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Wenn es zu heiß zum Atmen wird

Auch eine Form von Kolonialismus: Anna Kavan erzählt in »Wer bist du?« von ihrer albtraumhaften Ehe in Burma

  • Enno Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.

Die britische Schriftstellerin Anna Kavan ist ein Mythos. In doppeltem Sinne: Einerseits muss sie eine ziemlich ungewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein mit einem komplizierten Lebenswandel, der von intensiver Reisetätigkeit, aber auch zahlreichen Psychiatrie-Aufenthalten und einer jahrzehntelangen Heroinabhängigkeit geprägt war. Andererseits war sie als Schriftstellerin, selbst eine Art Fiktion. Denn in Wahrheit hieß sie Helen Emily Woods, später verheiratete Ferguson.

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Anna Kavan: Wer bist du? Edition Diaphanes, 128 S., geb., 16 €.

Unter letzterem Namen veröffentlichte sie zwischen 1929 und 1937 ihre ersten sechs Bücher. 1940 trat sie erstmals mit einem Kurzgeschichtenband unter dem Pseudonym Anna Kavan auf, das sie einer Figur ihrer früheren Romane entlehnt hatte. Sie änderte ihr Äußeres und wurde also gewissermaßen zu dieser literarischen Protagonistin. Auch ihren Schreibstil radikalisierte sie vehement.

Als Kavan 19 Jahre alt war, hatte ihre Mutter sie gegen ihren Willen mit ihrem Ex-Liebhaber Donald Ferguson verkuppelt, der, doppelt so alt wie Kavan, das Mädchen mit nach Burma nahm - in eine traumatische Ehe. Schon in dem Buch »Let me alone« (1930), noch unter dem Namen Helen Ferguson, hatte sie diese bedrängende Zeit geschildert, die offensichtlich ihr restliches Leben beeinflusste. Denn 33 Jahre später kam sie in »Who are you?« darauf zurück, doch nun unter vollständig anderen künstlerischen Vorzeichen. In deutscher Übersetzung erschien dieser Kurzroman erstmalig 1984 im März-Verlag, nun hat die Schweizer Edition Diaphanes »Wer bist du?« neu aufgelegt.

Kavan schreibt hier unter offensichtlichem Einfluss des Nouveau Roman, die Handlung ist spärlich, das Erzählen äußerlich und distanziert. Das, was erzählt wird, ist dennoch albtraumhaft und deprimierend. Die Figuren haben zumeist keine Namen, die Protagonistin wird nur als »das Mädchen« gekennzeichnet; ihr Mann, mit dem sie eine echte Ehehölle durchlebt mit psychischem Missbrauch und sexueller Gewalt, wird mit einem Spitznamen betitelt, den die sogenannten Eingeborenen ihm verliehen haben, »Mr. Dog Head«. Sein Lieblingsspiel ist es, Ratten mit dem Tennisschläger zu erlegen, indem er sie als lebendigen Spielball benutzt - das Mädchen zwingt er, dabei mitzutun.

Sie ist vollkommen isoliert, erlebt die Umwelt als feindlich. Die Hitze, die Geräusche des Dschungels, alles ist ihr unerträglich: »Es ist selbst zum Atmen zu heiß geworden. Man könnte meinen, der feurige Kern des Erdinnern sei an die Oberfläche gekommen, sodass bei dem kleinsten Spatenstich Flammen emporlodern würden.« Eine Zeit lang bringt die unschuldige Beziehung zu Suéde Boots (Wildlederstiefel) etwas Licht in ihr Leben. Gemeint ist ein junger Mann, der sie dabei unterstützen will, ihrem eigentlichen Wunsch zu folgen, ein Stipendium an der Universität Oxford anzunehmen, das ihr gewährt wurde. Doch Mr. Dog Head fährt gewaltsam dazwischen.

Das Mädchen lässt sich fatalistisch ins Leid fallen: »Wenn sie ihr Essen doch bloß irgendwo auf einem Tablett hingestellt bekäme, wenn die Diener sie nicht bedienen würden. Aber daran ist natürlich nicht zu denken. Die Haushaltsroutine muss weiterlaufen, alles ist festgelegt und geregelt worden von Leuten, die ihr nicht wohlgesinnt sind. Warum sind alle gegen sie?« Zwar kann man ihre Ohnmacht angesichts der schrecklichen Situation verstehen, aber weniger, dass sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, daran irgendetwas zu ändern.

Auch ein weiterer Aspekt darf nicht unerwähnt bleiben: Das Mädchen beargwöhnt die einheimischen Diener, sie fühlt sich von ihnen beobachtet und unterdrückt. Dass in Wahrheit die Burmesen unter dem Joch des Kolonialismus leiden, kommt ihr nicht in den Sinn. Ihre Beschreibungen dieser Diener sind überaus stereotyp, mal sind es nur »Zombies«, die geistesabwesend herumrennen, mal bedient sie schlimmste Kolonialklischees, wenn sie etwa über einen jungen Bediensteten sagt: »Seine Bewegungen sind ruckartig, und von Zeit zu Zeit rollt er die Augen, dann ist für einen Moment nur das Weiße im Auge zu sehen (...) Vielleicht ist er aufgeregt, weil er aus seinem Feierabend herausgerissen wurde für diesen Auftrag, aber es ist wohl mehr die abergläubische Furcht vor dem Sturm.«

Aus dieser Perspektive ist Kavans Roman durchaus kolonialistische Prosa: Die weiße, im Grunde privilegierte »Missis« kommt nicht zurecht, ist nur mit ihrem Leiden am Klima und mit der Feindseligkeit der Umgebung beschäftigt. An der burmesischen Wirklichkeit nimmt sie keinerlei Anteil, erst nach zwei Dritteln des Buches fällt einmal ein beiläufiger Hinweis auf den Alltag außerhalb ihres Hauses. Es ist nicht so, dass sie von ihrem Mann eingesperrt wäre - das Außen interessiert sie nur nicht, zumal dieses sich für sie lediglich als die Begegnung mit anderen Kolonialisten bzw. deren Frauen darstellt, von Neugier für die burmesische Kultur keine Spur. Nun darf man vielleicht die Autorin - trotz gegebener autobiografischer Bezüge - nicht zu sehr mit ihrer Figur identifizieren. Einen leicht schalen Nachgeschmack hinterlässt die Lektüre aber doch.

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