• Politik
  • Im Geist der Militärdiktatur

Das Feindbild geschärft

In Brasilien übten Elitesoldaten der Landstreitkräfte im Geheimen den Einsatz gegen linke Aktivisten

Als Übung von Operationen gegen »irreguläre Kräfte« beschrieb das Militärkommando des Ostens der brasilianischen Landstreitkräfte den abschließenden Höhepunkt der Ausbildung für Angehörige der Einheit CIOpEsp des Kommandos Spezialkräfte mit Sitz in Niteroi im Bundesstaat Rio de Janeiro. Vom 6. bis 21. November 2020 durften Kämpfer ihre während eines sechsmonatigen Kurses erworbenen Kenntnisse bei der »Operation Mantiqueira« beweisen. Daran beteiligt waren etwa 200 Militärangehörige und 19 Ausbilder. Ort des Spektakels waren die Gemeinden Lorena und Piquete im Paraíba-Tal im Bundesstaat São Paulo, nahe der Grenze zu Minas Gerais und Rio. Neben Geländespielen mit viel Ballerei gehörte zum Szenario auch die Kooperation mit zivilen Akteuren in einem befreiten Gebiet und wurde ein für das Ansehen der Truppe förderlicher Umgang mit Vertretern der Medien trainiert.

Mehr als ein Jahr später steht die »Operation Mantiqueira« nun im Licht der Öffentlichkeit und die Presseoffiziere des Heeres geben sich äußerst zugeknöpft. Am Mittwoch enthüllte die portugiesischsprachige Ausgabe des investigativen Portals »The Intercept«, gegen wen die hochtrainierten Elitesoldaten auf dem Papier vorgegangen waren.

Die Reportage stützt sich auf Dokumente, die den Journalisten von einem Whistleblower zugespielt wurde, dessen Identität »The Intercept« aus guten Gründen schützt. Daraus geht hervor, dass der Fall, auf den die Unteroffiziere und Offiziere das Heeres während des Manövers getrimmt wurden, ein Einsatz im Inland gegen politische Gegner der Eliten war. Die Ausrichtung der Übung mache deutlich, schreibt Reporter Rafael Moro Martins, »dass die größte Teilstreitkraft fast 40 Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie nicht nur damit fortfährt, soziale Bewegungen und linke Politiker als Feinde zu betrachten, sondern auch für deren Bekämpfung trainiert wird«.

Bei diesem »Fall Rot« wurde den Kadern für die Spezialkräfte in der Instruktion für das Mantiqueira-Manöver zum einen eine Brasilianische Volksbefreiungsarme (ELPB) präsentiert, Produkt eines »marxistisch orientierten Parteiprojekts mit bewaffneter Geheimorganisation«. Diese sei, so die Fiktion weiter, aus einer Abspaltung der Partei der Arbeiter (Partido dos Operários) hervorgegangen. Als Referenzen dienten leicht erkennbar die kolumbianische Guerillabewegung ELN und die brasilianische Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) der Ex-Präsidenten Dilma Rousseff und Lula da Silva sowie die aus einer PT-Strömung hervorgegangene PSOL. Als weitere Feindorganisation taucht in den Dokumenten eine Bewegung MLT auf - virtuelles Äquivalent zur Landlosenbewegung MST.

Unterzeichnet sind die Pläne von einem Nachrichtenoffizier mit dem Decknamen Major Marcos Luís Firmino vom Spezialkräfte-Bataillon BFEsp, das im zentralbrasilianischen Goiânia stationiert ist und die Besten dieses Ausbildungslehrgangs für sich rekrutierte. Sein Fantasieland nannte Firmino »Brasânia«. Das für die Übung entworfene Szenario zeigt klare Parallelen zur Bekämpfung der kommunistischen Untergrundbewegung Guerilla von Araguaia 1973, deren Mitglieder die Diktatur-Streitkräfte verschwinden ließen und massakrierten. Es springt zu politischen Protesten im vergangenen Jahrzehnt und macht als Unruhestifter auch die Gruppe »Media Samurai« aus. Gemeint ist das unabhängige Mediennetzwerk »Mídia Ninja«, das eng mit den sozialen Bewegungen im Land verbunden ist.

Dass sich die Armee mit solchen Planspielen über die Verfassung hinwegsetzt, ist kein Ausrutscher. Nach dem Rückzug in die Kasernen 1986 hielt sich im Korps neben antikommunistischer Paranoia die Haltung, es sei Aufgabe des Militärs, die Demokratie zu beaufsichtigen. Hohe Generäle deckten den politischen Putsch gegen Dilma Rousseff 2016, der Faschist Jair Bolsonaro platzierte seit 2019 Tausende Militärs an Schaltstellen des Staates und droht mit Blick auf die Wahl im nächsten Jahr immer wieder mit einem Putsch.

Der Bericht von »The Intercept« ist ein wichtiges Warnsignal. International bekannt wurde das vom US-Journalisten Glenn Greenwald mitbegründete Portal um 2016 durch die Snowden-Enthüllungen zum NSA-Spionageskandal. In Brasilien trugen Berichte bei »The Intercept« über das rechte Komplott von Justiz und Medien wesentlich dazu bei, dass Lula im November 2019 nach 580 Tagen aus der Haft entlassen werden musste und nun als Bolsonaros wichtigster Gegenspieler wieder im politischen Ring steht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal