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  • Obdachlosenhilfe in Berlin

Warmes gegen die Kälte

Ein Neuköllner kocht für Menschen auf der Straße und für die vierte Mahnwache gegen Obdachlosigkeit

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.
Ist dem Lastenrad für Obdachlose in Berlin unterwegs: Sebastian Gonnsen.
Ist dem Lastenrad für Obdachlose in Berlin unterwegs: Sebastian Gonnsen.

Sebastian Gonnsen gibt einen Tee aus. »Der wärmt, ist mit Chili und Kakao«, sagt er freundlich. Das tut auch not, es ist trotz der milder scheinenden Temperaturen einfach Januar in Berlin. Und den Winter hier kennt Gonnsen auch aus der Perspektive derjenigen, die sich nicht nach ein paar Stunden draußen zu Hause aufwärmen, Tee und heiße Suppe in der eigenen Küche zubereiten können.

Seit drei Jahren ist der gelernte Koch auf den Straßen und Plätzen Berlins unterwegs: zunächst in der Nähe der Turmstraße in Moabit und in Wilmersdorf, mittlerweile vor allem am Neuköllner Hermannplatz und in den am Kreuzberger Moritzplatz gelegenen Prinzessinnengärten. Er kocht zusammen mit seinem Kompagnon Stephan May Essen für wohnungs- und obdachlose Menschen und verteilt es anschließend an einschlägigen Orten, wo vor allem diejenigen zu finden sind, die sich »nicht mehr in irgendein System eingliedern können«, sagt der geborene Frankfurter. Er könne das verstehen, meint er. Gonnsen erzählt, dass er selbst einige Zeit auf der Straße gelebt hat, als es ihm aus privaten Gründen psychisch nicht gut ging. »Ich kenne das, wenn es dunkel wird, und dann gehen in den Häusern die Lichter an, und du selbst stehst draußen und bist und fühlst dich ausgeschlossen«, erinnert er sich. Die Unterstützung, die man als Wohnungsloser institutionell erhalte, sei nicht selten auch von demütigenden Erfahrungen geprägt, erklärt der 47-Jährige. Es gebe Sozialarbeiter*innen, die auf diejenigen, denen sie eigentlich behilflich sein sollen, arrogant herabsehen und sie mit emotional und seelisch verletzenden Äußerungen beschämen würden. »Viele leiden unter dem Druck und auch den Erniedrigungen, die ihnen in manchen Einrichtungen entgegenschlagen«, sagt Gonnsen und zündet sich eine Zigarette an.

Auf der Straße selbst komme dazu, dass andere Menschen häufig Berührungsängste mit Obdachlosen hätten, oder sogar glauben, an ihnen zeigen zu müssen, wie jemand aussehe, der es nicht schaffe, sein Leben in den Griff zu bekommen, meint der Wahl-Neuköllner. »Mancher will auch darüber bestimmen, wofür jemand das Geld ausgibt, dass er geschenkt bekommt«, sagt er nachdenklich. Dabei sei das eine persönliche Angelegenheit. Die meisten Menschen seien ohnehin oft mit sich selbst beschäftigt, mit der Arbeit, der Familie, der eigenen Sicherheit. Alles nachvollziehbar, aber umso größer sei die Distanz zu denjenigen, denen es an einem Platz für sich, aber auch einer Tagesstruktur fehle, sagt Gonnsen.

Ihm selbst ist in Berlin der Neuanfang nach der schwierigen Zeit vor einigen Jahren dennoch gelungen. Nun hilft er anderen auf der Straße, denen es hier in der Hauptstadt, zumal nach zwei Jahren Corona-Pandemie, oft am Nötigsten mangelt. Zusammen mit Stephan May holt er nicht nur über die Woche an allen möglichen Ecken der Stadt Lebensmittelspenden zusammen, mit denen dann dreimal wöchentlich Essen für mindestens 30 Menschen gekocht werden kann. Auch Kleidung und Hygienemittel werden an Bedürftige verteilt. Manchmal sei er am Tag bis zu zwölf Stunden auf den Beinen, erzählt Sebastian Gonnsen, denn nach den abendlichen Essenausgaben muss noch abgewaschen und aufgeräumt werden.

Es gebe viele freundliche Helfer*innen und andere Menschen, die ähnlich wie die Aktivist*innen der »Radtour für Obdachlose« unterwegs sind, um direkt zu helfen, erklärt Sebastian Gonnsen, das sei ihm wichtig zu erwähnen. Da sind zum Beispiel Karin Zwick und ihre Familie von »Silent Rixdorf«, die aus ihrem kleinen Garten Gemüse für die Essenzubereitung dazugibt, oder der Mann, der sich Dede nennt und als »Ekmekçi Dede« (der Opa, der Brot verteilt) seit Jahren in der Gegend zwischen Kottbusser Tor und Hermannplatz Backwaren, die nicht mehr verkauft werden, an Bedürftige gibt.

»Menschen, die bei uns anrufen und darum bitten, dass man bei ihnen eine Thermoskanne mit Tee abholt, sage ich aber auch schon mal: ›Nimm doch lieber den Tee und drei Becher und geh selbst los‹«, erklärt Gonnsen. Warum es ihm selbst nicht schwerfalle, mit allen möglichen Menschen und auch solchen, die unter schwierigen Bedingungen auf der Straße leben, in Kontakt zu treten, erklärt er sich auch mit seinem eigenen Aufwachsen in einer Hochhaussiedlung in Frankfurt am Main: »Die Stadt ist weitaus unbarmherziger als Berlin.«

»Ich brauche nicht viel«, meint Gonnsen, gefragt nach seinen eigenen Bedürfnissen. Das Essen, das er dreimal die Woche mitkocht, esse er ja auch selbst. Seit es in der »Kiezkantine« im kleinen Sozialen Zentrum »Bilgisaray« in der Kreuzberger Oranienstraße zubereitet wird, sei mittlerweile richtig aufwendig, erklärt er und zeigt lachend auf seine Finger, die das intensive Gelb des Gewürzes Kurkuma angenommen haben.

Das Essen wird es ab Donnerstag auch bei der »Vierten Mahnwache gegen Obdachlosigkeit, Zwangsräumungen und für Beschlagnahmung von spekulativem, bezugsfertigem Leerstand« vor dem Roten Rathaus geben. Seit 2019 versammelt sich dort im Januar für zwei Tage eine wachsende Anzahl von Aktivist*innen, um Lösungen für das anhaltende Problem der Obdachlosigkeit in Berlin zu fordern. Es müsse ein »bedingungsloses Zuhause« geben, »für alle wohnungslosen Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte«, fordert das Bündnis gegen Obdachlosigkeit. Es beklagt die »Entrechtung« vieler Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften statt in Wohnungen leben müssten, aber auch den Hass, der ihnen entgegenschlägt und nicht selten durch Rassismus und polizeiliche Repressalien verstärkt wird.

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