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  • RB Leipzig in der Europa League

Gegen die Verschwendung

Mit einem überragenden Offensivduo will RB Leipzig in der Europa League um den Titel spielen

  • Ullrich Kroemer, San Sebastian
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn RasenBallsport Leipzig an diesem Donnerstagabend im Estadio Anoeta in San Sebastian aufläuft, erwartet die Fußballer aus Sachsen die wohl emotionalste Kulisse dieser Saison. 34 000 Basken werden ihren Klub im Rückspiel des Sechzehntelfinals nach vorn peitschen, etwa 300 Fans des Bundesligisten werden versuchen, dagegenzuhalten. Diese K.o.-Partie mit echter Europapokalatmosphäre nach dem 2:2 im Hinspiel ist für RB Leipzig ein Gradmesser: Wie gefestigt ist das Team nach zwei Monaten unter dem neuen Trainer Domenico Tedesco wieder?

Anders als noch vor dreieinhalb Jahren unter Ralf Rangnick betrachten die Leipziger die Europa League keinesfalls als lästige Zusatzbelastung, sondern als Titelchance. Nach der Entlassung von Tedescos Vorgänger Jesse Marsch, der spielerischen Kurskorrektur mit mehr kontrolliertem Kombinationsspiel und der positiven Trendwende in der Bundesliga lechzt RB nach dem ersten großen Titel der zwölfeinhalbjährigen Klubgeschichte. Neben der Chance im DFB-Pokal will der Klub auch in der hochklassig besetzten Europa League ein Wörtchen bei der Vergabe der Trophäe am 18. Mai in Sevilla mitreden. »Wir haben Lust auf Erfolg, und das bedeutet in Leipzig Titel«, hatte Tedesco schon vor dem Hinspiel gesagt.

Dieses Streben verkörpern bei RB insbesondere zwei Protagonisten, die ihren Erfolgshunger aktuell Woche für Woche unter Beweis stellen und gerade den Unterschied ausmachen: Christopher Nkunku und Dani Olmo. Die beiden Offensivstars tragen RB Leipzig bislang durch die Rückrunde. Der Erfolgsfachmann Olmo, der im Alter von nur 23 Jahren bereits acht nationale Titel mit Dinamo Zagreb und die U21-Europameisterschaft gewonnen hat, vergisst in keinem Interview zu betonen, dass er seine Titelsammlung auch mit RB zu erweitern gedenkt. Der spanische Nationalspieler weiß, was für einen solchen Titelcoup nötig ist: »Das Team ist das Wichtigste, man braucht alle Spieler, die Dynamik und die Stimmung müssen stimmen.« Das sei nun nach den »schwierigen Momenten, die wir überwinden mussten«, auch bei RB Leipzig wieder der Fall.

Nkunku feierte bereits unter Marsch seinen Durchbruch und hat in neuer, zentralerer und offensiverer Position als noch unter Julian Nagelsmann das Toreschießen für sich entdeckt. In dieser Saison erzielte er bereits 22 Treffer und gab zudem 13 Torvorlagen. Olmo reüssierte hingegen nach der Europameisterschaft, der Olympiateilnahme und der darauf folgenden monatelangen Verletzungspause erst in der Rückrunde unter Tedesco. Beim 6:1 gegen die Hertha am vergangenen Sonntag traf Nkunku zweimal, Olmo erzielte einen Treffer, bereitete zwei vor und leistete auch die Vorarbeit vor dem spielentscheidenden Elfmeter von Nkunku. Kein Zweifel: Dieses Duo gehört in dieser Form zu den besten Offensivgespannen Europas. »Sie strahlen Spielfreude aus, haben Spielwitz und machen im letzten Drittel das Außergewöhnliche«, lobt Tedesco vor dem Spiel in Nordspanien. »Wir können als Trainer noch so viel taktisch planen - vieles auf dem Spielfeld ist nicht planbar«, räumte der Coach ein. Es gehe am Ende um Details, »ob du den Pass spielst, die Annahme funktioniert und der Torschuss passt.«

All das gelingt Nkunku und Olmo derzeit in Perfektion. Der dribbelstarke Franzose - zum Erstaunen vieler noch immer kein Nationalspieler - ist kaum vom Ball zu trennen, immer goldrichtig positioniert und eiskalt auch bei technisch anspruchsvollen Abschlusssituationen. Kompletter als er, der auch Freistöße verwandeln kann und sogar per Kopf trifft, ist kaum ein Spieler in der Bundesliga. Und Olmo spielt an guten Tagen so begnadet präzise und fantasievolle Pässe, dass die Kollegen gar nicht anders können als zu treffen. Dazu sind die privat eher introvertierten Hochbegabten, die sich höchstens einmal über die Ausführung eines Freistoßes in die Haare bekommen, frei von Allüren. Ihre Kunst funktioniere jedoch nur, betont Domenico Tedesco, »wenn auch die Mannschaft funktioniert. Die beiden sind im Team voll akzeptiert und charakterlich sehr sauber.«

Dafür, wie er mit angehenden Weltstars wie Olmo und Nkunku umgehen muss, hat sich der gebürtige Italiener Tedesco übrigens während seiner Auszeit im Sommer und Herbst Rat bei Juventus Turins Trainer Massimiliano Allegri geholt. Dessen Credo hat auch der 36-Jährige bei RB Leipzig übernommen: »Ein guter Trainer stört die Entwicklung eines Spielers nicht.« Natürlich feilt der Coach mit den Edeltechnikern an Offensivabläufen, Laufwegen und Positionierung, doch im Grunde geht es darum, den beiden genügend Freiraum zu geben, um sich vor dem gegnerischen Tor entfalten zu können. »Diese Jungs sind gut, sie werden ihren Weg gehen«, prophezeit Tedesco.

Beide Spieler sind bereits so gefragt, dass Europas Topklubs im Sommer anklopfen werden. Nkunku kündigte schon via »L ’Equipe« an, dass er nach Saisonende mit Familie, Beratern und RB über einen möglichen Wechsel nachdenken und sprechen werde. Doch anders als bei Dayot Upamecano oder Ibrahima Konaté im Vorjahr haben die Leipziger alle Trümpfe in der Hand, denn weder Nkunku noch Olmo besitzen Ausstiegsklauseln in ihren Verträgen. Zunächst jedoch dürfen die Leipziger noch drei Monate Freude an der außergewöhnlichen französisch-spanischen Co-Produktion haben. Frühzeitig aus der Europa League auszuscheiden und beide nicht mehr auf internationaler Bühne zu sehen, wäre reine Verschwendung.

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