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Wie eingesperrt in Trumps Badezimmer

Dieser Regisseur seziert kranke Hirne: »The Card Counter« von Paul Schrader handelt von Folter und Poker

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Hauptfigur in »The Card Counter« ist William Tell (Oscar Isaac), er war während des Irak-Krieges US-Soldat in Abu Ghuraib, der Folterhölle.
Die Hauptfigur in »The Card Counter« ist William Tell (Oscar Isaac), er war während des Irak-Krieges US-Soldat in Abu Ghuraib, der Folterhölle.

Die einen verachten ihn als verschrobenen Psychofreak, dessen Kino - obwohl regelmäßig brillant besetzt - pures »Kassengift« sei, die anderen bewundern ihn als unbestechliches Filmgenie, das es einem nicht leicht macht ihn zu lieben. Ich zähle mich zu Letzteren.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Denn dem heute 75-jährigen Paul Schrader ist es mit seinen Filmen bitterernst. Das liegt vielleicht daran, dass er als Sohn streng calvinistischer Eltern aus Michigan lange überhaupt keine Filme sehen durfte - der erste, den er mit 17 Jahren sah, war »Der verrückte Professor« und den mochte er nicht. Kino ist doch nicht zum bloßen Amüsement gemacht, sondern ein Instrument zur Erforschung der menschlichen Seele!

Anfangs schrieb er Filmkritiken und zwar so, dass die US-amerikanische Filmindustrie wünschte, er schriebe sie besser nicht. Dann begann er selbst Drehbücher zu verfassen, von denen viele bis heute unverfilmt blieben oder aber von Dritten bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben wurden. Die Regisseure konnten damit nichts anfangen, bis auf einen: Martin Scorsese. Für ihn schrieb er 1976 »Taxi Driver« und 1988 »Die letzte Versuchung Christi«. Scorsese war klug genug, den zugleich intellektuellen und hochgradig verrätselten Gestus der Schrader-Bücher nicht mittels platter Handlungsabfolge zu zerstören.

Dann begann er seine Bücher selbst zu verfilmen - herauskamen pure Exerzitien. Lauter Übungen in intensiver Zuschauerfolter, die Austreibung aller falschen Erwartungen. Kaum ein Dreh kam ohne heftige Konflikte mit der Produktion ans Ziel. 2005 wurde ihm bei »Dominion« mitten in der Arbeit der Film entzogen, man gab diesen einem anderen Regisseur zu Fertigstellung. Der machte daraus »Exorzist: Der Anfang«, aber das funktionierte erst recht nicht; also bekam Schrader schließlich den verstümmelten Film zurück, er solle ihn doch besser selbst beenden. So was passiert ihm häufig. Für seinen von anderen zerstörten Film erhielt er dann auch noch die einzige nennenswerte Auszeichnung seines Lebens: eine Goldene-Himbeere-Nominierung für »Exorzist« als schlechtester Film des Jahres. Wen das nicht umbringt, der wird unweigerlich stärker. Immerhin, die Berlinale holte Schrader 2007 als Jury-Päsidenten.

Auch mein absoluter Lieblingsfilm von Paul Schrader, »Der Trost der Fremden« von 1990 mit Christopher Walken und Helen Mirren war als Projekt schon fast in der Mülltonne gelandet. Gleich mehrere Regisseure hatten sich an dem Tod-in-Venedig-der-anderen-Art-Stoff von Harold Pinter versucht, mit dem immer gleichen Fazit: völlig unverfilmbar. In solchen Momenten fällt dann den Produzenten regelmäßig der Name Paul Schrader ein - als allerletzter Versuch inmitten des kaum mehr abwendbaren Desasters. Mit diesem wundervollen Film schrieb er Filmgeschichte, er lief in Cannes, aber natürlich nur außer Konkurrenz. Zu Beginn eine viertelstündige Kamerafahrt durch eine venezianische Wohnung zur suggestiven Musik von Angelo Badalamenti - da ahnt man noch nicht, dass es das englische Liebespaar in Venedig mit einem Psychopathen zu tun hat. Was unschuldig, gar idyllisch scheint, ist nur eine dünne Schicht über dem darunter lauernden Grauen.

Dieser Regisseur seziert kranke Hirne - und wir müssen ihm dabei folgen. Man gerät auf abseitige Schauplätze, versteht lange nichts, und dann plötzlich, wie beiläufig, ist die Katastrophe schon passiert. Schrader blendet die dramaturgischen Höhepunkte einfach aus, und das ärgert bei einem angekündigten Psychothriller so manchen. Ihn aber interessiert etwas anderes: Die Leere zu zeigen, aus der urplötzlich etwas Monströses hervortritt. Seine Hauptfiguren geraten unrettbar in den Sog der Selbstzerstörung.

Warum diese lange Vorrede? Weil sich Paul Schrader in »The Card Counter« treu bleibt (manche werden es gewiss unverbesserlich nennen). Die eigentliche Handlung des knapp zweistündigen Films, zu dem er selbst das Drehbuch schrieb, erfolgt innerhalb von zwei Minuten im Off. Man sieht absolut nichts.

Aber man erkennt nach und nach doch etwas. William Tell war US-Soldat gewesen, nicht irgendwo, sondern während des Irak-Krieges in Abu Ghuraib, der Folterhölle. Als Fotos vom schändlichen Tun in die Öffentlichkeit gelangen, werden die Abgebildeten verurteilt, nur sie, nicht ihre Vorgesetzten. Achteinhalb Jahre sitzt Tell in einem Armeegefängnis, beschäftigt sich die Zeit über mit Pokerkarten. Er lernt die Kniffe des Kartenzählens, womit man Spiele gewinnen kann. Von Abu Ghuraib erfahren wir nur in einigen kurzen Sequenzen, das breitet Schrader nicht aus. Aber diese wenigen Szenen sind komponiert wie die surrealen Höllenlandschaften eines Hieronymus Bosch. Man sieht seinen Vorgesetzten, Major John Gordo (Willem Dafoe, Dauergast in Schrader-Filmen), der ihn im effizienten Foltern unterrichtet. Er wurde nicht verurteilt, hat nun als privater Verhörspezialist Konjunktur - Armee und Polizei buchen ihn für Workshops.

Oscar Isaac ist William Tell, auf den ersten Blick ein smarter Mittvierziger. Wir begegnen ihm in seinem neuen Leben nach dem Gefängnis. Es ist das Dasein eines Untoten. Er simuliert Leben, zieht von Casino zu Casino und gewinnt beim Poker, allerdings begnügt er sich mit kleinen Gewinnen, um nicht aufzufallen. Über 90 Prozent von »The Card Counter« spielt in der Welt der Casinos. Eine Ersatzwelt, in der Tell ein Ersatzleben führt. Wenn er in einem Hotelzimmer schläft, dann präpariert er es zuvor. Er hat immer weiße Tücher dabei, mit denen er alles um sich herum verhüllt. Weiß ist die Farbe des Todes - und in ihm ist alles tot.

Warum gerade Poker? Tell, der wenig sagt, verrät es uns doch: »Da drehst du dich so lange im Kreis, bis dir eine Lösung einfällt.« Und das kann dauern. Für Paul Schrader ist die triste Welt der Casinos ein Blick in etwas, das schlimmer ist als das Nichts - das deformierte Nichts, das sich den Anschein einer Form des Seins gibt: »Es ist, als wäre man in Trumps Badezimmer eingesperrt.« Das sind die Bilderwelten Paul Schraders, Albträume vom Banalen in Zeitschleife. Erst durch ihre penetrante Dauer werden sie zu purem Horror.

Tell ist sein eigener Gefangener, nichts kann ihn aus dem Gefängnis der Schuld befreien. Als eine professionelle Poker-Agentin ihm anbietet, ihn mit großen Beträgen zu sponsern, sagt er zu, obwohl ihn das Geld nicht interessiert. Wenn man gewinnt, teilt man den Gewinn, wenn man verliert, hat man beim Geldgeber Schulden. Das Prinzip ist ihm klar, er macht es trotzdem. Da kann er nur verlieren. Aber für ihn zählt das nicht. Nichts zählt mehr - oder doch? Er trifft den Sohn eines anderen verurteilten Soldaten aus Abu Ghuraib, der nach seiner Haftentlassung trank, Frau und Sohn misshandelte und sich schließlich umbrachte. Nun will er sich an dem Drahtzieher der Folterexzesse Major John Gordo rächen. Tell ahnt, gegen den hat der Junge keine Chance und bietet ihm viel Geld, damit er zurück zu seiner Mutter geht. Aber das Unheil nimmt seinen folgerichtigen Lauf.

Am Ende sitzt Tell wieder im Gefängnis. Er registriert es ohne jede Emotion. Innerlich längst abgestorben zählt er bis zu seinem äußeren Tod nun wieder Karten. Erstaunlich, wie suggestiv auch diesmal wieder Schrader seine filmischen Versuchsanordnungen in Szene zu setzen vermag. Eine Komposition des Schreckens, der sich erst nach und nach entbirgt.

Welch kalt analysierender Blick in eine seelische Wüste, die zu bewohnen Tell als Sühne für seine Taten angenommen hat! Aber eben auch ein Filmkunstwerk des Minimalismus: wahrer Horror jenseits aller Relikte des Horrorfilms.

»The Card Counter«: USA 2021. Regie und Buch: Paul Schrader. Mit: Oscar Isaac, Willem Dafoe, Tiffany Haddish, Tye Sheridan. 112 Minuten, Start: 3. März.

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