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  • Klimagerechtigkeitsbewegung

Letzte Chance für Veränderung

100.000 Menschen fordern beim globalen Klimastreik in Berlin, dass die Politik Verantwortung für die Klimakrise übernimmt

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Platz der Republik bebt. Schilder mit aufgemalten brennenden Erdkugeln, Fridays-for-Future-Flaggen und ein riesiger aufblasbarer Armin Laschet schmücken den Himmel über dem Berliner Regierungsviertel. »Aus Menschen werden Massen und aus Massen erwächst Macht – wir schreiben Geschichte!«, ruft Klimaaktivistin Luisa Neubauer von der Bühne vor dem Reichstagsgebäude den 100.000 Menschen zu, die am Freitag zum globalen Klimastreik gekommen sind. Zwei Tage vor der Bundestagswahl hat ein breites Bündnis von Klimagerechtigkeitsgruppen zu Demonstrationen in fast 500 Städten in Deutschland aufgerufen; die mit Abstand größte war in Berlin.

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Auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ist gekommen und ruft dazu auf, wählen zu gehen. »Aber wählen ist nicht genug. Wir müssen auch weiterhin auf die Straße gehen und Veränderung fordern«, appelliert sie an die jubelnde Menschenmenge. »Keine Partei hat ein Programm, das mit der 1,5 Grad-Grenze vereinbar ist. Die Politik steuert auf eine zwei bis vier Grad wärmere Welt zu. Jetzt ist die allerletzte Chance, um das noch zu ändern«, sagt Hannah Pierot, Sprecherin von Fridays for Future Berlin, zu »nd«. Die 17-jährige Schülerin fühlt sich von der Politik belogen, trotzdem will sie die 1,5 Grad noch nicht verloren geben. Deutschland müsse als einer der größten CO2-Emittenten der Geschichte endlich seiner globalen Verantwortung für die Klimakrise gerecht werden – das ist die Botschaft, die an diesem Freitag an die zukünftige Regierungskoalition gesendet wird.

Wetter ohne Maß und Mitte. Berlin und Brandenburg gehören zu den Hotspots der Klimakrise in Deutschland

Schon am Vormittag begann der globale Klimastreik mit zahlreichen Fahrrad-Demonstrationen, unter anderem des Netzwerks A100 stoppen. »Wir wollen den Weiterbau der Autobahn A100 stoppen, weil die noch mehr Emissionen in die Stadt bringen werden«, erklärt Carolina Mazza vom ADFC Berlin. Stattdessen brauche die Hauptstadt eine echte Verkehrswende durch den Ausbau von Nahverkehr und Fahrradwegen. Mit der SPD werde es die jedoch nicht geben, »die SPD ist unwählbar!«, sagt Lara Eckstein von Campact bei der Auftaktkundgebung vor der SPD-Zentrale in der Stresemannstraße. Von dort aus radeln mehrere Hundert Menschen über die A100 zum Platz der Republik.

Dort beginnt wenig später das Bühnenprogramm mit Musik unter anderem von Brass Riot, Clueso und Nura sowie zahlreichen Redebeiträgen. So fordert Transformationsforscherin und Scientists-for-Future-Gründerin Maja Göpel mehr Transparenz und Entschlossenheit von der Politik. Die Anwältin Yi Yi Prue aus Bangladesch, die in diesem Jahr mit einem Bündnis von Klimaaktivist*innen vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich für eine Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes geklagt hat, erinnert daran, dass »wir indigenen Menschen schon heute vom Klimawandel betroffen sind«. Ein Aktivist aus Lützerath, einem Ort in Nordrhein-Westfalen, der für einen Braunkohletagebau weichen muss, fordert, »unsere Welt zu respektieren und zu beschützen. Es ist Zeit zu kämpfen!«

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Auch das Bündnis Deutsche Wohnen und Co enteignen beteiligt sich am Klimastreik, »weil Wohn- und Klimapolitik zusammengehören, da Häuser mit Emissionen verbunden sind. Profitorientierte Unternehmen haben kein echtes Interesse, das zu ändern. Wirkliche Veränderung kann nur durch Vergesellschaftung passieren«, sagt Aktivist Camilo Almendales. Julia Seiffert, eine der Demo-Teilnehmer*innen, ist gerührt von der Aufbruchsstimmung. »Es ist einfach krass zu sehen, wie viele Menschen hier sind. Ich bin richtig dankbar, dabei zu sein«, sagt sie, während sich die Menschenmenge für einen Demonstrationszug durch das Regierungsviertel in Bewegung setzt.

Wie ernst die Klimakrise gerade den jungen Menschen ist, haben schon in den vergangenen drei Wochen sieben Aktivist*innen gezeigt, die seit dem 30. August im »Hungerstreik der letzten Generation« waren, der inzwischen beendet ist. Sie forderten von den drei Bundeskanzlerkandidat*innen ein öffentliches Gespräch über die Klimapolitik, das am Donnerstagabend stattfinden sollte. Da weder Annalena Baerbock (Grüne) noch Olaf Scholz (SPD) oder Armin Laschet (CDU) zu dem Termin im Spreebogenpark erschienen sind, haben fünf der Aktivist*innen den Hungerstreik Anfang dieser Woche beendet und die Aktion »Take The Chair« (»Nehmt euch euren Stuhl«) gestartet. »Leben erhalten und schützen muss in der antikapitalistischen Klimagerechtigkeitsbewegung oberste Priorität haben. Deshalb nehmt euch alle einen Stuhl, den die Kanzlerkandidat*innen leer gelassen haben.« Damit forderte die Aktivistin Mephisto alle Teilnehmer*innen der Aktion dazu auf, selbst Verantwortung für das Klima zu übernehmen. Auch sie fühlt sich von der Politik verraten. Aufgrund der weltweiten öffentlichen Aufmerksamkeit und Solidarität, die die Hungerstreikenden in den vergangenen vier Wochen erfahren haben, sei der Hungerstreik dennoch ein Erfolg gewesen.

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Zwei weitere Aktivist*innen wollten sich damit nicht zufrieden geben und gingen am Samstag noch einen Schritt weiter: in den trockenen Hungerstreik. Im selbst ernannten »Triell für das Überleben« am Donnerstagabend kündigten Henning Jeschke und Lea Bonasera diese Verschärfung an. Auf den Stühlen, die für Baerbock, Scholz und Laschet gedacht gewesen wären, platzierten sie drei Eisklötze, als Symbol für die »Ignoranz uns gegenüber«, wie Jeschke sagt. Sie forderten den SPD-Kandidaten Olaf Scholz, der in den aktuellen Wahlumfragen führt, dazu auf, bis Samstagmorgen öffentlich bekennen, dass Deutschland sich in einem Klimanotstand befindet. In der Nacht auf Freitag besuchte jedoch nicht Olaf Scholz, sondern Grünen-Chef Robert Habeck das Camp der Aktivist*innen im Spreebogenpark und bat die beiden verbliebenen Hungerstreikenden, ihren Protest zu beenden. »Es ist nichts gewonnen, wenn ihr sterbt«, sagte er zu Jeschke und Bonasera.

Als das Ultimatum an Scholz am Samstag verstrich, traten die 21- und 24-jährigen Aktivist*innen für sieben Stunden in den Hunger- und Durststreik. Am Samstagabend sagte der SPD-Politiker schließlich einem öffentlichen Gespräch über einen Klimanotstand in den kommenden vier Wochen zu, woraufhin beide wieder zu essen und zu trinken begonnen haben. »Unser Hungerstreik, als Mittel des zivilen Ungehorsams, hat die Blockadehaltung der Politiker*innen gebrochen. Unsere Entschlossenheit und die Solidarität vieler Menschen haben gesiegt. Das zeigt, dass ziviler Ungehorsam funktioniert und sich Politiker*innen mit der jungen Generation auseinandersetzen müssen«, erklärt Lea Bonasera. Der Gesundheitszustand von Henning Jeschke, der seit knapp 30 Tagen nichts gegessen und über elf Kilogramm verloren hatte, hatte sich bereits drastisch verschlechtert. Aufgrund starker Schmerzen in den Gliedern und Schwäche kann er sich derzeit nur im Rollstuhl fortbewegen. »Ein Durststreik ist für einen schon so ausgelaugten Körper ein großes Risiko«, sagt Thomas Müller-Schwefe, einer der betreuenden Ärzte. Er hält die Protestform dennoch für legitim. »Es ist nichts mehr sicher – wir haben die Verantwortung, dass das anders wird«, sagt er gegenüber »nd«.

Hannah Pierot findet es »schockierend, dass Menschen sich so fühlen, dass sie hungerstreiken müssen«. Beim Klimastreik am Freitag scheinen Zukunftsängste und Verzweiflung gegenüber der Klimakrise jedoch von der Entschlossenheit, etwas ändern zu können, geschlagen zu werden: »Wir werden nie wieder so viel zu verlieren haben wie in diesem Augenblick. Was sollte uns aufhalten? Wir sind die Hoffnung!«, ermutigt Luisa Neubauer die Klimastreikenden.

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