• Kultur
  • Buchmesse Frankfurt/Main

Exotisches Kriegertum

Werner Herzog erliegt der Faszination Onoda Hiros, der als japanischer Weltkriegssoldat bis 1974 weiterkämpfte

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Japan am 2. September 1945 kapitulierte, wirkte die Propaganda weiter. Eine Niederlage war für viele Soldaten unvorstellbar. Manche unter ihnen waren sogar überzeugt, dass es sich bei der Nachricht um eine Lüge des Feindes handele, der sie zum Aufgeben verleiten wolle. Sie kämpften also weiter.

• Buch im nd-Shop bestellen
Werner Herzog: Das Dämmern der Welt.
Carl-Hanser-Verlag. 128 S., geb., 19 €.

Einer von ihnen war Leutnant Onoda Hiro, ausgebildet in Guerillakriegsführung. Als Ende 1944 die Eroberung der philippinischen Insel Lubang durch US-Truppen absehbar war, erhielt er den Auftrag, nach dem Abzug der japanischen Hauptmacht auf der Insel zu bleiben und den Feind zu schwächen, bis die kaiserliche Armee wieder in die Offensive kommen würde. Anfang 1945 besetzten die USA Lubang. Onoda zog sich mit zunächst drei weiteren Soldaten ins gebirgige, dschungelüberwucherte Inselinnere zurück. Ab und zu drangen sie ins bewohnte Küstengebiet vor und bewiesen mit einigen Schüssen, dass die japanische Armee noch da war. Vor allem aber waren sie mit ihrem Überleben beschäftigt.

Immer wieder versuchte man, den kleinen Trupp davon zu überzeugen, dass der Krieg zu Ende war. Immer wieder entdeckten die Soldaten vermeintliche Unstimmigkeiten. Ein falsches japanisches Zeichen! Das konnten doch nur die Westler gefälscht haben. Eine Zeitung, die zu einem Drittel mit Werbung gefüllt ist! Unmöglich - wer würde so was kaufen? Und dauernd waren US-Flugzeuge in der Luft. Also weiterhin Krieg! Von den Kämpfen in Korea wussten die Männer ja nichts.

1950 ergab sich einer von ihnen, ein zweiter wurde 1954 erschossen. Die beiden Überlebenden machten weiter. Und wieder starteten Bomber von philippinischen Basen. Ein Beweis? Vom Vietnamkrieg wussten die Männer nichts. 1972 wurde auch Onodas letzter Untergebener getötet. Nun verharrte er allein im Dschungel. Erst 1974 brachte man jenen Major auf die Insel, der 30 Jahre zuvor Onoda seinen Auftrag gegeben hatte und der den Leutnant nun formal entpflichtete. Nun erst war der Krieg für ihn zu Ende.

Der Stoff zieht bis heute Aufmerksamkeit auf sich. Auf dem diesjährigen Festival in Cannes war eine Verfilmung zu sehen (»10000 Nächte im Dschungel«). Und nun hat sich auch der schriftstellernde Regisseur Werner Herzog des Themas angenommen. Aber wie? Möglich wäre eine Groteske: wie Leute mit tödlichem Ernst eine völlig sinnlose Sache betreiben. Dabei ist »tödlich« im Wortsinn zu verstehen. Um die 30 philippinische Bauern und Polizisten fielen Onodas Krieg zum Opfer. Mindestens ebenso interessant ist die Nachgeschichte: Wie orientiert man sich in einer völlig veränderten Gesellschaft?

Dieses Problem handelt Herzog nur kurz ab. Onoda »war vom Konsumwahn der japanischen Nachkriegsgesellschaft zutiefst enttäuscht. Für ihn hatte Japan seine Seele verloren.« Ausführlich dagegen schildert der Schriftsteller sein Treffen mit Onoda 1997. Auf Wunsch des Ex-Leutnants fand es beim Tokioter Yasukuni-Schrein statt, dem Wallfahrtsort der japanischen Rechten, wo auch Kriegsverbrecher gewürdigt werden. Der verbohrte Krieger und der faszinierte deutsche Ästhet bewundern gemeinsam Onodas immer wieder geflickte Uniform, die dort als eine Art Reliquie verwahrt wird.

Dabei kann man eher noch Onoda verstehen. Niemand gibt gerne zu, drei Jahrzehnte seines Lebens an einen Irrtum verschwendet zu haben. So wurde er zum politischen Aktivisten und heiratete Honoku Machie, die 2006 zur Präsidentin der Frauenorganisation der rechtsradikalen Nippon Kaigi aufstieg. Herzog interessiert das nicht. Er bleibt ganz auf der Seite seines Helden und nimmt weitgehend dessen Perspektive ein.

Das Ergebnis ist dort lesenswert, wo es um den Alltag der Miniarmee geht: das Überleben im Urwald, der Kampf um Nahrung und notwendige Ausstattung. Herzog beschreibt auch überzeugend, wie die Männer von einer möglichen Variante ausgehen - dass die Rede von der Kapitulation eine Kriegslist sei - und wie sie konsequent alle folgenden Informationen fehlinterpretieren. Daneben aber gibt es eine zweite, reflektierende Schicht. Die Wahrnehmung zerfällt, das Leben der Soldaten gerät »in eine formlose Zeit des Schlafwandelns«. Der Traum nämlich »hat seine eigene Zeit, sie spult sich rasend vorwärts oder rückwärts, sie stockt, steht still, hält den Atem an, macht jähe Sprünge, als habe man ein ahnungsloses Wild erschreckt«.

Diese beiden Ebenen sind bei Herzog nicht vermittelt. Falls Onoda wirklich fast drei Jahrzehnte wie im Traum gekämpft hat, müsste das literarisch gestaltet werden. Die Vorgänge aber sind klar erzählt, eine veränderte Wahrnehmung wird nur behauptet. Dazu kommen schiefe Vergleiche, die von einer unerwiderten Liebe zum Dichterischen zeugen: »Seit dem Morgen flackert der Urwald in den rituellen Qualen einer elektrischen Verzückung.« Solche Sätze werden geschrieben in der Hoffnung, dass niemand über sie nachdenkt.

Die Lücke zwischen detailfreudiger Wiedergabe des Faktischen einerseits und dem Versuch anspruchsvoller Interpretation andererseits verweist auf ein ideologisches Motiv, das nicht vollständig in Literatur verwandelt werden konnte.

Unverkennbar fühlt sich Herzog von Onoda angezogen. Onodas Auftrag lautete, mit allen Tricks und ohne Rücksicht auf traditionelle Ehrbegriffe zu kämpfen. Das entspräche dem modernen Krieg. Aber Herzog und Onoda kommen doch immer wieder auf die Ehre zurück. Und nichts scheint im Dschungel von Lubang wichtiger, als Onodas Familienschwert, das im Guerillakrieg nutzlos ist, glänzend zu erhalten. Dem entspricht in Japan die nationalistisch-monarchistische Ideologie der Nippon Kaigi, der Organisation, der die beiden letzten Premierminister Abe und Suga angehören. Politisch ist das konsequent. Was aber will der deutsche Ästhet damit anfangen? Er erliegt der Faszination für unbedingtes Kriegertum, das durch die exotische Ferne akzeptabel wirkt. Doch ist unbeirrbares Aushalten immer nur so gut wie der politische Inhalt, für den gekämpft wird.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal