Per Zapfenstreich ins Abseits: Marsch!

Mit dem großen Zapfenstreich besiegelten Politik und Militär das Ende eines Einsatzes, der für viele kein Ende hat.

Es war der erste Zapfenstreich, den ich mir angeschaut habe. Nicht nur überhaupt, sondern auch noch vor Ort, zusammen mit den zuvor abgehaltenen Würdigungen durch den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) im Paul-Löbe-Haus und dem Appell im Verteidigungsministerium mit Bundespräsident und Ministerin. Zu Bundeswehrzeiten verbrachte ich als Offizier immerhin elf Monate in Afghanistan.

Gelungen scheint – so ergab das Gespräch mit einem Angehörigen eines getöteten Soldaten am Rande des Empfangs im Bundestag – immerhin das nicht-presseöffentliche Gespräch, das Annegret Kramp-Karrenbauer mit Hinterbliebenen im Verteidigungsministerium führte. Sie habe den Ton getroffen, trotz aller üblichen Unterstützungsversprechen, die in der Berliner Politik oft schnell geäußert, aber selten konsequent umgesetzt sind, vermittelte mir der Vater des Getöteten.

Doch die Liste an Fragwürdigkeiten überwiegt. Allen voran der Umgang mit afghanischen Mitarbeiter*innen, für die der Afghanistaneinsatz zum persönlichen Fluchtgrund wird und die zu wenig Unterstützung erfahren. Ihre Nennung in den Reden der Politiker*innen wirkt durchweg wie Pflichterfüllung, klingt aber nicht nach überzeugtem Handeln. Ohnehin: Wer nach 20 Jahren Einsatz von der Pflicht zur Hilfe an die verbündeten Ortskräfte dermaßen überrascht wird, keine Exitstrategie vorgedacht hat, hatte offenbar nicht vor, der Verantwortung gerecht zu werden. Nun bedeutet das, mit ansehen zu müssen, dass Taliban gezielte Suchen nach den in Afghanistan untergetauchten Ortskräften durchführen und diese dann mit Stockhieben und heißen Bügeleisen foltern.

Derart empathiebefreit zeigt sich die deutsche Politik nicht zum ersten Mal. Als nach dem Tanklaster-Bombardement auf Befehl von Oberst Georg Klein mehr als 100 Menschen getötet wurden, waren die Hilfen allenfalls symbolischer Natur und der Wert eines Lebens in Afghanistan erhielt durch die über Jahre erstrittenen dürftigen Einmalzahlungen eine zynische Dimension.

Die Zweiklassengesellschaft in der Armee wird auch hier überdeutlich. Während einsatzgeschädigte Soldat*innen eine meist so gering wie möglich gehaltene, aber immerhin lebenslange monatliche Rente erhalten, soll ein Einmalbetrag die hinterbliebenen Afghan*innen entschädigen.

Dass die Karriere von Oberst Klein ungebremst in den Generalsrang führte, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Dass selbst eigene Soldat*innen jahrelang, in Einzelfällen auch jahrzehntelang, um die Anerkennung der Einsatzfolgen und eine Versorgung kämpfen müssen, kann kein Appell auffangen. Auch nicht, wenn wie am Mittwochabend eine Bundeswehrärztin, die im Gefecht Soldat*innen rettete, stellvertretend die Ehrung empfängt, zusammen mit einem Soldaten, der über 1600 Tage in Afghanistan verbracht hat.
Zynischer ist, dass sich die Bundeswehr zusammen mit der Politik feiert, obwohl große Verfehlungen zeigen, dass allenfalls der beschämte Blick zurück angemessen ist.

Wenn Soldat*innen fürchten müssen, dass ein Gespräch über Missstände in der Armee und im Einsatz zum Karrierekiller wird, dann erfahren Parlamentarier*innen auch künftig aus keinem Kriegseinsatz der Welt die wesentlichen Geschehnisse.

Wenn Presse und Medien fürchten müssen, erneut von Organen der Bundesregierung in langjährige Rechtsstreitigkeiten verwickelt zu werden, wie es rund um die Afghanistanpapiere geschehen ist, dann wird auch künftig zu wenig aus Kriegs- und Krisengebieten in die öffentliche Diskussion und Kritik geraten.

Die »Westdeutsche Allgemeine Zeitung« hatte Ende 2012 die Afghanistanpapiere veröffentlicht und damit aufgezeigt, wie wenig die Parlamentarier*innen im Bundestag über die Einsätze informiert werden. Es folgten rechtliche Auseinandersetzungen, die erst siebeneinhalb Jahre später dazu führten, dass die Pressefreiheit wieder unmissverständlich klargestellt war. Dennoch: Das Handeln der Armee sorgte dafür, dass Presse ihre Veröffentlichungen erst einmal zurücknehmen musste, weil sich Beamt*innen im Schutz der Politik ein verletztes Urheberrecht herbei sinnierten. Antidemokratischer geht es kaum.

Da gerät es zur Randnotiz, dass es mit polierten Stiefeln im Fackelschein auf dem historisch belasteten Boden vor dem Reichstagsgebäude heißt: »Helm ab zum Gebet«, als hätte nicht alle Welt die Bilder im Kopf, die einst Nationalsozialist*innen final und ultimativ prägten. »Ins Abseits: Marsch!«

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