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Verfassungsschutz darf AfD als Verdachtsfall einstufen
Kölner Verwaltungsgericht stützt in Urteilen wichtigste Einschätzungen des Inlandsgeheimdienstes
Köln. Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD als Verdachtsfall einstufen. Das hat das Verwaltungsgericht Köln am Dienstagabend nach knapp zehnstündiger mündlicher Verhandlung entschieden und eine Klage der AfD damit abgewiesen. Es gebe ausreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei, führte das Gericht zur Begründung aus.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. Darüber müsste dann das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden. Aus formalen Gründen kann der Verfassungsschutz mit der entsprechenden Beobachtung noch nicht beginnen, da in derselben Sache auch noch ein Eilverfahren anhängig ist. Hier sei aber mit einer inhaltlich ähnlichen Entscheidung zu rechnen, hieß es aus Justizkreisen.
Das Gericht verwies auf Gutachten und Materialsammlungen des Verfassungsschutzes. Zwar sei der sogenannte Flügel der Partei formal aufgelöst worden, seine Protagonisten übten aber weiter maßgeblichen Einfluss aus. Auch Aktivitäten der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) seien in die Bewertung eingeflossen. Sowohl im Flügel als auch in der JA sei ein ethnisch verstandener Volksbegriff ein zentrales Politikziel. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und müssten »Fremde« möglichst ausgeschlossen werden. Das stehe im Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes.
Es gebe auch Verlautbarungen, in denen »Umvolkungs«- und »Volkstod«-Vorwürfe erhoben würden. Außerdem sei eine ausländerfeindliche Agitation zu erkennen. Derzeit befinde sich die AfD in einem Richtungsstreit, bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten.
AfD-Chef Tino Chrupalla zeigte sich vom Urteil überrascht. »Wir teilen die Auffassung des Gerichts nicht. Wir werden jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten«, sagte er kurz nach der Verkündung. Natürlich sei er auch enttäuscht. »Ist ja ganz klar.« Er kündigte an, man werde nun prüfen, inwieweit man gegen das Urteil vorgehen werde.
Formal aufgelöst, aber weiter existent?
Erfolg hatte die AfD mit ihrer Klage dagegen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich mitgeteilt hatte, der Flügel habe 7000 Mitglieder. Dafür gebe es nicht die erforderlichen Anhaltspunkte, erklärte das Gericht. Ebenso erfolgreich war die Klage der AfD gegen die Hochstufung des Flügels zu einer »gesichert extremistischen Bestrebung«. Diese Einstufung sei nach der formalen Auflösung des Flügels unzulässig, da sie Gewissheit über die Existenz des Beobachtungsobjekts erfordere, so die Richter.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte in der mündlichen Verhandlung allerdings eingeräumt, dass es nicht sicher sei, ob der Flügel als Zusammenschluss noch existiere. Ohne Zweifel habe seine Ideologie jedoch großen Einfluss auf die Partei. Das Gericht untersagte dem Verfassungsschutz auch, weiterhin öffentlich mitzuteilen, der Flügel sei als »gesichert extremistische Bestrebung« eingestuft worden.
Ohne Erfolg blieb eine vierte Klage, mit der sich die AfD gegen die Einstufung der JA als Verdachtsfall wandte. Es bestünden tatsächlich ausreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der JA, entschied das Gericht. Auch gegen diese weiteren Urteile kann Berufung eingelegt werden.
Zuvor war es vor Gericht zu einem juristischen Schlagabtausch zwischen dem Verfassungsschutz und der AfD gekommen. Wegen des großen öffentlichen Interesses hatte das Gericht in Anbetracht der Corona-Pandemie den sogenannten Kristallsaal der Kölner Messe angemietet. Auch AfD-Chef Chrupalla war erschienen und meldete sich immer mal wieder zu Wort. Großenteils verteidigte jedoch der Anwalt Christian Conrad die Position der AfD.
Der Verfassungsschutz argumentierte unter anderem mit Äußerungen des früheren AfD-Parteichefs Jörg Meuthen. Meuthens Parteiaustritt zeige, dass sich der sogenannte Flügel innerhalb der Partei mehr und mehr durchsetze. Der Anwalt des Verfassungsschutzes, Wolfgang Roth, beschrieb ausführlich den großen Einfluss, den der Flügel - obschon offiziell aufgelöst - weiter ausübe. Mehrere Landesverbände in Ostdeutschland seien ganz klar flügelorientiert. Man könne die Strömung rund um den Flügel auch nicht auf den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke und dessen unmittelbaren Anhang reduzieren.
»Die Flügel-Anhänger waren ja allesamt AfD-Mitglieder«, sagte Roth. Und sie befänden sich ganz überwiegend weiterhin in der Partei. Mit der Auflösung des Flügels seien diese Personen nicht aus der Partei ausgeschlossen. Man finde sie vielmehr in herausgehobenen Funktionen.
AfD-Anwalt Conrad beharrte dagegen darauf: »Der Flügel spielt heute überhaupt keine Rolle in der AfD.« Der thüringische AfD-Chef und Flügel-Begründer Björn Höcke bekomme zwar jede Menge mediale Aufmerksamkeit, er führe aber nur einen einzigen Landesverband, ergänzte Chrupalla. Die Führung der Gesamtpartei habe Höcke nie angestrebt - er wisse auch, dass er dafür keine Mehrheit hinter sich hätte. In demonstrativ aufgeräumter Stimmung lud Chrupalla den Verfassungsschutz gar ausdrücklich ein, an Veranstaltungen und Parteitreffen teilzunehmen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass die AfD nicht extremistisch sei.
Richter Michael Huschens machte schon vor seinem Urteil deutlich, dass der Verfassungsschutz ein »Frühwarnsystem« sei. »Wenn man ein Erdreich hat, das nach Öl riecht, kann man Probebohrungen vornehmen«, sagt er. Eine wehrhafte Demokratie dürfe nicht warten, bis »das Kind in den Brunnen« gefallen sei. dpa/nd
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