Einfangen und sinnvoll nutzen

Eine Studie untersucht Verfahren, die Kohlendioxid abscheiden. Die meisten sind ungeeignet, um das Pariser Klimaziel zu erreichen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Schlacke aus der Stahlproduktion kann große Mengen Kohlenstoff binden, wenn sie nicht einfach abgekippt wird. Und das Endprodukt eignet sich als Baumaterial.
Die Schlacke aus der Stahlproduktion kann große Mengen Kohlenstoff binden, wenn sie nicht einfach abgekippt wird. Und das Endprodukt eignet sich als Baumaterial.

In all den Plänen, bis zum Ende des 21. Jahrhunderts die globale Klimaerwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten steckt eine Komponente, die eher selten erwähnt wird: Ein Teil der Treibhausgase muss aktiv aus der Atmosphäre entfernt werden. Zudem gibt es einige Wirtschaftszweige, bei denen noch keineswegs klar ist, wie sie bis 2050 technisch so umgestellt werden könnten, dass sie keine Treibhausgase mehr produzieren. Zwar gibt es beispielsweise in der Stahlindustrie bereits Verfahren, die Steinkohlekoks mit Wasserstoff ersetzen und auch die europäische Zementindustrie plant bis 2050 CO2-neutral zu werden. Bei Letzterer wird besonders deutlich, dass die anvisierten Null-Emissionen nur auf Umwegen erreichbar sind. Denn die Zementproduktion setzt nicht nur Kohlendioxid (CO2) bei der Verbrennung fossiler Energieträger frei. Bei der Herstellung von einer Tonne Zementklinker werden aus dem eingesetzten Kalkstein - chemisch Kalziumkarbonat - etwa 600 Kilogramm CO2 frei. Dagegen würde anders als in der Stahlindustrie auch kein grüner Wasserstoff helfen. Auch die Landwirtschaft wird so schnell nicht klimaneutral.

Das auf absehbare Zeit unvermeidliche CO2 muss also auf andere Weise daran gehindert werden, in die Atmosphäre zu gelangen. Und da kommt eine Anzahl von Verfahren ins Spiel, die im Fachjargon Carbon Capture and Utilization (CCU) bzw. Carbon Capture and Storage (CCS) genannt werden - also Abscheidung und Nutzung bzw. Abscheidung und Deponierung von CO2.

Besonders die Idee, das frei werdende CO2 unterirdisch zu deponieren, stößt auf Skepsis. Bleibt die auf den ersten Blick sehr einladende Idee, das CO2 aufzufangen und als Rohstoff zu nutzen, um beispielsweise unter Zuhilfenahme von grünem Wasserstoff Methanol herzustellen. »Das hört sich wirklich gut an«, meint Kiane de Kleijne, Klimaforscherin an der Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen. »Man nimmt problematischen Abfall und verwandelt ihn in ein wertvolles Produkt.« Doch mit der Nutzung ist es nicht so einfach. Das zeigt eine jüngst im Fachjournal »One Earth« veröffentlichte Studie eines Teams um de Kleijne. Die Wissenschaftler haben dazu viele bisherige Studien über 74 verschiedene CCU-Technologien ausgewertet.

Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimagipfels zu erreichen, müssten die Treibhausgasemissionen bis 2030 verglichen mit 2020 um die Hälfte sinken und bis 2050 Netto-Null betragen. Netto-Null heißt, alle dann noch unvermeidbaren Treibhausgas-Emissionen müssten aus der Luft abgeschieden und dauerhaft gelagert werden. Die Studie von de Kleijne und Kollegen zeigt nun aber, dass nur acht der untersuchten 74 Technologien das Ziel für 2030 und nur vier bis 2050 null Emissionen erreichen. Hinzu kommt, dass längst nicht alle Technologien bereits so weit sind, dass sie breit angewendet werden könnten. Und »wenn eine Technologie die Emissionen nicht sehr stark reduzieren wird und noch weit von der Kommerzialisierung entfernt ist, ist es vielleicht besser, die Finanzierung auf Technologien umzuleiten, die das Potenzial haben, die Emissionen wirklich drastisch zu reduzieren«, sagt de Kleijne. Denn Verfahren, die aktuell noch nicht großtechnisch verfügbar sind, dürften bis 2030 kaum noch ausreichend Wirkung erzielen.

Die Forscher bewerteten die Wirksamkeit der CCU-Technologien über den gesamten Lebenszyklus. Bei vielen der untersuchten Verfahren ist schon der Energieeinsatz für die CO2-Abscheidung und die chemische Umwandlung ziemlich groß - Energie, die zusätzlich zum sonstigen Bedarf aus nicht fossilen Quellen erzeugt werden muss. Und wenn dann das Produkt auch noch ein Treibstoff für Verbrennungsmotoren ist, entstehen bei der Verwendung des Endprodukts neuerlich CO2-Emissionen. De Kleijne schätzt ein, dass »in vielen Fällen die Emissionen im Vergleich zum herkömmlichen Produkt nicht wirklich reduziert« werden.

Einige Verfahren allerdings sehen die niederländischen Forscher durchaus positiv. So könne beispielsweise karbonatisierte Schlacke aus der Stahlherstellung als Baumaterial große Mengen an Kohlenstoff binden, die auf lange Zeit gespeichert bleiben würden. Das Kalzium in den Schlacken kann sich mit CO2 aus Rauchgasen direkt zu Karbonat verbinden.

Positiv sieht die Studie erstaunlicherweise auch den Einsatz von CO2 in der Synthese von Harnstoff, einem Stickstoffdünger und Zwischenprodukt der Chemieindustrie, sowie das Verpressen in Bohrlöcher der Ölindustrie. Das wird gemacht, um die Ausbeute erschöpfter Erdölquellen zu verbessern. Die Rechnung der Niederländer ergibt für dieses Verfahren aber nur dann eine positive Klimabilanz, wenn pro Tonne verpresstem und unter der Erde verbleibendem CO2 nicht mehr als zwei Barrel (318 Liter) Rohöl zusätzlich gewonnen werden. Darüber hinaus schneidet für die Ziele bis 2030 auch noch ein typisch niederländisches Verfahren gut ab: die CO2-Anreicherung der Luft in Gewächshäusern, um das Pflanzenwachstum zu beschleunigen.

Während die Schlackeverwertung wegen der Langlebigkeit von Baumaterialien auch für die Klimaziele ab 2050 positiv bewertet wird, sieht die Studie andere Verfahren skeptischer. Da bei chemischen Erzeugnissen das CO2 nicht dauerhaft der Atmosphäre entzogen wird, liefert die Produktion von Chemikalien oder Treibstoffen aus CO2 nur dann einen Beitrag zur Erfüllung der Ziele des Pariser Gipfels, wenn das CO2 entweder aus Biomasse oder aus der Atmosphäre stammt und wenn sowohl die für die chemische Umwandlung benötigte Energie als auch der Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen kommen.

Roland Dittmeyer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der nicht an der Studie beteiligt war, unterstützt zwar deren Aussage, »dass CCU nicht per se zu einer Reduktion der CO2-Emissionen führt, sondern dass es vom CO2-Fußabdruck der Energie abhängt, die für das CCU-Verfahren eingesetzt wird«. Doch er bemängelt, dass die Autoren einige Aspekte nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit untersucht hätten. »Erstens die Standortfrage: Eine bestimmte CCU-Technologie kann an einem Standort aufgrund klimatischer Bedingungen, vorhandener Infrastruktur oder sonstiger Aspekte kompatibel mit den Klimazielen sein, an einem anderen aber nicht.«

Außerdem sei es möglich, während der Lebensdauer einer CCU-Anlage, diese von aktuellen CO2-Punktquellen nach einer gewissen Laufzeit auf nachhaltigere CO2-Quellen umzustellen. Das gelte auch für die weiteren Verfahrensschritte. Und Jessica Strefler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) wendet ein: »Wenn eine CCU-Technologie die einzige oder klimafreundlichste Option ist, ein bestehendes emissionsintensives Produkt zu ersetzen, dann ist jede Emissionsreduktion hilfreich, nicht nur eine vollständige Vermeidung.«

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