»Ich bin ein Buchmessen-Hooligan«

Auf nach Leipzig: Es gibt dort doch noch eine Buchmesse! Ein Gespräch mit Tom Kraushaar von Klett-Cotta

Die Leipziger Buchmesse wurde abgesagt; aber nun ist die Pop Up-Messe als Ersatz angesagt. Klett-Cotta ist mit dabei. Haben Sie das mitinitiiert?
Es gab ganz schnell nach der Absage der Messe bei vielen Verlagen Initiativen, irgendwas in dem Zeitraum in Leipzig zu machen. Wir hatten mit ein paar befreundeten Kollegen anderer Verlage, zum Beispiel von Suhrkamp, Hanser und C.H.Beck, über die Möglichkeit gesprochen, eine gemeinsame Veranstaltung in Leipzig zu machen. Gleichzeitig hatten Gunnar Cynybulk vom Kanon Verlag und Leif Greinus von Voland & Quist angefangen, mit den kleinen unabhängigen Verlagen etwas zu entwickeln. Als größere unabhängige Verlage haben wir uns dieser Initiative angeschlossen. Wir leisten dazu unseren Beitrag, weil wir als Branche gemeinsam auftreten wollen, als Bündnis aus Klein und Groß.

Hatte Sie die Absage der Messe überrascht?
Ja, letztlich schon, denn das Land Sachsen hatte ja kurz vorher die Durchführung der Messe ausdrücklich erlaubt.

Tom Kraushaar
Jahrgang 1975, ist seit 2007 verlegerischer Geschäftsführer von Klett-Cotta. 1997 gründete er in Berlin den Verlag für Theater, bis 2002 war er Mitherausgeber der Leipziger Literaturzeitschrift »Edit«. 2005 war er Mitgründer des Tropenverlags, der seit 2007 Imprint von Klett-Cotta ist.

Zumal sich starke Lockerungen der Corona-Maßnahmen abzeichnen und auch Fußballspiele mit über 10 000 Zuschauern bald wieder gehen sollen. Nichtsdestotrotz wurden die Messe und das Festival »Leipzig liest« wieder abgesagt. Warum, fragen sich Autor*innen, Verlage und Besucher.
Klar, das sind nachvollziehbare Fragen. Leipzig wurde ja aber auch nicht abgesagt wegen Corona, sondern weil nicht alle Aussteller bereit waren, ihre Zusage aufrechtzuerhalten.

Die Erzählung ist ja, die großen Verlage hätten »nein« gesagt und dann hätte die Messe resigniert: »okay, da können wir nichts machen«. Stimmt das denn?
So einfach ist es nicht, denn es haben nicht nur die großen, sondern auch viele kleine Verlage entschieden, nicht an der Messe teilzunehmen. Aber natürlich ist die Tragweite der Absage großer Verlagsgruppen einfach gewichtiger. Je größer das Unternehmen, desto größer ist die Verantwortung und desto schwieriger die Abwägung von Nutzen und Risiken einer Messeteilnahme. Von einer Einteilung der Branche in Klein und Groß, in Gut und Böse halte ich jedenfalls wenig.

Leipzig befindet in Konkurrenz zu Frankfurt. Die dortige Herbstmesse hat stattgefunden, mit wenig Ausstellern und deutlich weniger Besuchern. Das Image der Leipziger Messe ist ja gerade das einer großen Publikumsmesse, während Frankfurt mehr als Geschäftsmesse mit Publikumsanteil gilt. Deshalb wurde die Leipziger Absage von vielen als ein weiterer Schlag gegen den Osten aufgefasst.
Das sind unterschiedliche Dinge. Die Messe in Frankfurt bietet einfach zusätzliche Angebote. Es ist eine internationale Messe und eine Lizenzhandelsplatz. Daraus ergibt sich eine größere Bedeutung der Frankfurter Messe. Ein Absage muss noch vorsichtiger abgewogen werden. Und was den Osten betrifft: Ich will nicht in Abrede stellen, dass es, so wie in vielen Bereichen der Gesellschaft, auch im Buchgeschäft eine Unausgewogenheit zwischen Ost und West gibt. Es gibt auch ein Gefälle beim Anteil der Leser oder Buchkäufer. So sind die Buchumsätze durchschnittlich im Osten geringer im Verhältnis zu der Bevölkerung als im Westen. Das führt zu einer schwächeren Wahrnehmung des Ostens als Markt. Das will ich nicht runterspielen. Nur glaube ich nicht, dass das etwas mit der Absage der Leipziger Buchmesse zu tun hat. Ich halte diese These sogar für gefährlich, denn sie bestärkt die Ressentiments auf beiden Seiten. Wir als Verlag aus dem Westen haben ja auch bis zuletzt an der Teilnahme festgehalten.

Was waren dann die Gründe derer, die ihre Teilnahme abgesagt haben?
Zunächst mal gibt es für mich keinen Anlass an den Aussagen der Verlage zu zweifeln, die überwiegend gesagt haben, dass sie es in der Pandemie nicht schaffen, genug Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zusammenzubekommen, um eine Messeiteilnahme vorzubereiten und durchzuführen. Aber auch das wäre eine Abwägung von Risiken und Aufwand einerseits und dem Nutzen und der Bedeutung andererseits. Bei einigen Verlagen ist diese Abwägung dann eben zu Ungunsten der Messe ausgefallen. Wir hatten uns für eine Teilnahme entschlossen, weil unsere Kolleginnen und Kollegen zahlreich im mit großer Begeisterung nach Leipzig gefahren wären, aber eben auch, weil wir die Leipziger Messe für sehr wichtig halten. Sowohl für uns als Verlag, aber eben auch für die Buchbranche allgemein und sogar darüber hinaus. Das deutlich zu machen, ist die zentrale Funktion der Pop-Up-Buchmesse. Wir wollen signalisieren, wie wichtig und bedeutend die Veranstaltung einer großen Frühjahrsmesse in Leipzig ist.

Weil es halt um Publikum geht und gar nicht so sehr ums Geschäft. Denn für letzteres muss man im digitalen Zeitalter nicht unbedingt auf eine Messe fahren, oder? Könnte man sagen, dass in Leipzig mehr um das Buch an sich geht? Das öffentlich vorgestellt und gelesen wird?
Ich würde sagen, es geht um die Energie, die Begegnungen erzeugen. Und diese Energie können wir nutzen, um Aufmerksamkeit auf die Bücher und Autorinnen, Autoren zu lenken, auch auf das Medium Buch an sich. Diese Energie können wir aber auch nutzen, uns als Branche, oder auch als Gesellschaft auf miteinander zu verständigen. Es gibt ein öffentliches Interesse an Begegnungsort für Kunst und Kultur, Wirtschaft und Politik. Das ist gerade auch für die Buchbranche extrem wichtig, denn sie ist so etwas wie ein Amalgam aus kulturellen und wirtschaftlichen Interessen. Und sie finanziert sich selbst. Während andere Kulturbereiche, wie zum Beispiel der Theater- und Opernbetrieb überwiegend durch direkte Subvention finanziert werden.

Der hängt letztlich am Tropf.
Der Betrieb, in dem Bücher und Literatur entstehen und das intellektuelle Leben stattfindet, wird von privaten Unternehmen getragen. In der Summe haben wir – und das ist auch die internationale Wahrnehmung – in Deutschland eine sehr plurale und lebendige Bücher- und Literaturwelt. Der Staat schafft dafür nur die Rahmenbedingungen, etwa mit der Buchpreisbindung und einem verringerten Mehrwertsteuersatz. Mit verhältnismäßig geringem volkswirtschaftlichen Aufwand wurde so ein starkes System geschaffen, in dem Bücher entstehen, die besser sind als der Markt es alleine regeln würde.

Die Messe wurde zum dritten Mal in Folge abgesagt. Wie hat sich Corona auf die Buchbranche ausgewirkt? Weniger Lesungen, aber mehr verkaufte Bücher?
Die Buchbranche ist sehr vielfältig. Es gibt Bereiche, die davon profitiert haben. Zum Beispiel der Kinderbuchbereich. Der Reisebuchmarkt hat dagegen sehr gelitten, aus naheliegenden Gründen. Die Sortimentsbuchhändler, vor allem die in den Innenstadtlagen, haben deutliche Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Kleine unabhängige Buchhandlungen waren vielleicht in der Lage, schneller und flexibler zu reagieren und haben von guten Kundenbindungen profitiert. Natürlich hat der Internetbuchhandel sehr stark zugenommen. Für einen Verlag wie Klett-Cotta, also für einen typischen Publikumsverlag, sind die Folgen der Coronakrise ökonomisch betrachtet kurzfristig eher positiv. Wir hatten zwei außerordentlich gute Jahre, und ähnliches höre ich auch von anderen Verlagen. Aber wir dürfen nicht unterschätzen, welche mittelfristigen Folgen die Pandemie für unsere Arbeit haben kann. Und da sind wir wieder beim Thema: Die dreimalige Absage der Leipziger Buchmesse, die dadurch ausbleibenden Gespräche, Kontakte, das Fehlen dieser Begegnungsenergie. Die Gespräche mit Autoren, die Begegnungen mit Buchhändlern, die Reisen ins Ausland, um mit anderen Kollegen zu sprechen – das sind existenziell wichtige Bestandteile unserer Arbeit als Verlegerinnen und Lektoren. Wenn wir gut durch die Krise gekommen sind, dann liegt das daran, dass wir uns über lange Zeit Beziehungen aufgebaut haben, die uns nun getragen haben. In einer Pandemie lässt sich das weder aufbauen noch aufrechterhalten. Man zehrt von der Substanz. Deshalb ist es langfristig extrem wichtig, dass wir diese Dinge wieder zurückerobern. Die Pop-Up-Buchmesse ist ein erster Schritt zu sagen: So, jetzt sind wir wieder da.

Was wird auf der Pop-Up-Messe passieren?
Unabhängig von der Pop-Up-Buchmesse wird es von Mittwoch, dem 16. März bis Sonntag, dem 20. März zahlreiche Veranstaltungen und Lesungen in Leipzig geben. Also wenn ihre Leser Lust haben, nach Leipzig zu fahren, lohnt sich das! Die Pop-Up-Buchmesse beginnt am Freitagvormittag und geht dann bis Sonntagabend. Im Werk II werden über 60 Verlage ausstellen. Sehr viele Verlegerinnen und Verleger werden da sein. Und natürlich Autorinnen und Autoren. Das Ganze wird wahnsinnig nett, aber auch chaotisch, vermute ich. Wir haben das jetzt innerhalb von ein paar Tagen aus dem Nichts aufgebaut. Da sollte man sich nicht mit einer zu perfektionistischen Haltung auf den Weg nach Leipzig machen, sondern sich da ins Getümmel stürzen und mal gucken, was auf einen zukommt. Ich freue mich schon sehr darauf.

Sie fahren persönlich auch gern auf Buchmessen? Manche Leute von den Verlagen sagen ja: oh weh, schon wieder Buchmesse, ein anstrengender Pflichttermin.
Ja, also ich bin absoluter Buchmessen-Hooligan.

Ehrlich?
Natürlich verhalte ich mich dort angemessen, keine Frage. Aber ich liebe Messen und fahre da gerne hin, weil ich eben die Menschen in der Buchbranche sehr mag. Büchermachen ist ein zutiefst sozialer Vorgang. Es wundert mich eher, dass es tatsächlich auch immer Menschen gibt, die Buchmessen nicht mögen. Diese Menschen kann man in zwei Archetypen einteilen: Der eine ist der vergeistigte und abgekapselte Intellektuelle, für den eine Buchmesse ein profaner Ort des kulturellen Niedergangs und der Kapitalisierung von Gedanken ist. Und der andere ist ein bestimmter Typus von Controller. Bitte nicht falsch verstehen ich schätze und bewundere Kaufleute und Controller, sie sorgen für die Widerstandsfähigkeit und das Überleben von Verlagen. Aber bei manchen löst die Vorstellung von einer Buchmesse Panik aus, weil dort im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbare Dinge geschehen können. Überhaupt ist eine Messe ein Ort der Unberechenbarkeit. Diese beiden Archetypen muss man nicht unsympathisch finden, aber sie verkörpern die Urängste des Buchmarktes: Die Angst vor kultureller Profanisierung und die Angst vor dem ökonomischen Kontrollverlust. Und wenn ich von einem Amalgam spreche, dann haben wir als Verlage die Aufgabe, diese sich sozusagen voneinander zentrifugal wegstrebenden Kräfte auch zusammenzuhalten.

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