Ehrlich sitzt am längsten

Etliche Staaten haben wegen der Corona-Variante Omikron Reiserestriktionen gegen Südafrika verhängt. Das Land sieht darin eine ungerechtfertigte Abstrafung.

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon durch ihre Erfahrungen mit den HIV- und Tuberkuloseepidemien der vergangenen Jahrzehnte gehören Südafrikas Forscher zu den weltweit führenden Virologie-Experten. Das zentralisiert aufgebaute Gesundheitssystem des Landes verfügt über eine schnell funktionierende Meldekette, die umfangreiche Sequenzierungsarbeit des staatlichen Labordienstes NHLS hat nun bereits zum zweiten Mal zur Entdeckung einer von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als besorgniserregend eingestuften Variante des Coronavirus geführt.

Eigentlich sollte die frühzeitige Diagnostik dem Land helfen, doch statt Unterstützung erfährt der Staat am Kap der Guten Hoffnung nach der Entdeckung von Omikron Stigmatisierung und wird mit internationalen Reiserestriktionen belegt. Die Regierung in Pretoria schäumt deshalb vor Wut - und bekommt prominente Unterstützung von der WHO.

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»Ungerechtfertigt« und »drakonisch« nannte Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla die Reiserestriktionen, die zunächst Großbritannien, dann die EU-Staaten und schließlich weitere Länder gegen Reisende aus Südafrika erlassen hatten. »Diese reflexartigen Reaktionen ergeben einfach keinen Sinn«, wetterte der ausgebildete Arzt. »Covid-19 ist eine globale Gesundheitskrise. Wir müssen zusammenarbeiten, anstatt uns gegenseitig abzustrafen«, führte Phaahla aus und ergänzte: »Hexenjagden nutzen keinem. Südafrika will der Welt gegenüber ehrlich handeln und Gesundheitsinformationen teilen, die nicht nur Südafrikanern, sondern Menschen weltweit helfen.« Andere Staaten versuchten jedoch offensichtlich, sein Land an den Pranger zu stellen, anstatt entsprechend der WHO-Richtlinien gemeinsam Lösungen zu finden, so der Politiker des regierenden African National Congress (ANC).

In die selbe Kerbe schlug das südafrikanische Außenministerium in einer am Samstag verbreiteten Stellungnahme: »Die jüngsten Reiseverbote bedeuten nichts anderes, als Südafrika für seine fortgeschrittenen Genomsequenzierungen und die Fähigkeit, neue Varianten schneller zu entdecken, zu bestrafen. Exzellente Wissenschaft sollte gewürdigt und nicht bestraft werden.«

Untermauert wird die Entrüstung der Südafrikaner durch die Empfehlungen der WHO. »Zum jetzigen Zeitpunkt wird vor Reiserestriktionen gewarnt«, erklärte Christian Lindmeier, Sprecher der UN-Gesundheitsorganisation, am Freitag in Genf. Staaten sollten »weiterhin eine risikobasierte und wissenschaftliche Herangehensweise anwenden«, so Lindmeier weiter. Michael Ryan, Direktor für Krisenbekämpfung bei der WHO, lobte die südafrikanischen Gesundheitsinstitutionen ausdrücklich dafür, die neue Variante zügig erkannt zu haben und wies zugleich daraufhin, dass dieses Frühwarnsystem nicht überall gleich gut funktioniere. Vor diesem Hintergrund sei es »wirklich wichtig, dass es hier keine reflexartigen Reaktionen gibt, denn wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es in dem Moment, in dem es irgendeine Erwähnung einer Variante gibt, jeder Grenzen schließt und den Reiseverkehr einschränkt.« Die offensichtliche Sorge der WHO-Experten: Wenn Länder für vorbildliche Arbeit bei der Erforschung neuer Varianten abgestraft werden, könnten diese Informationen künftig geheim gehalten werden.

All diese Forderungen und Warnungen haben Regierungen von London über Brüssel bis Berlin umgehend in den Wind geschlagen und genau entgegengesetzt gehandelt. Obwohl inzwischen erwiesen ist, dass die Omikron-Variante bereits in etlichen anderen Ländern aufgetreten ist, wurden hastig Einreisestopps erlassen und Flüge gestrichen. Die britische Regierung, die bei der Verhängung der Restriktionen voranpreschte, hatte die südafrikanischen Amtskollegen vorab nicht einmal kontaktiert. Und während selbst Medien wie Tagesschau.de bereits stigmatisierend von der »Südafrika-Variante« schrieben, ist längst nicht klar, woher die Mutation überhaupt kommt.

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Südafrikas Nachbarland Botswana veröffentlichte am Freitag eine Stellungnahme, der zufolge vier der ersten Omikron-Fälle dort Anfang November bei ausländischen Diplomaten nachgewiesen wurden, die das Land inzwischen wieder verlassen hätten. Woher sie kamen, wurde nicht mitgeteilt. Bei den Diplomaten war zunächst lediglich eine Corona-Infektion festgestellt worden. Dass es sich bei den vier Fällen um die Omikron-Variante handelte, war erst durch eine spätere Genomsequenzierung nachgewiesen worden, die südafrikanische Labore für Botswana durchführen.

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