Alle brauchen irgendwann Pflege

Nicht erst seit der Pandemie ist klar: Pflegekräfte arbeiten am Limit. Dennoch ist das öffentliche Interesse, das zu ändern, zu gering, meint Lisa Bor.

  • Lisa Bor
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein gebrochener Knöchel, eine Überdosis Alkohol, ein Schwangerschaftsabbruch, Panikattacken, Polizeigewalt - meine Freund*innen erinnern sich alle an mindestens einen Krankenhausaufenthalt. Genau genommen war ich bei meiner Geburt das erste Mal da. Und ich werde dort sicherlich wieder landen. Von tausend Menschen, die krankenversichert sind, kam in den letzten zehn Jahren rund ein Fünftel jährlich in eine Klinik. Laut Statistischem Bundesamt dauert ein Aufenthalt im Schnitt etwas mehr als sieben Tage.

Ob oder wann im Leben eine zu diesem Fünftel gehört, hängt wiederum stark von ihrer sozialen Situation ab. Unfälle oder vererbliche Vorprägungen können zusätzlich Einfluss darauf haben, wann und wie oft Menschen im Krankenhaus landen oder sogar dauerhaft Pflege brauchen. Ob mit kleinen Wehwehchen oder chronischen Erkrankungen - wir alle sind irgendwann auf gute Arbeit der Pflegenden angewiesen.

Die Autorin
Lisa Bor schreibt zu feministischen Themen, also zum Beispiel zu Arbeitskämpfen und Technologieproduktion.

In der Linken aber scheinen Antifa-Demos, Kraftwerksblockaden oder auch die Mietproteste beliebtere Anlässe zu sein, als sich für ein gutes Gesundheitssystem für alle einzusetzen. Doch spätestens seit der Pandemie dürften viele mitbekommen haben, dass die Arbeitsbedingungen selbst in großen und gut ausgestatteten Kliniken schlecht sind. Immer wieder kamen Beschäftigte in der Presse zu Wort, die ihre Erschöpfung durch den Berufsalltag thematisierten. Auch die Tatsache, dass nach der Dauerüberlastung ein Drittel der Beschäftigten ihren Beruf aufgeben wollen, ist bekannt. Für Ausbildung von Schüler*innen und eigene Weiterbildung ist erst Recht keine Zeit.

Natürlich sind die Bedingungen nicht erst seitdem schlecht, sondern haben sich durch die große Zahl der Covid-Patient*innen nur zugespitzt. Der »Nachtdienst-Report«, eine Erhebung der Gewerkschaft Verdi von 2015, zeigte schon lange vorher eindrücklich, wie zu wenig Personal mit unzureichender Versorgung der Patient*innen zusammenhängt: In den untersuchten 238 Krankenhäusern arbeiteten Beschäftigte überwiegend allein im Nachtdienst, nur etwa 36 Prozent waren nachts mindestens zu zweit. Wer alleine arbeitete, hatte im Schnitt 26 Patient*innen zu betreuen, auf jeder sechsten Station waren es sogar mehr als 30 Patient*innen. Das bedeutet immensen Stress für die Pflegekräfte und hat Folgen für die Patient*innen. Nicht nur, dass laut Report zwei Drittel der allein arbeitenden Gesundheits- und Krankenpflegekräfte in ihrem letzten Nachtdienst notwendige Leistungen auslassen mussten. Noch schlimmer, es kommt dadurch zu gefährlichen Situationen für die Patient*innen: 60 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten in den letzten vier Wochen nachts mindestens eine gefährliche Situation erlebt, »die bei mehr Personal vermeidbar gewesen wäre«.

Der Arbeitskampf der Beschäftigten in den Vivantes-Kliniken und der Charité ist so gesehen nicht nur ein Anliegen in eigener Sache, sondern ein Zeichen von Solidarität mit Patient*innen. Das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« fordert nicht einfach mehr Geld oder weniger pflegerische Aufgaben. Auch das könnte sie doch entlasten: Weniger Toilettengänge mit Patient*innen, seltener Verbände wechseln, das Essenbringen den Lieferdiensten überlassen - wäre aber alles zum Nachteil der Patient*innen. Im Gegenteil fordern die Beschäftigten in der Pflege bessere Bedingungen, um ihre Arbeit wieder ganz und besser zu schaffen: Mehr Lohn, mehr Personal. Outsourcing soll zurückgenommen werden, damit es keine Lohnunterschiede für gleiche Arbeit mehr gibt.

Die Beschäftigten werden in Berlin, Hamburg, Köln, Freiburg und anderen Städten von Gruppen und Einzelpersonen unterstützt, die eine bessere Gesundheitsversorgung wollen und die nicht im Bereich Pflege arbeiten. Doch war etwa das Protestcamp vom »Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite« vor dem Klinikum am Urban im August 2021 mit einigen hundert Personen deutlich weniger besucht, als etwa die Demos gegen die Mieten in Berlin.

Auch wenn es schwer fällt, sich das einzugestehen. Unsere Omas, Opas und Eltern werden vor uns alt sein und Pflege brauchen. Früher oder später, über kurz oder lang, brauchen wir die Arbeit der Pflegeberufe selbst. Deswegen wäre es doch mehr als angebracht, sich für bessere Arbeitsbedingungen und Zustände im Krankenhaus und allen Pflegeverhältnissen einzusetzen.

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