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Akten, Akten, Akten

Ohne eine moderne Verwaltung wird es mit der funktionierenden Metropole Berlin unter Rot-Grün-Rot nichts werden

  • Nicolas Šustr und Martin Kröger
  • Lesedauer: 7 Min.

Kaum trifft Franziska Giffey an diesem Freitag vor der SPD-Parteizentrale in Berlin-Wedding ein, taucht das erste Problem auf. »Wir wünschen uns, dass sie sich stärker für uns einmischen«, sagt Lynn Stephainski, die als Physiotherapeutin bei einem Tochterunternehmen des Berliner Krankenhauskonzerns Vivantes arbeitet. Die Beschäftigten der Töchter befinden sich aktuell im Arbeitskampf. Von der designierten Berliner Regierenden Bürgermeisterin erwartet die Aktivistin, dass sich die SPD-Politikerin für die Forderung »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« stark macht. Giffey, im fliederfarbenen Mantel, nimmt sich Zeit. »Wir sehen es als unsere Verantwortung, dass wir sie unterstützen«, sagt sie und verweist auch auf die bereits im Arbeitskampf bei den Kliniken erzielten Erfolge, unter anderem konnten bei der Charité und Vivantes Eckpunkte für einen künftigen Tarifvertrag Entlastung verabredet werden.

Abkehr von der FDP sorgt für Wirbel

Ganz so einfach wie die Vertreterin der Krankenhausbewegung lassen sich die anderen Probleme, die Franziska Giffey in Berlin aktuell plagen dürften, sicher nicht abmoderieren. Seitdem die SPD-Spitzenkandidatin ihren Schwenk, weg von einer angekündigten bürgerlichen Koalition, hin zu einer Fortführung des Mitte-links-Bündnisses von SPD, Grünen und Linkspartei am Donnerstag dieser Woche verkündet hat, steht das bürgerliche (West-)Berlin Kopf. Von »Wahlbetrug« ist in den sozialen Medien die Rede, entsprechend aufgeregt lesen sich einige Zeitungskommentare. Giffey reagiert angefasst. »Ich würde alle bitten, die vorverurteilen, einfach noch abzuwarten«, sagt sie. Man habe weiter den Anspruch, dass bestimmte Dinge anders laufen müssen. Auch der SPD-Co-Landeschef Raed Saleh, der Giffey eigentlich den Rücken in der Partei freihalten soll, betont: »Es wird kein ›Weiter so‹ geben.« Soll wohl heißen: Künftig wird es im Mitte-links-Bündnis anders laufen.

Aber was bedeutet das konkret? Die Linke-Parteichefin Katina Schubert verweist auf die gemeinsamen Erfolge der vergangenen fünf Jahre. »Wir haben in den bisherigen Gesprächen mit der SPD und den Grünen bereits viele Gemeinsamkeiten festgestellt und in den vergangenen fünf Jahren gut zusammengearbeitet und wichtige Projekte umgesetzt.« Man wolle die notwendige Investitionsoffensive, eine konsequente Mietenpolitik und natürlich den erfolgreichen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen sowie die Klima- und Verkehrswende umsetzen. »Dafür brauchen wir eine fortschrittliche Regierung, um unsere Stadt in den nächsten Jahren gemeinsam sozialer und ökologisch gestalten können«, sagt Schubert.

Eines der größten Probleme, das hat die Erfahrung der vergangenen Legislatur gezeigt, ist die mangelnde Effizienz der öffentlichen Verwaltung. Was nutzt das beste Wohnungsbauprogramm, wenn die neuen Stadtquartiere nicht schnell geplant und verkehrlich angebunden werden können? »Dass wir in der Verwaltung etwas anders machen müssen, wenn wir schneller werden wollen, ist klar«, sagt Tobias Schulze, der Vizelandeschef der Berliner Linkspartei.

»Noch mal fünf Jahre kann es nicht so weitergehen mit der Verwaltung«, sagt auch die scheidende Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) zu »nd«. Die studierte Verwaltungswissenschaftlerin mit 31 Jahren Verwaltungserfahrung beschäftigt sich schon lange mit einer Reform der Berliner Verhältnisse. »Zumindest bei den Problemen, die auf eine mangelhafte Personalausstattung zurückzuführen sind, ist das Debakel bei der Durchführung der Wahlen ein Ausdruck der allgemeinen Verwaltungsprobleme«, nennt sie ein aktuelles Beispiel der Dysfunktionalität.

Viele der Probleme, die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey mit einem »Neustart« angehen will, hängen auch mit dem Zustand der Verwaltung zusammen, so der schleppende Wohnungsbau der landeseigenen Unternehmen. Eine der größten Hürden ist die Genehmigung von Baustelleneinrichtungen auf öffentlichem Straßenland. »Die meisten Autofahrer interessieren sich nicht für den Motorraum. Das war in der zurückliegenden Legislatur bei der Verwaltung bis in die Senatsspitze der Fall, alle waren genervt«, sagt der aus dem Amt scheidende Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn (Linke), zu »nd«. »Aber wenn die Technik nicht funktioniert, bleibt das Auto liegen.«

»Ich würde mir wünschen, dass der Prozess der Verwaltungsreform in der Koalitionsvereinbarung Eingang findet«, sagt der Pankower Linkspolitiker. In der letzten Legislaturperiode habe es geheißen: »Macht Vorschläge, die dürfen aber keine Verfassungsänderung benötigen«, berichtet er. »Man müsste einen Anlauf auch in dieser Richtung machen, damit es beispielsweise eine Weisungsbefugnis des Bezirksbürgermeisters geben kann«, fordert Benn. Schließlich habe jeder kommunale Bürgermeister dieses Recht gegenüber seinen Dezernenten. »Dann kommen wir aber schnell zur Diskussion um ein politisches Bezirksamt, wo die Posten von einer Regierungsmehrheit besetzt werden und nicht nach Proporz des Wahlergebnisses«, sagt er. Das wäre wiederum ohne Haushaltssouveränität eine Mogelpackung. Die haben die Bezirke auf dem Papier über die Zuweisung von Globalsummen. »Aber die Verwendung von 95 bis 99 Prozent der Mittel ist durch entsprechende Vorgaben schon vorgeschrieben«, sagt Benn.

Bezirksgelder nicht zusammenkürzen

»Das vordringlichste Thema ist zunächst die Aufstellung eines zukünftigen Haushalts«, sagt seine Friedrichshain-Kreuzberger Amtskollegin Monika Herrmann. Dabei sei es wichtig, nicht wieder »in die alten Rituale zu fallen« und bei den Bezirken zu kürzen. »Es herrscht bereits ein Einstellungsstopp für neue Stellen, und wenn das so weitergeht, wird der 2016 in Angriff genommene Verwaltungswiederaufbau in den Bezirken wieder zurückgeworfen«, befürchtet Herrmann. Das spüren dann auch die Bürger. »Denn das Elterngeld gibt es nicht im Roten Rathaus, sondern in den Bezirken«, sagt die Grünen-Politikerin. Der Berliner Wirtschaft gehe es gut im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Der Finanzsenator komme aber mit zwei widersprüchlichen Botschaften gleichzeitig um die Ecke: »Einerseits, dass die Steuereinnahmen höher als erwartet sind, andererseits, dass die Einnahmen kurz vor dem Absturz stehen und die Bezirke den Gürtel enger schnallen müssen.« Dabei gebe es bereits jetzt schon viele Gesetze, bei denen das nötige Personal für den Vollzug noch nicht bei den Bezirken angekommen sei. Herrmann nennt als Beispiele das neue Partizipationsgesetz oder auch den Fußverkehrsteil des Mobilitätsgesetzes. »Eigentlich müsste es zwei Fußverkehrsingenieure pro Bezirk für die Umsetzung geben - die sind aber definitiv nicht angekommen«, kritisiert sie.

Klare Zuständigkeiten in der Verwaltung

»Wir müssen auch das Berlin-Ping-Pong wegbekommen, also die Doppelstrukturen mit unklarer Trennung, zum Beispiel bei der Verkehrs- und Parkraumüberwachung mit Polizei und Ordnungsämtern«, fordert Herrmann. Auch für Sören Benn ist die »Effektivierung von Verwaltungsabläufen« ein wichtiges Thema. Sein Beispiel für Mehrfachzuständigkeiten sind die inzwischen berühmten 18 Schritte, die nötig sind bis zur Anlage eines Zebrastreifens. »Wenn konkret geschaut wird, behaupten alle beteiligten Stellen dann wieder, dass die Schritte doch nötig seien«, so Benn. Es gebe »eine gewisse Verantwortungsscheu, die dazu führt, Verantwortung auf möglichst viele Schultern verteilen zu wollen«. Im Ergebnis wisse dann keiner mehr, wer was zu verantworten hat und entscheiden darf. »Die Umsetzung auch verbesserter Abläufe wird im Übrigen aber nicht gelingen, wenn wir nicht das nötige Personal dafür haben«, sagt auch er.

Monika Herrmann setzt auf Zielvereinbarungen zwischen Senat und Bezirken, damit Vorhaben auch tatsächlich umgesetzt werden. »Also dass für Aufgabe X eine entsprechende Vereinbarung geschlossen wird, für deren Umsetzung auch die Ressourcen, sei es Personal oder die Finanzmittel, zur Verfügung gestellt werden, die dann auch zwingend kommen müssen«, erläutert sie. Die Bezirksbürgermeister bräuchten dann auch die Kompetenz, das von den zuständigen Stadträten einzufordern. »Wenn ein Bezirk die Sachen dann nicht umsetzt, würde ich über entsprechende finanzielle Sanktionen nachdenken«, sagt die Bezirksbürgermeisterin. So einen Ansatz gebe es schon beim baulichen Unterhalt für Schulen - bei Nichtverausgabung der Mittel werden sie dem Bezirk von der Finanzzuweisung abgezogen. »Die Standardbegründung, dass es zu wenig Personal gibt, ist für mich nicht unbedingt immer überzeugend«, erklärt sie.

Reform als Chefinnensache

Diplom-Verwaltungswirtin Franziska Giffey - dieser Titel ist bislang unbestritten - hatte im Wahlkampf mehrfach die großen Probleme beim Verwaltungsvollzug in Berlin thematisiert. Das Thema wäre eine ernsthafte »Chefinnensache«. Doch erst mal muss es zu einer Koalition kommen. Noch am Freitagabend sollte ein Eckpunktepapier von SPD, Grünen und Linken vorliegen. Am Montag wollen sich dann der SPD-Landesvorstand und der Landesausschuss der Berliner Grünen sowie der Vorstand der Linken mit der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen befassen. Ein Parteitag der Linken soll den Beginn der Verhandlungen am Dienstagabend im nd-Gebäude formal beschließen. Bis Ende November, so ist zu hören, sollen die Gespräche dann abgeschlossen sein. Anfang Dezember könnte dann die neue Senatsregierung stehen. Über Ressortzuschnitte will aktuell niemand sprechen, aber in der Machttektonik bei Rot-Grün-Rot hat sich offensichtlich einiges verändert, das dürfte sich am Ende auch in den Ressortzuschnitten und Ressortbesetzungen niederschlagen. Gut möglich, dass es wieder einen Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung geben wird.

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