Daimler in Marienfelde wird elektrisch

Berliner Werk ist gerettet. Daimler und IG Metall kündigen Produktion eines neuen Motors an

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Was vor einem Jahr noch im Kampf miteinander stand, präsentierte sich heute in trauter Eintracht. Zusammen mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Daimler in Marienfelde, Michael Rahmel, trat das Vorstandsmitglied der Mercedes Benz AG, Jörg Burzer, am Donnerstag vor die Presse. Die frohe Botschaft: Das Werk in Marienfelde ist gesichert, der Konzern investiert in den nächsten Jahren rund 100 Millionen Euro in den Auf- und Ausbau der Produktion einer neuen Elektromotorenreihe. Stellenstreichungen sind vom Tisch. Zudem fließen perspektivisch weitere Millionen Euro in den Ausbau des Digitalcampus und in die Qualifikation der Beschäftigten. Auf dem Programm steht die komplette Transformation des Marienfelder Werkes.

Konkret will Mercedes neue Hochleistungsmotoren für AMG-Fahrzeuge in Marienfelde bauen lassen. AMG ist eine Tochter der Daimler AG und bringt die getunte Hochleistungsklasse auf den Markt. Es handelt sich um sogenannte Axialfluss-Elektromotoren, die sich durch weniger Gewicht und mehr Leistung auszeichnen. Der Motor wurde vom Start-up Yasa in England entwickelt, mit dessen Übernahme im Sommer sich Daimler das technologische Wissen für den neuen Motortyp sicherte. Wann genau die Produktion startet, wollte Burzer »aus Wettbewerbsgründen« noch nicht sagen, aber der Umbau sei in vollem Gange. Die ersten Roboter würden bereits installiert.

Für den Berliner IG Metall-Chef Jan Otto ist es »die erfolgreichste Transformation der letzten 20 Jahre«, so sagte er es beim offiziellen Termin später vor Journalist*innen. Überdies steige mit den neuen E-Motoren der Stellenwert des Berliner Werkes im weltweiten Daimler-Konzernverbund auf ein Maß, den es nie hatte. Es sei für ihn die Ausnahme, so Otto weiter, dass er am Ende eines derartigen Verhandlungsprozesses nicht sagen muss, wie viele Stellen erhalten bleiben und wie viele Arbeitsplätze verloren gehen. In Marienfelde werde niemand dazu gezwungen, seinen oder ihren Job aufzugeben.

Die Betriebsvereinbarung, die Geschäftsführung und Betriebsrat gemeinsam unterzeichnet haben, enthält unter anderem eine Beschäftigungsgarantie bis Ende 2029; dazu Regelungen, wann und wie der derzeit noch in Marienfelde produzierte Dieselmotor ausläuft sowie Regelungen zum Aufbau des Digital Campus und der Weiterbildung der Belegschaft. Und wenn die Produktion der Dieselmotoren in Berlin endet, könnten im frei werdenden Südwerk die Komponenten für den neuen Elektromotor gebaut werden. So ist der Plan. Eine Trennung von Nord- und Südwerk oder der Verkauf des Südwerks ist nicht mehr vorgesehen. Das älteste produzierende Daimler-Werk bleibt erhalten.

Mit der neuen Betriebsvereinbarung wird in Marienfelde das konzernweite Programm zum Einsparen von Personalkosten im indirekten Bereich und der Verwaltung auch auf die Beschäftigten in der Produktion angewendet. Wer freiwillig gehen will, geht, aber eben freiwillig. »Es wäre unseriös, eine Zahl zu nennen, wie viele Menschen 2030 hier noch arbeiten«, sagte der Betriebsratsvorsitzende Rahmel. Das dürfte von vielen Faktoren abhängen: Wie erfolgreich ist der neue Motor? Und werden, wenn die Produktion des Dieselmotors ausläuft, neue Produktionskapazitäten für Komponenten des neuen Elektromotors ausgebaut. Es könnten entsprechend mehr oder weniger Beschäftigte sein. Deshalb sei auch klar, dass der Umbauprozess nicht abgeschlossen ist, sagte Jan Otto. Sondern er beginne erst. »Das Werk ist sicher, aber die Ausgestaltung, wie es in Zukunft hier aussehen soll, ist es noch nicht.«

Nachdem Daimler vor gut einem Jahr angekündigt hatte, das Werk in Marienfelde schließen zu wollen, hatte sich die Belegschaft mit Unterstützung ihres Betriebsrats und der IG Metall auf die Hinterbeine gestellt. Es gab Demonstrationen, Kundgebungen, lange Betriebsversammlungen. Der Betriebsrat hatte im Rahmen des Gesetzes ein Jahr lang die Zustimmung zu Rufbereitschaften und Mehrarbeit verweigert. »Wir haben wehgetan, wo wir wehtun konnten«, sagte der Betriebsratsvorsitzende Michael Rahmel, »aber parallel haben wir immer einen konstruktiven Dialog mit dem Management geführt.« Jan Otto nennt das »einen schmalen Grat zwischen Konflikt und Konzept«. Denn gleichzeitig haben die IG Metall und der Betriebsrat Schritt für Schritt die Einigung ausgehandelt, die sie jetzt verkündet haben.

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