In der Kriegsfalle

Der Vorsitzende des PEN-Zentrums Deutschland, Deniz Yücel, sieht sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt

Etwas Verwunderung ist angemessen. Verwunderung darüber, wie viele Menschen sich in den letzten Wochen zu Experten aufspielen, die lautstark ihre kürzlich erworbenen Kenntnisse von Militärstrategie, dem so bezeichneten »System Putin« und der ukrainischen Politik verkünden. Da macht es dann auch nichts, wenn an einem Tag davon die Rede ist, Kiew falle sicher binnen einer Nacht, und es bald schon heißt, Russlands Vormarsch sei gewaltig ins Stocken geraten. Immer im Brustton der Überzeugung.

Als einen solchen Großsprecher kennt man Deniz Yücel nicht. Der deutsch-türkische Journalist, viele Jahre der »taz« verbunden, seit 2015 für »Die Welt« tätig, fällt regelmäßig durch kluge Einschätzungen auf. Seine kritische Position als Türkei-Korrespondent bescherte ihm gar eine Inhaftierung und den Vorwurf, Terroristen zu unterstützen. Jemand, der so vehement für das freie Wort streitet wie er, ist ein würdiger Vertreter der Schriftstellervereinigung PEN. Zum Vorsitzenden von dessen deutschem Ableger wurde Yücel im letzten Jahr gewählt.

Auch zum Ukraine-Krieg äußerte sich der Publizist besonnen. Zunächst. Den ukrainischen Forderungen, russische Literatur gänzlich zu boykottieren, erteilte er eine klare Absage. Aber auch das Verbot russischer Medien in Deutschland verurteilte er scharf. Auf einem Podium im Rahmen des Kölner Festivals Lit.Cologne habe er nun eine Flugverbotszone über ukrainischem Territorium gefordert, wie es in diversen Medienberichten heißt. Reaktionen folgten prompt: Mehrere Mitglieder hätten nun Yücels Rücktritt vom PEN-Vorsitz gefordert.

Man kann nur hoffen, dass Yücel nicht wusste, was er da sagte, bedeutet das harmlos klingende Wort »Flugverbot« doch einen Kriegseintritt westlicher Staaten. Aber – so viel Realismus muss sein – er wäre nicht die erste Person, der man es nicht zugetraut hätte, die in diesem Krieg an die Seite der Militaristen verloren geht.

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