Spielparadies in Existenznot

Kinderbauernhof der Spielplatzinitiative Marzahn braucht dringend Geld für den Weiterbetrieb

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 5 Min.
Hühner, Schafe, Katzen, Pferde – auch Berliner Kinder brauchen diese Art des Glücks.
Hühner, Schafe, Katzen, Pferde – auch Berliner Kinder brauchen diese Art des Glücks.

Anna Freda läuft über den Platz. Das kleine, dunkle Etwas hinkt ihr hinterher und knabbert an ihren Schnürsenkeln. Das Etwas ist ein Schaf, drei Wochen alt und wurde von der Mutter verstoßen. »Ich bin jetzt die Mama«, sagt Anna Freda. Sie zieht das Schaf mit der Flasche auf. Tagsüber kommt es mit in das Kinderheim, in dem die angehende Sozialpädagogin ihr Geld verdient. Am Nachmittag ist das Schaf mit Freda auf dem Kinderbauernhof der Spielplatzinitiative Marzahn in Eiche, direkt hinter der Stadtgrenze. Dort ist Anna Freda Projektleiterin, und seit Corona ist das nur noch ihr Ehrenamt. Nachts kommt das Schaf mit zu ihr nach Hause, denn auch dann braucht es Milch. Zwei Kilo Körpergewicht muss es noch zulegen, bis Anna Freda das Tier allein auf dem Bauernhof lassen kann.

24 Pferde, 30 Schafe und etliche Hunde, Katzen und Hühner gibt es auf dem Bauernhof. Und da der Träger nie Geld hatte, war er findig bei der Anschaffung der Tiere. »Die Hühner haben wir aus Discounter-Eiern ausgebrütet«, verrät Anna Freda. Aus jedem zweiten sei ein Küken geschlüpft. Und Vereinsvorsitzender Matthias Bielor erzählt, wie er Pferde vom Veterinäramt gerettet und Bretterbuden in der Nachbarschaft abgestaubt hat, als die abgerissen wurden. »Hier können Kinder mal etwas anderes machen, als nur vor dem Computer zu hocken«, sagt Bielor. »Sie werden sozialpädagogisch betreut und entwickeln Selbstbewusstsein.«

Es sind Kinder aus Berlin, die auf den Bauernhof kommen, Tiere pflegen, für die sie die Patenschaft übernommen haben. Die Landesgrenze verläuft entlang der Straße vor dem Bauernhof, der in Brandenburg liegt. Doch diese Lage zwischen Berlin und Brandenburg ist das Dilemma des Bauernhofes: Berlin darf ihm keine Zuschüsse aus dem Landes- oder Bezirkshaushalt zahlen, weil er in Brandenburg liegt, erläutert Marzahn-Hellersdorfs Jugendstadträtin Nicole Bienge (SPD). Und Brandenburg zahlt nicht, weil die Zielgruppe Berliner Kinder sind.

Bis Corona kam, hat es trotzdem funktioniert. Es gab Spenden. Anna Freda musste nicht im Kinderheim arbeiten. Sie ist mit den Tieren zu Projekten an Berliner Schulen gegangen, die Projektgelder zahlten. Davon zahlte sie sich ihr Gehalt. Doch seit Corona liegt die Projektarbeit an Schulen am Boden. Pflegearbeiten der Tiere erledigen zwar Bundesfreiwilligendienstleistende und ein Mitarbeiter mit solidarischem Grundeinkommen sowie die Kinder. Aber Geld für Futter und Miete fehlt. »Müssen wir bald die ersten Tiere verkaufen?« fragt Anna Freda. Sie weiß, dass das den Kindern das Herz brechen würde. Aber eine Alternative sieht sie nicht.

Der Bauernhof ist nur eines von drei Projekten der Spielplatzinitiative Marzahn. 1990 haben sich Mütter und Väter aus Marzahn für bessere und pädagogisch betreute Spielplätze für ihre Kinder eingesetzt. Sie haben den Bauhof einer Pleite gegangenen Firma in Marzahn-West zuerst besetzt, bevor das Bezirksamt das Grundstück gekauft hatte.

Längst sind die Kinder des 61-jährigen Vereinschefs Matthias Bielor dem Spielplatzalter entwachsen. Er hat schon vier Enkelkinder, aber der Spielplatzinitiative hält er die Treue wie etliche Aktive der ersten Stunde. Sie sind eine Truppe, die sich gut versteht, gern etwas miteinander bewegen möchte und den Kindern in Marzahn etwas bieten will. Als Bielor vom Kinderbauernhof zum pädagogisch betreuten Spielplatz in Marzahn-West fährt, hat er auf einem Anhänger Pferdemist geladen für die Beete, die die Kinder hier anlegen, wo sie Erdbeeren, Kartoffeln und Melonen ernten können. Leerfahrten kann er sich nicht leisten. »Wo sonst können Berliner Kinder das erleben?« fragt Bielor. Auch die Wolle der Schafe werde hierhergebracht, berichtet er. Hier wäscht sie eine Pädagogin mit den Kindern, spinnt und färbt sie und fertigt mit ihnen Eierwärmer aus Wolle.

Der Abenteuerspielplatz Marzahn-West ist der einzige der Spielplatzinitiative, der vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf regulär gefördert wird und darum Sozialpädagogen einsetzen kann. Der Umwelt- und Abenteuerspielplatz Marzahn-Nord geht hingegen seit Jahren leer aus. Jugendstadträtin Bienge begründet das mit knappen Haushaltsmitteln und der zu großen geografischen Nähe zu dem anderen Abenteuerspielplatz. Matthias Bielor hält dagegen: Wegen der Lage gleich am S-Bahnhof Ahrensfelde würde der Platz Kinder aus dem gesamten Bezirk erreichen und nicht nur aus dem Nahbereich.

Zu den Mitstreitern der ersten Stunde sind inzwischen neue Leute gestoßen, die sich in der Spielplatzinitiative engagieren: Zwei irakische Väter bauen gerade einen Zaun. Große russlanddeutsche Familien würden den Platz gern an Wochenenden für Familienfeiern nutzen, sagt Bielor. Der Verein hätte auch über die Kinder hinaus eine soziale Funktion im Bezirk.

Das mangelnde Geld ist ein Grund, warum Bielor schon öfter hinschmeißen wollte, räumt der 61-Jährige ein, während er die Rutsche auf dem Spielplatz zeigt. Die habe er vor dem Müll gerettet. »Aber mit meinem Pkw habe ich sie nicht hierher transportieren können. Wir bräuchten einen Firmenwagen.« Als Bielor den Inhaber nach der Rechnung fragte, hätte der abgewunken. »Mein Sohn hat bei ihnen das Bauhandwerk erlernt. Heute hat er das zum Beruf gemacht. Ich bin froh, dass ich ihnen etwas zurückgeben kann.« Solche Momente seien es, die ihn dann doch wieder motivieren, weiterzumachen, sagt der Vereinschef.

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