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Konzentration aufs Machbare

Die DFB-Elf spürt vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Rumänien Rückenwind

  • Frank Hellmann, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Vermutlich wünscht sich das jeder Fußballlehrer. Die Spieler sind mit Eifer bei der Sache und die Trainingsformen so intensiv, dass der Chef irgendwann selbst denkt: Jetzt ist genug. Hansi Flick hat kurz vor dem WM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Rumänien an diesem Freitag (20.45 Uhr/RTL) selbst ausgeplaudert, dass er das letzte gedachte Element der Einheit flugs vom Lehrplan strich. Aus Schonungsgründen. »Alle Körner im Köcher«, so der Bundestrainer im Originalton, würden schließlich im Volksparkstadion gebraucht. Auch wenn der gewählten Metapher ein paar Pfeile fehlten, war doch klar, was er meinte.

Die Anhänger sollen den nächsten Fortschritt unter dem Bessermacher Flick erleben, der seinen neuen Job immer noch als »Traum« empfindet. Nur erwächst beim 56-Jährigen daraus keine Ehrfurcht, sondern Tatendrang. »Wir wollen eine tolle Leistung bringen und ein erfolgreiches Spiel sehen, das die Fans wieder begeistert«, sagte Flick. Immerhin wollen wieder mehr Menschen die Nationalelf sehen: In Hamburg sind alle 25 000 Karten verkauft - mehr ist in der Stadt an der Elbe noch nicht erlaubt. Ganz nebenbei erzählte Flick noch von einer Signierstunde aus dem zum Designerhotel umfunktionierten alten Industriebau in Hamburg-Bahrenfeld, bei der die Nationalspieler neben Shirts, Kappen und Bällen auch einen Babystrampler unterzeichnet hätten.

Er selbst geht auf seine Protagonisten immer wieder im persönlichen Gespräch zu: die Spieler zuerst, sein Trainerteam, aber auch die Vereine oder die Medien. Während sein Vorgänger Joachim Löw am Ende sehr viel im stillen Kämmerlein austüftelte, holt sich der Nachfolger Ratschläge von allen Seiten. Er entscheidet zwar, ist aber das Gegenteil eines Alleinentscheiders. Und er übernimmt sich nicht: Als ihn am Donnerstag die Frage gestellt wurde, wie er denn die Menschenrechtslage in Katar bewerte, verwies er bloß auf eine Aussage der Generalsekretärin Heike Ullrich, dass das WM-Gastgeberland im Wandel sei. Er würde vor Ort genau hinschauen, sei aber jetzt zu weit weg. Tatsächlich packt Flick nichts an, was er nicht beherrscht. Er geht vor wie ein Handwerksmeister, der sich aufs Machbare beschränkt. Der Schuster bleibt bei seinem Leisten.

Wie einst im Herbst 2019 beim FC Bayern sind es im Grunde einfache Handgriffe, mit denen der Heidelberger eine Revitalisierung der Mannschaft hinbekommt. Führungsspieler erhalten klare Aufgaben und feste Plätze. Abgesehen vom Innenverteidigergespann Niklas Süle und Antonio Rüdiger (»sie sind einfach eingespielt«) erhält zwar niemand eine Einsatzgarantie, aber das Korsett ist klar: Vor Torhüter und Kapitän Manuel Neuer verteidigen mit Jonas Hofmann und Thilo Kehrer zwar Notlösungen auf den Außenbahnen, die aber heilfroh über ihre Wertschätzung sind. Das defensive Mittelfeld mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka ist genauso gesetzt wie die Flügelpositionen mit Leroy Sané und Serge Gnabry. Dazu wird auf der Position mit der größten Auswahl für Flick sehr vermutlich Thomas Müller in der Offensivzentrale beginnen dürfen, selbst wenn Flick noch von »drei, vier Kandidaten« sprach. Tendenziell wolle sich der Trainer bei zwei gleichstarken Bewerbern eher für den jüngeren Spieler entscheiden, »weil ich von ihm in Zukunft noch mehr erwarteten kann«. Kai Havertz muss das als Ansporn begreifen.

Ganz vorne beginnt im 15. Länderspiel gegen Rumänien wieder Timo Werner, über dessen schweren Stand beim FC Chelsea der Bundestrainer auch sprach: Jeder müsse nun mal auch Eigeninitiative aufbringen, um sich stetig zu verbessern. »Chelsea ist eine Mannschaft, wo es nicht so einfach ist zu spielen - das erfährt auch Kai Havertz gerade.« Die Londoner Legionäre sind also selbst verantwortlich dafür, sich bei ihrem Heimtrainer Thomas Tuchel unverzichtbar zu machen. Es ist die Losung aus Fordern und Fördern, die Flick damit predigt.

Der Bundestrainer hat in seiner kurzen Amtszeit einigen aus der Talsohle heraus geholfen (Süle, Sané), andere aus der Versenkung geholt (Kehrer) und ganz nebenbei noch Talente gestärkt. Karim Adeyemi, Jamal Musiala und Florian Wirtz hatten bei der Starttrilogie im September teils beachtliche Einsatzzeiten. »Diese drei ganz jungen Spieler« führte Flick an, seien doch ein Beleg, dass es mit dem deutschen Nachwuchs auch nicht so schlecht aussehe wie immer geschildert werde. Man müsse nur »Vertrauen in eine gewisse Entwicklung« haben. Oder eben einen früheren DFB-Sportdirektor nach einem kurzen Abstecher zum erfolgreichsten deutschen Verein als Bundestrainer engagieren.

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