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Tod im Warenlager und »ein größeres Muster«
In den USA stehen Amazon-Beschäftigte unter hohem Arbeitsdruck und haben es schwer, gewerkschaftlich ihre Interessen zu vertreten - mit manchmal tödlichen Folgen
»Wir streiken für bessere Bezahlung, eine sichere Anzahl von Beschäftigten und für andere notwendige Verbesserungen unserer Arbeitsbedingungen«, so die Gruppe Amazonians United Chicagoland in einer Erklärung. Die Organisation vertritt Beschäftigte in zwei Amazon-Warenlagern in Chicago, die am Mittwoch für einige Stunden in den Ausstand traten, und sie ist eine der Vorreiterinnen in der Arbeiterselbstorganisation beim Digitalkonzern. Anders als in Deutschland gibt es in den USA keine jahrelange Tradition von Streiks bei Amazon - mit über einer Million Mitarbeitern immerhin der zweitgrößte private Arbeitgeber im Land - vor Weihnachten, weil es keine Gewerkschaften bei dem Onlinewarenhaus gibt.
Im April erst hatte Amazon eine monatelange Gewerkschaftskampagne in einem Warenhaus in Alabama mit schmutzigen Tricks und Propaganda niedergeschlagen, die Abstimmung ging im Sinne des Unternehmens aus. Anfang Dezember urteilte das National Labor Relations Board, dass die Wahl wegen illegaler Einmischung des Arbeitgebers wiederholt werden muss. Mitte Dezember gewann eine Basisgewerkschaft bei Starbucks in Buffalo. Nach mühsamem Kampf gelang es ihr dort, erstmals einen Betriebsrat in einer Filiale in dem bisher gewerkschaftsfreien Unternehmen zu gründen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Weil das regulatorische »playing field«, die gesetzgeberischen Anforderungen an die Wahl von Betriebsräten, durch jahrelange Anti-Gewerkschaftspolitik auf allen politischen Ebenen so schlecht ist, ist die Wahl einer offiziellen Gewerkschaftsvertretung in vielen US-Großunternehmen kaum möglich. Deswegen organisieren sich die Arbeiter in Chicago mit Amazonians United aktuell als Basisorganisation.
Die Arbeiter in den Packstationen wären gezwungen, »zu schnell« zu arbeiten, das belaste den Körper zu sehr, außerdem müsse die »schwere Arbeit« von regulär vorkommenden 10-Stunden-Schichten besser bezahlt werden, so die Organisation. Amazon habe mehrfach Versprechungen zu Bonuszahlungen gebrochen. Der Konzern erklärte zum vierstündigen Streik gegenüber der »Chicago Tribune« nur, man unterstütze das Recht der eigenen Beschäftigten auf Protest, halte diesen aber für grundlos, weil man gute Bezahlung biete.
Wie sehr das Amazon-Credo vom schnellen Kundenservice und etwa der Ein-Tages-Lieferung nicht nur körperlich aufreibend für seine Beschäftigten, sondern gar tödlich sein kann, zeigt ein Vorfall in einem Warenhaus in Kentucky. Als am 10. Dezember eine Serie von Tornados über mehrere Bundesstaaten hinweg zog, wurde auch das Amazon-Warenhaus in Edwardsville getroffen. Sechs Arbeiter starben dabei, als ein Teil des Gebäudes einstürzte. Das Management des Warenlagers hatte die Beschäftigten offenbar erst in den letzten Minuten in Schutzräumen in Sicherheit gebracht.
Das kaum zu schaffende Quotensystem an den Paketbändern würde den Beschäftigten ein starkes »incentive« geben, möglichst lange am Band stehenzubleiben - in diesem Fall trotz der Windwarnung des nationalen Wetterdienstes -, erklärte der Soziologe Jason Struna von der Puget University gegenüber dem »St. Louis Public Radio«. Allein die schiere Größe des Warenhauses sei ein Problem - bei den Toilettengängen im Normalbetrieb und der Tornado-Gefahrensituation im Besonderen.
Was in Edwardsville passiert sei, »passt in ein größeres Muster: Amazon bringt seine Arbeiter am Arbeitsplatz in Gefahr, sowohl in Alltagssituationen als auch in Notfällen«, heißt es in einem Brief, den eine Gruppe von Parlamentariern des US-Kongresses um Senatorin Elizabeth Warren sowie die Abgeordneten Cori Bush und Alexandria Ocasio Cortez zu Wochenbeginn an Amazon-Geschäftsführer Andy Jassy und Gründer Jeff Bezos geschickt hat. Man wolle bis zum 3. Januar Antwort auf Fragen erhalten, »ob Amazon-Regelwerke zum Unglück beigetragen haben«. Die US-Arbeitsschutzbehörde Osha hatte Ende vergangener Woche eine Untersuchung der Vorfälle eingeleitet. Schon vorher hatten Journalisten immer wieder schockierende Arbeitsbedingungen bei Amazon aufgedeckt, etwa das Pinkeln in Plastikflaschen, weil der Besuch der Toilette zu viel Zeit kostet, oder umfassende Überwachung am Arbeitsplatz.
Die rund 250 000 Fahrer und Paketboten von Amazon im Land, angestellt bei rund 3000 outgesourcten Kleinunternehmen wiederum berichten, das sie besonders in der jährlichen Hochzeit zwischen Black Friday Ende November und Weihnachten durch die hohe Zahl an Bestellungen und den Arbeitsdruck Pakete regulär noch bis 22 Uhr auszuliefern, häufig auf Sicherheitsmaßnahmen wie Pausen zu verzichten. Einen Einblick in die Arbeitsbedingungen der Fahrer lieferte in den vergangenen Monaten die Videoplattform TikTok.
Viele der zumeist jungen Amazon-Fahrer laden Videos über ihre Arbeitserfahrung hoch. Sie zeigen Überarbeitung, Pinkeln in Plastikflaschen und auch Auslieferungen während laufender Naturkatastrophen oder Interaktionen mit aggressiven Paketempfängerinnen - und auch Lohnraub. Im Februar hatte die US-Handelskommission FTC den Konzern verurteilt, seinen Fahrerinnen Trinkgelder in Höhe von 61 Millionen Dollar aus den vergangenen zwei Jahren auszuzahlen.
Vergangene Woche berichtete »Bloomberg«, Amazon habe im Fall Edwardsvielle Fahrer noch 90 Minuten vor dem Tornado angewiesen weiter auszuliefern, ihr Manager erzählte ihnen, die Sturmsirenen seien »nur eine Warnung«. Einer Fahrerin in Illinois wurde laut dem Tech-Portal »The Verge« mit Kündigung gedroht, sollte sie nicht trotz Tornado Pakete ausliefern.
Doch die TikTok-Videos zeigen auch ambitionierte junge Fahrer wie Ulises Perez. In einem viralen Video in dem er stolz mit seiner »Beförderung« vom Bandarbeiter zum Fahrer »angibt«, zeigt er sich ambitioniert. Junge Mitarbeiter ohne Gewerkschaftserfahrung, bei denen Amazons Aufstiegsrhetorik ankommt, waren auch ein Problem bei der Betriebsratswahl in Alabama. Amazon Flex Fahrer erhalten 18 bis 25 Dollar pro Stunde. Das ist weniger als die Fahrer des lang etablierten Konkurrenten UPS, aber trotzdem mehr als in anderen Niedriglohnjobs im Land, viele junge Beschäftigte sehen es als Vorteil.
Tatsächlich hat Amazon – auch wenn der Konzern wie viele andere Digitalunternehmen ursprünglich Preise nach unten getrieben hat – mittlerweile eine neue Rolle eingenommen: Als Lohntreiber bei kleineren Logistikunternehmen und anderen Niedriglohnjobs in der Nähe von Amazon-Warenlagern.
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Eine Studie der University of California kam dieses Jahr zu dem Schluss die Gehälter bei nahen anderen Firmen um durchschnittlich 4,7 Prozent stiegen nachdem Amazon 2018 entschieden hatte, sein Startgehalt auf 15 Dollar pro Stunde anzuheben – was aber als Reaktion auf ein knappes Arbeitskräfteangebot im Land erfolgte. Der Konzern kann es sich leisten, machte 2020 rund 21 Milliarden Dollar Gewinn vor Steuern. Trotzdem nutzte Amazon dieses Jahr die nicht uneigennützige Erhöhung des eigenen Einstiegsgehalts schamlos für PR aus, druckte Plakate in denen der US-Kongress aufgefordert wurde das Mindestlohn auf 15 Dollar zu erhöhen.
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