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Lücken im Unterricht

Der Lehrkräftemangel könnte gravierender sein, als bislang angenommen

Schon jetzt fehlen an vielen Schulen Lehrkräfte, und notgedrungen werden Angebote für Schüler eingeschränkt. Unterricht fällt aus, weil er in Krankheitsfällen nicht vertreten werden kann, eine angestrebte Inklusion von Schülern mit Handicaps kann oft nicht gewährleistet werden, oder Fächer werden von fachfremdem Personal unterrichtet. »Der Lehrkräftemangel ist das derzeit größte Problem im Schulbereich«, erklärte Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), am Dienstag.

Die fehlenden Lehrkräfte könnten in den kommenden Jahren noch mehr Lücken in die Unterrichtsversorgung reißen, als bislang angenommen. Zu dieser Auffassung kommt der Verband, der eine Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) für den Zeitraum bis 2030 prüfen lassen hat. Der VBE hatte ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den Annahmen der KMK, die vor allem die Prognosen aus den Bundesländern übernimmt und bundesweit hochrechnet. Nach der Vorstellung des angeforderten Gutachtens von Klaus Klemm, emeritierter Professor der Universität Duisburg-Essen, fühlt sich der Verband bestätigt. Der Lehrkräftemangel werde »dramatischer« sein, als von der KMK kommuniziert, erklärte Beckmann.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Klemms Berechnungen zufolge fehlen bis 2030 mindestens 81 000 Lehrkräfte; die KMK geht von einem weniger gravierenden Mangel aus: Die Ministerkonferenz rechnet bis 2025 mit 20 130 fehlenden Lehrkräften und 2030 von 13 380 nicht besetzten Stellen.
Diese Abweichung beider Berechnungen ist beträchtlich. Zwar decken sich die Erwartungen Klemms weitestgehend mit der Ministerkonferenz bei der Entwicklung der Schülerzahlen – hier geht die KMK von einem Anstieg von 9,2 Prozent aus, und auch den Einstellungsbedarf an Lehrkräften bis 2030 sieht Klemm ähnlich hoch wie die KMK. Der Bildungsforscher geht von einem Bedarf von 367 000 Lehrkräften aus, die KMK von 362 000. Beträchtliche Unterschiede gibt es aber bei den Berechnungen zur Ausbildung der Lehrkräfte. Klemm erläuterte, dass die Annahmen der KMK zu den Studierendenzahlen im Lehramtsstudium sowie die Zahl der Schulabsolventen in den kommenden Jahren zu optimistisch seien. Selbst ein kurzfristiger starker Zuwachs bei den Studierendenzahlen im Lehramt würde wegen der langen Ausbildungsdauer erst gegen Ende der 20er Jahre ein Plus an ausgebildeten Lehrkräften bewirken. »Die nun vorliegenden Zahlen zeigen glasklar«, sagt Beckmann. »Es ist viel dramatischer, als von der KMK kommuniziert!«
Nicht inbegriffen in den Berechnungen der Kultusminister sind die schulpolitischen Vorhaben der kommenden Jahre. So sollen etwa bessere Bedingungen für inklusiven Unterricht geschaffen werden, Kinder in sogenannten sozialen Brennpunkten sollen mehr Unterstützung erfahren und der Ganztagsanspruch in den Grundschulen ist beschlossene Sache. Bildungsforscher Klemm geht davon aus, dass hierfür weitere 74 400 Lehrkräfte benötigt werden. Für die Nachmittagsbetreuung hält er es sinnvoll, dass dort auch Lehrkräfte tätig sind, um eine pädagogisch sinnvolle Verzahnung mit dem Unterricht am Vormittag zu gewährleisten. Die Kultusminister planen die Betreuung dagegen ausschließlich mit Sozialpädagogen.

Für Beckmann ist die Berechnung der Minister eine »riesige Mogelpackung«. Die Politik müsse umgehend Konsequenzen aus den vorliegenden Erkenntnissen ableiten und aufhören, »sich den tatsächlichen Lehrkräftebedarf schön zu rechnen«. Dringend notwendig sei jetzt eine Fachkräfteoffensive: Es brauche mehr Studienplätze und eine Verbesserung der Studienbedingungen, um die Abbruchquoten zu reduzieren. Auch der Beruf müsse attraktiver werden. Beckmann hält unabhängig von der Schulform eine gleiche Bezahlung der Lehrkräfte für notwendig.

Unabhängig von dem jetzt vorgestellten Gutachten überarbeitet die KMK ihre Berechnungen und will im Frühjahr eine neue Prognose vorstellen.

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