Kauf durch eine Genossenschaft leider keinerlei Zuschuss mehr vom Senat für die Ausübung von Vorkaufsrechten durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften bekommen. Angeblich, weil der Kaufpreis immer zu hoch war. Man muss aber immer wieder Nadelstiche setzen, um Signale an den Markt zu senden, und das Vorkaufsrecht auch mal bei höheren Preisen ausüben. Wir haben derzeit wieder sehr viele Prüffälle und kriegen selbst bei moderaten Preisen Absagen der Wohnungsbaugesellschaften. Unser Bezirk hat das Vorkaufsrecht am intensivsten genutzt, und vielleicht ist man bei der Finanzverwaltung nicht mehr so motiviert. Ich habe gehört, dass in Mitte und Pankow in letzter Zeit erhöhte Zuschüsse durch das Land gewährt wurden. Leider gibt es eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Bezirken und dem Land nur punktuell, zum Beispiel als Heimstaden ein Riesenpaket gekauft hat. Ich habe mehrfach eine bezirksübergreifende Zusammenarbeit mit den Senatsverwaltungen angeregt.

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Liegt es vielleicht daran, dass Ihr Bezirk für die Vorkaufsgenossenschaft Diese eG abgestraft wird? Immerhin sorgte die Ausübung von Vorkaufsrechten für sehr teure Häuser vor dem parlamentarischen Beschluss entsprechender Zuschussregeln für einige Verwicklungen, was die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch die Opposition zur Folge hatte. Auch Die Linke sagt, dass durch Ihr Agieren das Vorkaufsrecht beschädigt worden sei.

Bei der Diese eG hat eine ganz miese Nummer stattgefunden, nämlich ein Doppelpass zwischen verschiedenen Parteien und der Immobilienlobby. Ein Projekt wurde torpediert und später in eine Situation getrieben, wo die einen sagten: »Oh, kriminell, Insolvenzverschleppung!« Andere sagten: »Oh, der Senat musste euch retten!«. Aber dass die Situation erst durch eine Fraktion der Koalition erzeugt wurde, ist in diesem Untersuchungsausschuss leider nicht diskutiert worden. Im Übrigen denke ich nicht, dass die Diese eG dem Vorkaufsrecht geschadet hat. Im Gegenteil, es sind danach einige Genossenschaften mit eingestiegen. Eventuell hätte es ohne die Diese eG so ein Zuschussprogramm überhaupt nicht gegeben. Was wäre denn die Alternative gewesen für die Mieterinnen und Mieter? Gar nicht helfen? Wenn landeseigene Wohnungsunternehmen sich wegducken, ist es doch umso besser, wenn Genossenschaften ihren Job machen. Ohne sie würde die Vorkaufsbilanz seit Corona sehr viel schlechter aussehen, sie haben Hunderte Wohnungen erworben. Von Friedrichshain-Kreuzberg aus haben wir dafür gekämpft, dass den aktiven Genossenschaften der Rücken gestärkt wird, mit Fördermitteln, aber auch mit Kooperation. Vom Abgeordnetenhaus aus hat unsere Direktkandidatin Katrin Schmidberger das getan. Wir haben mehrfach auch den sogenannten präventiven Erwerb mit Genossenschaften befördert, wo wir sie direkt mit den Mietern und Eigentümern zusammenbringen, um das Haus zu erwerben, noch bevor es zu einem Vorkaufsrecht kommen würde.

Würden Sie trotz der Erfahrungen nichts anders machen?

Mit dem Erfolg, der beim Vorkaufsrecht eingetreten ist, dem bundesweiten Medienecho und dem Rückenwind aus der Öffentlichkeit habe ich mich getraut, neue Wege zu gehen. Vielleicht fehlte mir teilweise die Erfahrung, dafür habe ich Lehrgeld gezahlt. Ich habe allerdings die Verfahren im Bezirksamt überarbeitet, so dass wir jetzt viel besser aufgestellt sind, auch für neue Herausforderungen.

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Haben Sie sich der Verwaltungslogik gefügt?

Grundsätzlich glaube ich, dass man sich, wenn man in die Politik geht und dort etwas bewegen will, manchmal aus dem Fenster lehnen muss. Man muss Neuland betreten. Und es kann eben passieren, wenn man jemandem auf den Schlips tritt, dass dann auch eine gewaltige Gegenwehr entfacht wird. Das wollen die Bürger aber auch von uns. Ich bekomme viel Rückenwind von der Bevölkerung.

Sie hatten deutliche Konflikte mit der Verwaltung. Wie läuft es denn inzwischen?

Es war schon ein Lernprozess zwischen der Verwaltung und mir. Das ist menschlich, dass man sich kennenlernt und irgendwann einen guten Umgang miteinander findet. Ich mag die Menschen hier, es ist auch ein sehr herzlicher Umgang.

Welche Bilanz ziehen Sie für ihre Arbeit im Bezirk nach dieser Legislaturperiode?

Gemeinsam mit dem Senat konnten wir durch Vorkauf, Abwendungsvereinbarungen und Ankauf 4500 Wohnungen sichern. Die rund 1500 Wohnungen aus dem Vonovia-Deal kommen hinzu. Diese Ankäufe muss man auch kritisch sehen, weil die werthaltigen Immobilien im Bezirk, die ein hohes Verdrängungspotenzial haben, weiterhin bei der Deutschen Wohnen sind. Andererseits wären solche Ankäufe ohne den Druck der Mieteninitiativen und des Bezirksamts kaum vorstellbar. Zusammen sind das rund vier Prozent des Bestands von 150 000 Wohnungen. Einer der spektakulärsten Erfolge, neben der Diese eG, war sicherlich, dass wir die Wohnungen an der Karl-Marx-Allee vor dem Zugriff der Deutsche Wohnen sichern konnten. Da gab es auch viel Elan von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, insbesondere von Senator Sebastian Scheel von der Linken, damals Staatssekretär, mit dem ich im Übrigen immer sehr gut zusammengearbeitet habe. Die Grundidee kam von Mietern, AKS Gemeinwohl und Bezirksamt. Dann ist da noch die Ausweisung zahlreicher neuer Milieuschutzgebiete. Inzwischen sind drei Viertel der Bevölkerung im Bezirk erfasst. Bei der Genehmigung von Modernisierungsmaßnahmen fahren wir eine harte Linie, das führte zur Vermeidung und Begrenzung von Umlagen bei rund 8000 Wohnungen in dieser Legislatur. Dadurch sind Mieterhöhungen massiv beschränkt worden.

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Wenn Sie nach vorne schauen: in welche Richtung geht es?

Wir haben in dieser Legislatur gezeigt, dass man aus dem kommerziellen Immobilienmarkt große Stücke herausbrechen kann und in Richtung Gemeinwohlbewirtschaftung lenken kann. Ich habe in den letzten Jahren eine regelrechte Bewegung einer Communalisierung erlebt. Ich spreche immer von Communalisierung mit C, wie Englisch Common, also Gemeingut, denn es geht auch um Genossenschaften und privates Engagement, auch von Vermieterinnen. Daher ist der Mietenschutzschirm unserer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch auch richtig, um eine grundlegende Transformation des Immobilienmarkts zur erreichen, hin zu einem gemeinwohlorientierten Wohnungswesen, bei dem mindestens 50 Prozent der Häuser im Gemeinwohl sind. Im Bezirk haben wir den Anteil bereits von rund 25 auf 29 Prozent gesteigert. Der Weg zu 50 Prozent ist lang und steinig, aber er lohnt sich. In meinem Buch mit dem Titel »Wir holen uns die Stadt zurück«, das in Kürze erscheint, erläutere ich das im Detail.

Was entgegnen Sie auf den regelmäßig wiederkehrenden Vorwurf, dass man das Geld für Vorkäufe lieber in den Neubau stecken solle?

Zunächst darf man bei den Zuschüssen für Vorkaufsrechte nicht vergessen, dass das Instrument ja auch zu vielen Abwendungsvereinbarungen führt, mit denen quasi kostenlos Mieter für einen langen Zeitraum geschützt werden. Die Zuschussbeträge stellen auch nur einen relativ moderaten Anteil an den Kaufpreisen dar. Demgegenüber steht der Wert, dass wir den Menschen hier bezahlbaren Wohnraum ermöglichen. Und dass die Leute nicht über Wohngeld oder andere Instrumente unterstützt werden müssen. Wir verteidigen die Berliner Mischung in der Innenstadt, weil eben hier das Betongold quasi auf der Straße liegt. Wenn wir das dem Markt überlassen, dann müssen immer mehr Menschen ohne finanzielle Möglichkeiten in die Außenbezirke ziehen, was viele weitere soziale Folgekosten nach sich zieht. Für Berlin lohnt sich das Vorgehen unter dem Strich also sogar kaufmännisch. Allerdings braucht es auch Neubau, für den genug Geld da ist. Nur brauchen wir nicht kommerziellen Investorenneubau, der die Mieten und Bodenpreise nach oben treibt. Wir brauchen bezahlbaren Neubau, landeseigen und genossenschaftlich, so wie es Wien seit 100 Jahren betreibt und heute mehr als 50 Prozent Gemeinwohlanteil am Wohnungsmarkt hat.

Sie hatten AKS Gemeinwohl schon erwähnt. Es ist eines der vom Bezirk bezuschussten Netzwerke, die auch auf Ihre Anregung hin entstanden sind. Finanzieren Sie damit einen eigenen Freundeskreis, wie ihnen CDU und FDP unterstellen?

Der Aufbau von Koordinierungsstrukturen ist sehr wichtig, bei der AKS Gemeinwohl zum Beispiel für das Thema Vorkaufsrecht und die Vernetzung von Initiativen. LokalBau kümmert sich um den Neubau, dann haben wir noch die Baustelle Gemeinwohl, die Stadtwerkstatt oder die Zusammenstelle auf dem Dragonerareal. Solche Transformationsbewegungen sind angelegt in der Grundhaltung der Leute in Friedrichshain-Kreuzberg. Ich halte kooperative Strukturen für höchst innovativ, und das sehen viele Fachleute ebenso, was zahlreiche Anfragen von Universitäten zeigen. Die AKS findet sich sogar namentlich als beispielhaft in der Innenstadtstrategie der Bundesregierung wieder. Ich habe in den letzten zehn Jahren in Barcelona gesehen, wie man aus der stadtpolitischen Bewegung heraus eine Stadt wirklich zurückerobern kann, auch durch Mitarbeit in der Regierung. Ich sehe mich als Vertreter dieser Bewegung in Regierungsverantwortung. Es gehört dazu, dass man mit der Initiativenlandschaft zusammenarbeitet und ihr auch Ressourcen gibt, damit sie nicht so prekär vor sich hinwerkeln muss. Die Beratung von Hausgemeinschaften bei Vorkaufsrechten kann der Bezirk nicht selbst machen, ebenso die Vernetzung von gemeinwohlorientierten Immobilienorganisationen. Das können andere einfach besser, aber das Bezirksamt kann es finanzieren. Hier geht es übrigens nicht um die Verteilung von Posten für altgediente Parteifreunde in Wohnungsbaugesellschaften oder um befreundete Bauunternehmer, die Aufträge bekommen. Wenn manche uns mit Filzvorwürfen diffamieren, mag es daran liegen, dass diese altbekannte Vetternwirtschaft als normal angesehen wird. Uns Grünen geht um die Stärkung der sozialen Kräfte in der Gesellschaft und eine beschleunigte Transformation.

Werden Sie für das Sozialisierungs-Volksbegehren stimmen?

Natürlich werde ich mit Ja stimmen, wie Bettina Jarasch. Ich halte Deutsche Wohnen & Co enteignen für eine der großartigsten Initiativen, die diese Stadt je gesehen hat, mit die wichtigste überhaupt. Das ist auch für mich dieser Munizipalismus, also, dass die Stadtgesellschaft die Idee vorlegt und sie auch weiter begleitet. Ja, es ist eine Drohkulisse einerseits, aber es ist auch ein Handlungsfeld - und es geht weit über eine Kommunalisierung hinaus. Die Idee der Gemeinwirtschaft ist wieder als Keil in die Debatten getrieben worden, das kann man gar nicht hoch genug anerkennen.

In Ihrem Bezirk ist weiter mit einer deutlichen grün-linken Mehrheit zu rechnen. Wieviel Spielraum bietet auf Landesebene eine Koalition aus SPD, CDU und FDP, mit der Franziska Giffey anscheinend liebäugelt?

Es wäre ein herber Rückschlag für die Mietenpolitik. Ich denke aber nicht, dass es dazu kommt. Die Umfragen zeigen, dass die Menschen zwischen Bundesebene und Berlin unterscheiden. Viele spüren, dass die Grünen es ernst meinen bei den Transformationsthemen Mieten, Verkehr, Klima.

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