Intensivmediziner fordern Unterstützung

Immer mehr Krankenhäuser melden Betriebseinschränkungen aufgrund reduzierter Kapazitäten

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Lage ist außer Kontrolle«, machte der Vorsitzende der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, am Montag auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz deutlich. Aufgrund der stetig und schnell steigenden Coronafälle in den vergangenen Wochen ist die Intensiv- und Notfallmedizin in Deutschland wieder in den Fokus gerückt. Allein in der vergangenen Woche wurden bundesweit 1887 an Covid-19 Erkrankte auf Intensivstationen aufgenommen, 689 Menschen sind in den vergangenen sieben Tagen an Covid-19 verstorben.

»Diese Entwicklung ist quasi identisch zum Herbst 2020«, sagte Marx. Und fügte hinzu: »Nur dass sie uns dieses Mal bei noch stärker reduzierten Kapazitäten trifft.« Denn momentan gäbe es 4000 Intensivbetten weniger als noch vor einem Jahr und dadurch zurzeit vor allem in Bayern, Thüringen und Sachsen Überlastungssituationen. »Wir brauchen wirklich dringend Unterstützung«, mahnte der DIVI-Vorsitzende. Konkret forderte er, die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie deutlich zu verschärfen, wenn diese in den kommenden zwei Wochen keine Trendwende bringen.

Auch der Co-Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, bestätigte, dass immer mehr Kliniken Betriebseinschränkungen meldeten - also kaum noch Patient*innen aufnehmen könnten. Er verwies dabei besonders auf Bayern und Baden-Württemberg. »Wir haben wirklich ein differenziertes Bild. Während Bayern das Allzeithoch mit über 30 Prozent Bettenbelegung durch Covid-Kranke schon überschritten hat, sind bei uns in Nordrhein-Westfalen zurzeit nur zehn Prozent der Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt«, führte er aus. Die Belegung der Intensivstationen mit Covid-19-Patient*innen in Berlin liegt ziemlich genau zwischen diesen Werten - hier sind 18 Prozent der Patient*innen Covid-Erkrankte.

Auf die Frage nach einer Prognose, wie sich die Situation in den nächsten Wochen entwickeln werde, bemühte der bei der DIVI für solche Voraussagen zuständige Modellierer Andreas Schuppert ein bekanntes Zitat von Mark Twain: »Bekanntlich sind Prognosen immer schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen«, versuchte Schuppert der Lage noch etwas Humor abzuringen. Durch das sogenannte Kleeblatt-System, bei dem alle 16 Bundesländer in bundesweit fünf Gruppen (Kleeblätter) eingeteilt sind, die sich bei regionaler Überlastung von Intensivstationen gegenseitig helfen sollen, sei eine Verteilung der Patient*innen erst mal gesichert. »Eine Notfallverlegung ist jedoch keine Sache von fünf Minuten. Andererseits sollte sie in spätestens 24 Stunden von der Planung bis zur Durchführung vonstatten gehen«, betonte Karagiannidis. Die Patient*innen werden auch nicht einzeln verlegt, sondern man versuche, immer etwa sechs auf einmal zu transportieren. Entweder mit Großraum-Krankentransportern oder auch mit Hubschraubern. Dabei wird tagesaktuell entschieden, wie viele Verlegungen jeweils durchgeführt werden können.

Während in diesem Sommer viel mehr Unter-60-Jährige auf den Intensivstationen behandelt werden mussten, habe sich dieses Altersverhältnis in den vergangenen Wochen wieder umgedreht. So seien aktuell 65 Prozent derer, die auf Intensivstationen liegen, über 60 Jahre alt. Dazu kämen in letzter Zeit gehäuft Schwangere, die intensiv betreut werden müssten, informierte Karagiannidis vom DIVI-Intensivregister.

Deren Vorsitzender Marx sprach sich auf Nachfrage gegen eine Impfpflicht für Pflegekräfte aus. »Wir sind ganz klar gegen eine Impfpflicht für einzelne Gruppen«, betonte er, während er sich gegenüber einer Impfpflicht für alle offen zeigte. »Wir erlauben uns gerade Inzidenzen, von denen wir noch vor Kurzem nicht mal geträumt hätten«, warnte er. Auch aufgrund der Delta-Variante des Virus seien die Inzidenzen, bei ungefähr der gleichen Anzahl von Patient*innen wie im vergangenen Jahr, deutlich höher. »Eines ist klar«, so Marx weiter, »hätten wir die Impfung nicht, dann hätten wir bei diesen Inzidenzen noch viel höhere Intensivbettenbelegungen.«

Auch der andere Co-Leiter des DIVI-Intensivregisters, Steffen Weber-Carstens von der Berliner Charité, hob die herausragende Bedeutung der Impfung im Kampf gegen die Pandemie hervor. »Die Impfquote ist und bleibt der wichtigste Faktor dafür, wie schnell - oder eben nicht - sich das Virus verbreitet«, sagte er auch mit Blick auf die Booster-Impfungen.

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